"Germanen versus Slawen"
Seite 3: Deutsche Schande: Verschweigen des genozidalen Antislawismus
- "Germanen versus Slawen"
- Antislawismus, "Vertierung" und "asiatische Horden"
- Deutsche Schande: Verschweigen des genozidalen Antislawismus
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Zu Recht erinnert die evangelische "Aktionsgemeinschaft für den Frieden" (AGDF) dieser Tage an die Millionen Juden sowie Hundertausende Sinti und Roma, die im Zuge des "Ostfeldzuges" ermordet worden sind und als Bürgerinnen oder Bürger der überfallenen Länder selbstverständlich in der "Gesamt-Opferzahl" für die Sowjetunion mit aufgeführt sind.
Weniger glücklich ist es allerdings, dass die AGDF in ihrer Erklärung zwar aktuelle Menschenrechtsdiskurse mit Blickrichtung nach "Osten" thematisiert, im Einklang mit der vorherrschenden Erinnerungskultur im 80. Gedenkjahr die massenmörderischen Feindbild-Komplexe "Antibolschewismus", "sowjetisches Untermenschentum" und Antislawismus (bzw. auch Antiasiatismus) aber nicht einmal benennt.
Differenzierungen sind zwingend notwendig, doch der selektive Blick bleibt unannehmbar. Der Antisemitismus ist zweitausend Jahre alt, ein erster - erheblicher - Unterschied zum Antislawismus. Die rechten Kräfte waren in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert ohne Ausnahme durch Judenfeindlichkeit geeint (Ex-Kaiser Wilhelm II. votierte für eine Ausrottung durch Gas).
Das seit Ende des Ersten Weltkrieg gebetsmühlenhaft beschworene Konstrukt des "jüdischen Bolschewismus" stand dann 1941 zweifellos im Zentrum der Propaganda für den Feldzug gen Osten und hielt sich nach außen hin am hartnäckigsten. Hitler hatte ja allen Deutschen u.a. schon im Januar 1939 eingetrichtert, nicht er, sondern das - auf konfuse Weise gleichermaßen für Finanzkapitalismus und Bolschewismus haftbar gemachte - Judentum würde den nächsten Weltkrieg anzetteln:
Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.
Hitlers Reichstagsrede, 30. Januar 1939
Nach Beginn des "Russlandfeldzuges" wollte der deutsche NS-Staat dann nicht nur eine Vertreibung oder Dezimierung der Juden des europäischen Kontinents angehen, sondern ihre totale Vernichtung: "Der Jude" musste in jedem Fall getötet werden!
Im 19. Jahrhundert und insbesondere im wilhelminischen Kaiserreich war auch der Antislawismus - neben bürgerlichen Vorlieben für russische Literatur - längst ein ausgebildeter Ideologiekomplex. Der letzte Hohenzollernmonarch folgte einer rassistisch-sozialdarwinistischen Doktrin, der zufolge so etwas wie ein Endkampf zwischen Germanen und Slawen als unausweichlich galt.
Die alldeutschen Annexionisten forderten schon im Ersten Weltkrieg folgerichtig eine Osterweiterung des Deutschen Reiches, auch wenn dafür einige slawische Völker, denen man die Daseinsberechtigung absprach, ganz von der Bildfläche verschwinden müssten. Diese Diskurse wurden in der Weimarer Zeit durch rechte Ideologen von Anfang an weiter verschärft.
Doch es handelte sich - anders als beim Antisemitismus - hierbei durchaus nicht um einen Konsens der Rechten, der alle verband. Es gab - unter Einschluss sogar von Teilen der NSDAP - eben auch rechte Stimmen, die ganz und gar nicht unter Russophobie litten, ein deutsch-russisches bzw. germanisch-slawisches Bündnis favorisierten und z.T. mit einem rechten "Nationalbolschewismus" liebäugelten (wobei manche wohl richtig erahnten, dass Stalin kein Linker, sondern ein Rechter war).
Bis in die Propaganda von NS-Deutschland hinein konnten "die Slawen" eben auch als hilflose Opfer des "jüdischen Bolschewismus" ins Blickfeld kommen und dann zur Zielgruppe bei der Anwerbung von Kollaborateuren werden, die sich an der Vernichtung der Juden beteiligen sollten. All dies ändert wie die unterschiedlichen "Russlandbilder" führender Nationalsozialisten aber rein gar nichts am Faktum eines auf rassenideologischer Basis durchgeführten Genozids, dessen Opfer man vorab als slawisch-halbasiatische "sowjetische Untermenschen" förmlich zum Abschuss freigegeben hatte.
Es geht mitnichten nur um ein kleines Broschüren-Kapitel zur Steigerung der deutschen "Kampfmoral", sondern um einen "Weltanschauungskrieg" - geführt auf der Basis der "NS-Anschauung" vom weltgeschichtlichen Endsieg einer in Deutschland besonders rein erhaltenen Übermenschenart, die andere Mitglieder der Spezies homo sapiens zu Tieren erklären und abschlachten darf.
Nachweislich rechneten Planer des Ostfeldzuges früh damit, dass bei einer konsequenten Umsetzung der von ihnen favorisierten Kriegs- und Raubökonomie unter dem Vorzeichen eines deutschen Sieges bis zu 30 Millionen Slawen verhungern würden. Das war kein Problem. Der moderne Deutschritter Heinrich Himmler, eifrigster Verfechter einer neuen "germanischen Ostbesiedlung", wollte im Einklang mit dem "Generalplan Ost" (1941) ebenso 30 Millionen slawische Menschen bzw. "Fremdvölkische" aus den für "Arier" vorgesehenen Räumen einfach irgendwie entfernen.
Im Unterschied zur Totalvernichtung der Juden gab es Planungsalternativen: Slawen sollten als "Untermenschen" im Zuge der "Germanisierung von Territorien" direkt eliminiert oder in Todeszonen getrieben werden oder zum verbliebenen Teil als Angehörige eines "minderwertigen Volkes" nach Zerstörung aller kulturellen Infrastrukturen dauerhafte Dienstleistungen für die "germanische Herrenrasse" erbringen (Satelliten-Staaten des Deutschen Reiches).
Die Verschweigung des eliminatorischen Antislawismus mit 20 oder 30 Millionen Opfern erfolgte im Kontext einer viele Millionen Familien betreffenden Täterschaft und einer jahrzehntelangen interessegeleiteten Erinnerungs- bzw. Verdrängungspolitik ab 1945. Sie wird aber auch befördert zugunsten gegenwärtiger außenpolitischer Paradigmen, wobei Geschichtsvergessenheit, Unachtsamkeit bzw. Gedankenlosigkeit, Berechnung und schäbige Gesinnung oft das gleiche Ergebnis zuwege bringen. Die Verschweigung des genozidalen Antislawismus im öffentlichen Raum bleibt eine deutsche Schande: vor den Opfern und vor der einen menschlichen Familie.
Der Verfasser ist katholischer Theologe und freier Publizist; aktuell bearbeitet er das Projekt "Kirche & Weltkrieg".