Gesetzesanpassungen auf dem Weg zu einem vernetzten Gesundheitswesen
Zu den kaum beachteten Teilen des am Freitag verabschiedeten Gesundheitsreformgesetzes gehören die Regelungen zur elektronischen Vernetzung des Gesundheitswesens
Wenig bemerkt von der Öffentlichkeit wurden in den letzten Monaten im Bundesgesundheitsministerium zwei Weichen gestellt, die das deutsche Gesundheitswesen auf einen nun fast unumkehrbaren Weg in Richtung einer elektronischen Vernetzung aller am System Beteiligter geschickt haben. Die gelegentlich erwähnte elektronische Gesundheitskarte, mit der alle gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland spätestens bis zum 1. Januar 2006 ausgestattet werden sollen, ist davon nur ein kleiner Teil.
Es begann bereits im Juni mit der Veröffentlichung der so genannten Telematik-Expertise. Darin diskutieren der Bundesverband für Telekommunikation BITKOM, der Verband deutscher Arztpraxis-Software-Hersteller (VDAP), der Verband der Hersteller von IT-Lösungen für das Gesundheitswesen (VhitG und der Zentralverband Elektrotechnik (ZVEI) auf 150 Seiten aus Sicht der Industrie die Voraussetzungen, die ihrer Auffassung nach gegeben sein müssen, damit sich Unternehmen mit Produkten im Bereich elektronisches Gesundheitswesen auch wirklich auf den Marktplatz wagen.
Die zentrale Forderung dieser Expertise war die nach der Schaffung einer so genannten Telematikinfrastruktur, die Ärzten, Patienten und Therapeuten die Möglichkeit geben soll, Patientendaten elektronisch zu übertragen, ohne dabei ständig im rechtsfreien Raum zu stehen beziehungsweise ohne Gefahr zu laufen, dass Patientendaten wegen mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen in Hände gelangen, in die sie nicht sollen.
Im August dann gab Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt bekannt, dass sie nach Ende einer offiziellen Ausschreibung ein Firmenkonsortium mit der Erarbeitung einer solchen Infrastruktur beauftragt habe. In diesem Konsortium vertreten sind die Firmen IBM, SAP, Orga Kartensysteme und InterComponentWare sowie das Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation. Bis zum Jahr 2006 werden dafür insgesamt 5,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Technisch wird es sich um eine Chipkartenarchitektur handeln, bei der sich Ärzte und Patienten jeweils ausweisen müssen und der Datenaustausch mit elektronisch signierten Dokumenten vonstatten geht, die durch von der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation (RegTP) zertifizierte Trustcenter verwaltet werden.
Die elektronische Gesundheitskarte soll zunächst vor allem eins: Kosten sparen
Was noch fehlte, waren die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Projekt "elektronisches Gesundheitswesen". Die liefert jetzt das am Freitag im Bundestag verabschiedete Gesetz zur Gesundheitsreform (GVK-Modernisierungsgesetz). Was die Medizintelematik angeht, ist die elektronische Gesundheitskarte das Herzstück dieses Gesetzes. Sie soll spätestens zum 1. Januar 2006 eingeführt werden und wird dann die bisherige Krankenkassenkarte ablösen. En detail geregelt wird außerdem das elektronische Rezept.
Mit Hilfe der elektronischen Gesundheitskarte sollen 80 Millionen Versicherte, 270.000 Ärzte, 77.000 Zahnärzte, über 2.000 Krankenhäuser, 22.000 Apotheken und mehr als 300 Krankenkassen in Deutschland elektronisch miteinander kommunizieren können.
Diese Karte wird aus einem für alle Versicherten verpflichtenden administrativen Teil sowie einem freiwilligen medizinischen Teil bestehen. Im administrativen Teil sollen neben den bisher auch schon gespeicherten Basisdaten des Patienten vor allem die für ein elektronisches Rezept nötigen Informationen abgelegt werden. Der administrative Teil soll vor allem der Kostendämpfung dienen. So soll mit seiner Hilfe der so genannte Zuzahlungsstatus automatisch aktualisiert werden. Das ist die Information darüber, ob ein Versicherter, zum Beispiel als Student, davon befreit ist, für seine Medikamente einen bestimmten Betrag selber beizusteuern. Damit alleine sollen die Krankenkassen 250 Millionen Euro jährlich einsparen. Der Preis für die Einführung der Karte liegt offiziellen Schätzungen zufolge bei 700 Millionen Euro. Inoffizielle Quellen legen noch einmal so viel drauf.
Der (gut organisierte?) Patient soll Herr über seine Daten bleiben
Interessanter ist aber eigentlich der medizinische Teil der Karte, und vor allem hier bestand rechtlicher Regelungsbedarf, der jetzt vom Gesundheitsreformgesetz teilweise beseitigt wurde. Im medizinischen Teil der Patientenkarte können Versicherte freiwillig Daten über ihre Erkrankungen ablegen, also zum Beispiel Diagnosen, eingenommene Medikamente oder Notfallinformationen, die dann dem jeweils behandelnden Arzt zur Verfügung gestellt werden können. Auch Arztbriefe oder Röntgenbilder wären auf der Karte denkbar. Alternativ kann die Karte in Verbindung mit einem elektronischen Heilberufsausweis, der sich gerade in der Erprobungsphase befindet, auch benutzt werden, um auf im Internet abgelegte Krankendaten zuzugreifen.
Rechtlich mussten für ein solches Szenario vor allem Datenschutzfragen geklärt werden. Neben der hundertprozentigen Freiwilligkeit dieses medizinischen Teils forderten Datenschützer vor allem, sicher zu stellen, dass Unbefugte an diese Daten nicht heran kommen. Das klingt einfacher, als es ist. Denn Unbefugter kann nicht nur der Arbeitgeber oder die Versicherung sein - beide sind, da sie keine Heilberufsausweise besitzen werden, vom Zugriff ohnehin ausgeschlossen - , sondern unter Umständen auch der Arzt oder Therapeut, dem ein Patienten gewisse Informationen vorenthalten möchte.
Die nun im 5. Sozialgesetzbuch vorgenommenen Änderungen laufen darauf hinaus, dass die vom oben erwähnten Firmenkonsortium zu schaffende Telematikinfrastruktur so gestaltet sein muss, dass der Patient im Prinzip all diese Details regeln kann, wenn er das möchte. In der Praxis dürfte das relativ aufwändig werden, doch werden die technischen Einzelheiten erst noch entwickelt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte zumindest scheint sehr zufrieden zu sein.
Der Staatsanwalt bleibt außen vor
Doch auch weniger offensichtliche Gesetzesanpassungen mussten vorgenommen werden. So wird durch das Gesundheitsreformgesetz unter anderem die Strafprozessordnung geändert. Die bisherige Regelung verbot dem Staatsanwalt zwar (als Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts von Heilberuflern) den Zugriff auf in Arztpraxen oder Krankenhäusern aufbewahrte Akten.
Unklar war jedoch, was mit Daten ist, die zum Beispiel online von einem Dienstleister in elektronischen Akten verwaltet werden. Hier schafft das Gesetz Klarheit: Dem Staatsanwalt wird in Paragraph 97 der geänderten Strafprozessordnung nicht nur ausdrücklich der Zugriff auf die Daten dieser Dienstleister verwehrt, sondern auch der Zugriff auf die elektronische Patientenkarte. Beides wird analog zu ärztlichen Akten dem so genannten "Beschlagnahmeschutz" unterstellt.