Gespaltene Staaten von Amerika
Seite 2: Spaltung der USA: Verweigerung in beiden politischen Lagern
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Solche Verweigerungen können rechtliche Manöver umfassen, bei denen eine Gemeinschaft die Durchsetzung eines Gesetzes verzögert oder einschränkt. Mitunter kommt es dabei sogar zu einer regelrechten Gesetzesannullierung.
Auch diese Form eines teilweisen Sezessionismus hat in den USA eine Vorgeschichte. John F. Kennedy musste einst die Nationalgarde nach Birmingham, Alabama, entsenden, um dort entgegen dem Willen der Bevölkerung und des Gouverneurs afroamerikanischen Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen.
Auch heute noch teilt sich die US-Bevölkerung oft anhand von Schulbezirken, in reichere und ärmere und oft weiße und nicht-weiße Nachbarschaften auf.
Das ist, wie Experten immer wieder betonen, Ausdruck einer schleichenden Segregation der wohlhabenderen, weißen Bevölkerungsschichten – oder auch von Klassengegensätzen und Rassismus.
In den zunehmend polarisierten USA machen es mehr und mehr Menschen von ihrer politischen Identität abhängig, wo sie leben und ihre Kinder zur Schule schicken.
Durch diese Aufteilung in liberale und konservative Gemeinschaften kommt es kurzfristig zu weniger direkten Konflikten.
Mangel an Kompromissbereitschaft
Mittel- und langfristig aber nimmt die Kompromissbereitschaft ab, weil man sich ja nicht mehr mit dem politischen Gegner arrangieren muss.
Dieser Mangel an Kompromissbereitschaft hat wiederum mehr Zulauf für die Separatisten zur Folge.
Denn wer seine politischen Gegner nicht überzeugen oder eliminieren kann, wird versuchen ihnen zu entkommen. So schreitet die Polarisierung in den USA immer weiter fort.
Die USA bieten zahlreiche weitere Beispiele für einen solchen schleichenden Separatismus. Nicht immer sind liberale oder konservative Identitäten primär Gründe für das Streben einer Gruppe oder eines Individuums nach Unabhängigkeit von Staat und Gesellschaft.
Oft muss eine verkürzte Staats- oder Gesellschaftskritik, der sogenannte "Antiföderalismus", als Begründung herhalten, wenn die einen oder anderen keine Steuern entrichten wohlen.
Das Ergebnis wird dann als Alternative zum Föderalismus verkauft, wie die sogenannten Sondersteuerdistrikte.
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Der Vergnügungspark Disney World in Florida etwa wurde 1967 als "Sondersteuerdistrikt" eingestuft. Diese Sonderbezirke, – landesweit gibt es über 35.000 –, bilden sozusagen separate Lokalregierungen. Sie können öffentliche Dienstleistungen anbieten und ihre eigene Infrastruktur verwalten.
Auch die Superreichen in den USA zahlen ungern Steuern und begründen dies durch liberalen Altruismus, womit begründet wird, warum das Geld besser in den eigenen Taschen aufgehoben ist als beim Staat.
Dass Reiche und Unternehmen alle denkbaren Tricks nutzen, um so wenig Steuern wie möglich zu entrichten, ist nun durchaus ein weltweites Phänomen.
Doch in den USA lässt sich diese Haltung leichter durch eine vorgeschobene Kritik am bevormundenden "Nanny-Staat" verschleiern.
Zudem: Antiföderalistische politische Haltungen existiere in den USA sowohl im konservativen als auch im liberalen Lager – und das bereits seit Gründung der Nation.
US-Staaten verweigern sich Bundesgesetzen
Die "unabhängige" Gesetzgebung einiger Bundesstaaten und die dazugehörige "State-Rights"-Debatte spiegeln diese Geisteshaltung: Derzeit bezeichnen sich elf Staaten selbst als "Second Amendment Sanctuary" und weigern sich, bundesstaatliche Waffenbeschränkungen durchzusetzen.
Seit 2012 haben 21 Staaten Marihuana legalisiert, das auf Bundesebene immer noch illegal ist.
Seit Trumps Muslim-Ban 2016 weigern sich Städte und Staaten als "Sactuaries", den aggressiven Einwanderungsgesetzen des Bundes Folge zu leisten.
Bei solch gravierenden Unterschieden zwischen den Bundesstaaten ist es kaum verwunderlich, dass mehr und mehr Menschen in den USA lieber unter Gleichgesinnten leben.
Aber auch Bundesstaaten sind nicht homogen, oft gibt es ein Unterschied zwischen dem konservativen Land und der eher progressiveren Stadtbevölkerung.
So gibt es auch gegen die Gesetzgebung einzelner Bundesstaaten lokalen Widerstand. In einigen Städten in konservativ regierten Bundesstaaten weigern sich Staatsanwälte und Richter, Frauen und medizinische Dienstleister aufgrund der neuen Abtreibungsgesetze zu belangen.
Abgesehen vom Abtreibungsdiskurs, jedoch scheinen viele Bundesstaaten halbwegs politisch homogen.
Die rot-blaue Landkarte der USA ist Ergebnis einer Politik, die seit der "Reconstruction"-Ära, also seit Ende des Bürgerkriegs, die Bundesstaaten in progressive und konservative Staaten aufteilt.
Zwei relevante politische Identitäten
Die sozialen Kämpfe marginalisierter Gruppen werden seitdem von beiden Seiten benutzt, um Wahlen zu gewinnen.
Oft werden hierbei arme weiße und nicht weiße Menschen in unterschiedliche politische Lager gedrängt und so die Entstehung eines landesweiten Klassenbewusstseins unterbunden.
Das Ergebnis ist eine Nation und zwei relevante politische Identitäten, die Liberale (oder Progressive) und die Konservative, die durch die Haltung des Individuums zu einzelnen, oft wichtigen, aber immer "kulturellen" Streitpunkten bestimmt werden.
Da diese Streitpunkte identitätsstiftend sind, können die daraus resultierenden Konflikte oft nicht gelöst werden, was auf beiden Seiten den Wunsch nach Sezession auslöst.
Dieser Wunsch wiederum harmoniert gut mit der antiföderalistischen Staatskritik, die in den USA so eine Tradition hat.
Und solange den sezessionistischen Gedankenspielen beider politischen Lager keine Taten folgen, stellen diese für die beiden großen staatsbildenden Parteien kein Problem dar.
Ganz im Gegenteil, die sanften Formen des Sezessionismus und Separatismus erlauben es den Machthabern, die Schuld für soziales Leid und Ungerechtigkeit den politisch "Anderen" zuzuschieben.
Ganz nach dem Motto: "Wenn die nicht wären, ginge es dir gut."
Eine erste Version dieses Textes erschien bei Telepolis am 28.11. 2023
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