Geopolitischer Konflikt: Türkei und Israel ringen um Kontrolle des syrischen Luftraums
Israelische Luftwaffe F-35 Adir Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeug. Bild: Major Ofer, Israeli Air Force.
Türkei will syrische Militärbasen übernehmen. Israel reagiert mit Luftschlägen auf strategische Stützpunkte. Wird Ankara seine S-400-Raketen gegen Israels Jets einsetzen?
Die Kontrolle über zwei strategische Luftwaffenbasen in Syrien entwickelt sich zum neuen geopolitischen Brennpunkt im Nahen Osten. Im Zentrum des Konflikts: türkische S-400-Luftabwehrsysteme, israelische F-35-Tarnkappenjets und die entscheidende Frage, ob Ankara künftig den Himmel über Syrien dominieren wird.
Die Türkei unternimmt konkrete Schritte zur Übernahme strategischer Luftwaffenstützpunkte in Syrien, insbesondere des Flughafens Tiyas (auch bekannt als T4) nahe Homs und des Militärflughafens Palmyra.
Diese Entwicklung erfolgt nur wenige Monate nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien Ende 2024, das durch eine türkisch unterstützte Offensive des Milizenbündnisses Hayat Tahrir-al-Scham abgelöst wurde und einer neuen Übergangsregierung unter Ahmed al-Sharaa, dem ehemaligen Chef der Miliz al-Nusra-Front und dessen Nachfolgeorganisation Hayat Tahrir al-Scham Platz machte.
Laut der arabischen Tageszeitung Asharq Al-Awsat folge die Türkei damit einer Bitte der neuen syrischen Regierung, eine türkische Luftwaffen-Basis für Ausbildungszwecke in Syrien einzurichten.
Israelische Reaktion
Die Pläne der Türkei haben bereits zu direkten militärischen Reaktionen geführt. Wie das türkische Online-Medium Türkiye Today berichtet, führte Israel diese Woche Luftangriffe auf drei syrische Luftwaffenstützpunkte durch, die zuvor von der Türkei für eine potenzielle militärische Stationierung erkundet worden waren.
Nach dem Angriff sei der Flughafen Tiyas jetzt völlig unbrauchbar, wie die Zeitung unter Berufung auf ihre Quellen schreibt.
Die sich entwickelnde Situation hat weitreichende geopolitische Implikationen. Insbesondere könnte sie, wie die US-Fachzeitschrift The National Interest ausführt, die Fähigkeit Israels, zuverlässig Luftangriffe auf den Iran zu starten und zurückzukehren, erheblich beeinträchtigen. Dies ist besonders bedeutsam vor dem Hintergrund der aktuellen Spannungen zwischen den USA, Israel und dem Iran.
Syriens Stützpunkte: Erhebliche strategische Bedeutung
Die von der Türkei ins Auge gefassten Luftwaffenstützpunkte in Zentral-Syrien haben eine erhebliche strategische Bedeutung für die gesamte Region. Der Tiyas-Militärflughafen (T4) liegt nahe dem Dorf Tiyas, etwa 60 Kilometer östlich von Palmyra in der Provinz Homs, und ist Syriens größter Luftwaffenstützpunkt.
Bemerkenswert ist die außerordentlich zentrale Lage der beiden Basen, die nur etwa 60 Kilometer voneinander entfernt sind und genau zwischen der Türkei und Israel positioniert sind – praktisch auf halbem Weg zwischen beiden Ländern.
Diese zentrale Position verleiht ihnen eine dominierende Stellung im syrischen Luftraum und macht sie zu strategischen Knotenpunkten für die Kontrolle über die Luftbewegungen in der gesamten Region.
Gemäß der Informationen von Al-Araby Al-Jadeed verfügt die T4-Basis über 54 Hangars und eine Hauptlandebahn, neben zwei Rollbahnen (Taxiways), von denen eine potenziell als Behelfsstartbahn für größere Jets dienen könnte. Von besonderem strategischem Wert beider Basen sind die zahlreichen gehärteten Flugzeugshelter, die Schutz vor Luftangriffen bieten.
Wie der Ukraine-Krieg eindrucksvoll gezeigt hat, sind solche gehärteten Unterstände von immensem Wert für den Schutz von Luftfahrzeugen und kritischer Ausrüstung. Sie erhöhen die Widerstandsfähigkeit der Basen gegen Angriffe erheblich und steigern damit ihren strategischen Wert.
Diese Infrastruktur macht die Stützpunkte zu idealen Ausgangspunkten für Luftoperationen in der gesamten Region.
Die geostrategische Lage der Basen ermöglicht es, Luftoperationen in Richtung Irak, Jordanien, Libanon und sogar bis zur israelischen Grenze durchzuführen. Der Militärflughafen von Palmyra, der zweite von der Türkei ins Auge gefasste Stützpunkt, hat eine ähnliche strategische Bedeutung.
Das Luftabwehrsystem S-400 Triumf
Aus israelischer Sicht stellt besonders die Installation eines mehrschichtigen Luftabwehrsystems auf den syrischen Stützpunkten durch die Türkei ein massives Problem dar. Das Spektrum der geplanten Luftabwehrsysteme umfasst verschiedene Systeme, wobei das russische S-400 Triumf und die türkischen Hisar-Systeme im Mittelpunkt stehen.
Das S-400 Triumf-System, das die Türkei 2019 für 2,5 Milliarden Dollar von Russland erworben hat, gilt als eines der fortschrittlichsten Luftabwehrsysteme der Welt. Wie Bulgarian Military berichtet, kann das System Ziele wie Tarnkappenjets und ballistische Raketen in Höhen von bis zu 30.000 Metern erkennen und bekämpfen. Sein Radar kann Objekte in knapp 600 Kilometern Entfernung verfolgen und Ziele in einer Entfernung von bis zu 400 Kilometern bekämpfen.
Der Kauf des S-400-Systems durch die Türkei hatte bereits erhebliche geopolitische Auswirkungen. Er führte zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis mit den USA und mündete 2019 im Ausschluss der Türkei aus dem F-35-Programm. Washington befürchtet, dass das Radar des Systems die Tarnkappenfähigkeiten der F-35 kompromittieren könnte. Eine mögliche Stationierung des S-400 in Syrien würde diese Spannungen weiter verschärfen.
Das Hisar-System
Neben dem S-400 plant die Türkei auch die Stationierung ihrer heimisch produzierten Hisar-Luftabwehrsysteme. Entwickelt ab 2007, umfasst es Varianten wie das Hisar-A für Kurzstreckenbedrohungen und das Hisar-O für Einsätze auf mittlere Distanz.
Das Hisar-O, das laut Bulgarian Military bei den Plänen für T4 im Mittelpunkt steht, verfügt über eine Reichweite von bis zu 40 Kilometern. Montiert auf einem Mercedes-Benz Zetros-Chassis kann es Flugzeuge, Hubschrauber, Drohnen und Marschflugkörper in Höhen von bis zu 10.000 Metern abfangen.
Im Vergleich zum US-amerikanischen Patriot-System, das eine Reichweite von fast 160 Kilometern bietet, oder dem russischen S-400 ist Hisar weniger weitreichend, aber deutlich agiler und benötigt einen kleineren logistischen Fußabdruck.
Neben den Luftabwehrsystemen beabsichtigt Ankara, Aufklärungsdrohnen und bewaffnete Flugdrohnen zu stationieren.
Konflikt zwischen der Türkei und Israel
Die israelische Reaktion auf die türkischen Pläne in Syrien war schnell und unmissverständlich. Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu soll nach Informationen von Middle East Eye persönlich beim US-Außenminister Marco Rubio interveniert haben, um den Verkauf von F-35-Kampfflugzeugen an die Türkei zu blockieren. Als Grund nannte er demnach Bedenken über Ankaras wachsenden Einfluss in Syrien.
Doch Israel greift auch zu militärischen Mitteln: Wie Türkiye Today berichtet, führte die israelische Luftwaffe bereits am 21. und 22. März Bombenangriffe auf den T4-Stützpunkt und nahegelegene Basen in Palmyra durch, wobei Landebahnen, Hangars und Kontrollgebäude ins Visier genommen wurden.
Am 2. April folgten weitere Angriffe, bei denen die Landebahn von T4 mit Kratern übersät wurde, um jeglichen türkischen Aufmarsch zu behindern, wie The War Zone berichtet. Satellitenbilder von Planet Labs zeigten erhebliche Schäden, die es für schwere Transportflugzeuge nahezu unmöglich machen, zu landen.
Die Schwierigkeit, einen Flughafen dauerhaft auszuschalten, ist beträchtlich. Wie die Erfahrungen aus verschiedenen Konflikten gezeigt haben, können Landebahnen relativ schnell provisorisch repariert werden. Selbst mit erheblichen Kratern können Teile der Landebahn oder Rollwege für kleinere Flugzeuge und insbesondere für Drohnen immer noch nutzbar sein.
Die zahlreichen gehärteten Flugzeugshelter auf beiden Basen bieten zudem Schutz für stationierte Luftfahrzeuge, was bedeutet, dass selbst erfolgreiche Angriffe auf Landebahnen nicht unbedingt die auf der Basis stationierten Mittel neutralisieren.
Dies erklärt die wiederholten israelischen Angriffe auf diese Basen – eine einzelne Angriffswelle reicht in der Regel nicht aus, um einen Flughafen langfristig außer Betrieb zu setzen. Diese Dynamik deutet auf einen möglicherweise langwierigen Konflikt um die Kontrolle des syrischen Luftraums hin.
Der Luftkorridor: Israels Interesse
Besonders besorgniserregend für Israel ist die potenzielle Unterbrechung seines Luftkorridors, der israelisches Territorium mit dem Iran verbindet und über Syrien und den Nordirak in den benachbarten Iran führt.
Wie The National Interest berichtet, nutzten die Israelis diesen Luftkorridor im Oktober letzten Jahres, um mit ihren F-35-Luftangriffen auf Ziele im Iran durchzuführen.
Die türkischen Aktivitäten in Syrien und die israelischen Gegenreaktionen finden vor dem Hintergrund eines sich verschärfenden Konflikts zwischen den USA und dem Iran statt. Wie Telepolis bereits berichtete, hat US-Präsident Donald Trump dem Iran ein zweimonatiges Ultimatum gestellt, einem neuen Atomdeal zuzustimmen, andernfalls drohen "Bombardierungen, wie sie der Iran noch nie erlebt hat".
In diesem Kontext gewinnt die Kontrolle über den syrischen Luftraum besondere Bedeutung.
Die entscheidende Frage
Denn die türkische Übernahme syrischer Luftwaffenstützpunkte wirft eine entscheidende politische Frage auf: Würde die Türkei tatsächlich israelische Flugzeuge mit ihren S-400-Systemen bedrohen und in letzter Konsequenz auch abschießen?
Mit der Stationierung fortschrittlicher Luftabwehrsysteme auf den zentralsyrischen Flughäfen würde die Türkei de facto die Luftroute in den Iran beherrschen und könnte sie bei Bedarf blockieren.
Für Israel entsteht dadurch ein kritischer Unsicherheitsfaktor. Bei einem geplanten Angriff auf iranische Ziele müsste Israel möglicherweise eine Erlaubnis der Türkei einholen – eine diplomatisch hochsensible Angelegenheit, die Israels Handlungsautonomie erheblich einschränken würde.
Selbst wenn die Türkei keine aktiven Maßnahmen gegen israelische Flugzeuge ergreifen sollte, so würde allein die Präsenz der Systeme und die Ungewissheit über die türkische Reaktion das Risikokalkül jeder Operation maßgeblich verändern.
Türkei vor Schwierigkeiten
Zudem ergäbe sich für die Türkei ein heikles Dilemma im Verhältnis zum Iran: Jede Passivität gegenüber israelischen Überflügen könnte vom Iran als stillschweigende Erlaubnis für Angriffe interpretiert werden. Teheran könnte der Türkei vorwerfen, durch Untätigkeit zum Komplizen Israels zu werden – eine Position, die Ankaras regionale Ambitionen und seine Beziehungen zu anderen muslimischen Staaten belasten würde.
Diese komplexe Verflechtung strategischer Interessen erklärt die Intensität der israelischen Luftangriffe auf die syrischen Basen. Sie zielen darauf ab, ein Szenario zu verhindern, in dem Israel bei jedem Flug in den Iran faktisch die diplomatische Erlaubnis der Türkei benötigen würde.
Die entscheidende geopolitische Frage bleibt, ob die Türkei tatsächlich bereit wäre, einen direkten Konflikt mit Israel zu riskieren, indem sie aktiv gegen israelische Luftoperationen vorgeht.
Während Ankara starkes Interesse daran hat, seinen Einfluss in Syrien auszubauen und kurdische Autonomiebestrebungen einzudämmen, würde ein direktes Eingreifen gegen israelische Kampfflugzeuge die Beziehungen zu den USA und der Nato erheblich belasten.