Geplatzter Traum von "Ubuntu"
In Südafrika eskaliert die Gewalt gegen Einwanderer. Täter sind nicht Weiße, sondern Schwarze
Vor allem im von 8 Millionen Menschen bevölkerten Großraum Johannesburg kommt es seit einer Woche zu immer schwereren Unruhen. Am Montag lag die Zahl der Todesopfer nach Angaben der südafrikanischen Tageszeitung Mail & Guardian bei 22. Sie wurden zum Teil erschossen, aber auch verbrannt oder erschlagen.
Allein in der Vorstadt Cleveland gab es nach Angaben der Polizei am Wochenende mindestens 50 Verletzte. Etwa 300 Menschen suchten Zuflucht auf einem Polizeirevier. Mittlerweile sollen sich etwa 6.000 Einwanderer auf der Flucht befinden. Das südafrikanische Rote Kreuz versorgt sie mit Decken und Nahrung.
Begonnen hatten die Unruhen letzte Woche in Alexandra, von dort aus griffen sie schnell auf andere Townships wie Diepsloot, Tembisa, Kya Sands, Ramaphosa, Hillbrow und Jeppe über. Die Angreifer waren vor allem Jugendliche. Gegen sie setzte die Polizei Tränengas und Gummigeschosse ein, konnte sie damit aber nicht vom Plündern und Brandschatzen abhalten. Insgesamt gab es bis zum Montag 217 Festnahmen. Präsident Mbeki kündigte mittlerweile eine Untersuchung der Vorgänge an. Der Verband der südafrikanischen Städte und Regionalregierungen sprach in einer Stellungnahme davon, dass die Angreifer ihren Sinn für "Ubuntu" verloren hätten.
Neben der weltweit spürbaren extremen Verteuerung von Grundnahrungsmitteln spielte den südafrikanischen Medien zufolge die teilweise den Einwanderern zugeschriebene extrem hohe Verbrechensrate in Südafrika eine Schlüsselrolle als Auslöser der Unruhen: Sie trifft vor allem die wenig begüterten Schichten. Während die Oberschicht weitgehend in Gated Communities lebt, die von privaten Sicherheitsfirmen aufwändig bewacht werden, wird das Risiko, bestohlen, betrogen, ausgeraubt, entführt oder erpresst zu werden, in den Townships und den Innenstädten von der Polizei deutlich weniger verringert.
Negativauslese durch Einwanderungsgesetze
Seit dem Ende der Apartheid wurde Südafrika zu einem Magneten für illegale Einwanderer aus dem ganzen Kontinent. Ein großer Teil von ihnen kommt aus dem nahe gelegenen und von einer Hyperinflation heimgesuchten Simbabwe. Viele davon sind den einheimischen Südafrikanern sehr ähnlich: Die Venda leben beiderseits der Grenzen und die Ndebele spalteten sich erst im 19. Jahrhundert von den Zulu ab. Ihre Sprache zählt wie isiZulu oder isiXhosa zum Nguni, einer Untergruppe der Bantusprachen. Auch die Tsonga, die etwa ¼ der Bevölkerung Mosambiks und einen großen Teil der Zuwanderer nach Südafrika stellen, unterscheiden sich kaum von denjenigen aus der südafrikanischen Limpopo-Provinz.
Es scheint allerdings, dass es bei den nun manifest gewordenen Gegensätzen weniger um die Herkunftskultur der Einwanderer geht, sondern um die Kultur, welche sie erst während und nach der Einreise annehmen. Südafrika hat relativ strenge Ausländergesetze: Wer als illegaler Einwanderer im Land bleiben will, der ist im Allgemeinen auf Hilfe angewiesen – sei es bei der Beschaffung gefälschter Papiere oder bei der Information, ohne solche an Arbeit und Versorgungsleistungen zu kommen. Geboten wird diese Unterstützung meist von kriminellen Netzwerken, die ihrerseits freilich auf Gegenleistungen beharren. Unter anderem deshalb ist der Vorwurf, die Einwanderer seien in großer Zahl Kriminelle, nicht völlig aus der Luft gegriffen. In gewisser Weise wirkt hier eine perfide Dialektik: Wer im Land bleibt, der hat wahrscheinlicher kriminelle Kontakte, als derjenige, der dies nicht schafft. Denn Einwanderer, die sich von den kriminellen Netzwerken fernhalten, tragen ein deutlich höheres Risiko, entdeckt und deportiert zu werden.