Gestern Europa und morgen die ganze Welt?

Seite 2: Wachwechsel als Weltpolizist

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Auch der CDU-Politiker Volker Kauder gilt seit seinem Ausspruch, in Europa werde nur noch "Deutsch gesprochen" als ein Mann, der machtpolitischen Klartext spricht. Der Fraktionschef der Union forderte gleich eine Euroarmee, die nun aufgestellt werden solle, da Europa nun - leider, leider - mehr "Verantwortung übernehmen" müsse. Schon auf dem EU-Gipfel im Dezember solle eine europäische Verteidigungs- und Sicherheitsunion beschlossen werden. Ob auch in dieser Euroarmee nur noch deutsch gesprochen werden soll, ließ Kauder offen (Transatlantiker in Panik wegen Trump).

Diese klaren Äußerungen stellen keinen plötzlichen Bruch dar. Sie bilden die Fortsetzung einer bereits gegebenen Tendenz deutscher Machtpolitik, die sich graduell aus der Einflusssphäre der USA löst. In Europa, das längst zu einem geopolitischen Hinterhof Berlins wurde, ist diese imperiale Eigenständigkeit der Bundesrepublik längst erreicht. Nun steuert Berlin auf eine stärkere machtpolitische Präsenz auf globaler Ebene zu. Gestern Europa und morgen die ganze Welt - dies scheint die Devise Merkelscher (Groß-) Machtpolitik zu sein.

Dankenswerterweise machte die Kanzlerin dies auch explizit. In einem Tweet gibt die ZDF-Nachrichtensendung <x>"heute"::https://mobile.twitter.com/ZDFheute/status/799298897093001216<x> eine diesbezügliche Äußerung der Bundeskanzlerin so wieder: "Deutschland hat von den USA viel Hilfe bekommen. Jetzt ist Deutschland in der Lage, die Ordnung der Welt aufrecht zu halten."

(Wie im Forum zurecht kritisiert wurde, handelte es sich nicht um ein wörtliches Zitat, wie gesagt wurde, sondern um eine Art interpretierende Zusammenfassung. Korrekt sagte Merkel auf der Pressekonferenz mit Barack Obama: "Deutschland hat nach der Zeit des Nationalismus gerade auch von den Vereinigten Staaten von Amerika unglaublich viel Hilfe bekommen. ... Deutschland ist jetzt, seitdem es diese Einheit gibt, noch stärker in der Lage, seinen Beitrag zu leisten, um die Ordnung, die wir lieben, für die sich auch die Menschen gerade in der DDR eingesetzt haben, weltweit aufrechtzuerhalten oder zumindest in unseren Ländern aufrechtzuerhalten.")

Der Wachwechsel als Weltpolizist scheint für Merkel bereits eine beschlossene Sache zu sein. Selbstverständlich ist hier der für gewöhnlich sehr vorsichtig agierenden Kanzlerin ein Fehler unterlaufen. Die Zunge war schneller als das Hirn, da man solche Intentionen für gewöhnlich - gerade als deutsche Politikerin - nicht öffentlich ausspricht. Für gewöhnlich tut man so, wie eingangs anhand des Zeit-Artikels dargelegt, als ob man förmlich genötigt würde, zu herrschen. Genauso argumentierte die FAZ bei der Ausrufung der herbeigesehnten deutschen Hegemonie in Europa. ("Noch zaudern, die Deutschen", "keine Reservekandidaten", "Zeit, sich der Realität zu stellen", etc.)

Merkel will somit die USA als imperialer Weltpolizist beerben, Deutschland soll weltweit für "Ordnung" sorgen. Dies offen auszusprechen, ist nicht nur ein taktischer Fehler. Diese strategische Zielsetzung ist absurd, da die "Ordnung" der spätkapitalistischen Welt aufgrund ihrer letalen, irreversiblen Systemkrise in Auflösung begriffen ist - und keine Militärmacht der Welt ist in der Lage, diese in Chaos übergehende Ordnung noch zu stützen. Die Interventionen und Drohnen- und Bombenkampagnen der vergangenen Dekaden in den Zusammenbruchgebieten der Peripherie haben dies eigentlich eindeutig unter Beweis gestellt.

Kein Nachfolger in Sicht für den abtretenden Welthegemon USA

Gerade die Bundesrepublik mitsamt der "deutschen" Eurozone stellt ein Paradebeispiel dafür dar, dass die Errichtung einer stabilen Hegemonie nicht mehr möglich ist. Während die Kanzlerin samt ihrer CDU-Garde von einer globalen imperialen "Führungsrolle" der Bundesrepublik träumt und Pläne für eine europäische Armee forciert, bröckelt das Fundament der Eurozone immer stärker, die durch den Brexit, durch zunehmenden Nationalismus, Rechtsextremismus und Separatismus bedroht ist.

Ein stabiles europäisches Machtgefüge, auf dem Berlin seine globalen Ambitionen realisieren könnte, ist schlicht nicht gegeben. Deutschland hat somit keine stabile Hegemonie in Europa errichtet, wie von der FAZ im Sommer 2015 erträumt. Berlin dominiert in Europa nur machtpolitisch aufgrund seines zunehmenden wirtschaftlichen Übergewichts, ohne dass diese Position von den anderen Eurostaaten auch akzeptiert werden könnte, da die deutsche Dominanz und der sozioökonomische Verfall der restlichen Eurozone durch den Krisenprozess - vermittels der eskalierenden Ungleichgewichte - in Wechselwirkung stehen.

Die USA steigen zwar als Welthegemon ab, doch zugleich ist da kein Nachfolger in Sicht, der diese Stellung übernehmen könnte. Diese multipolare Weltunordnung wird - da deren zerbröckelndes kapitalistisches Fundament nicht überwunden ist - somit zu einer Zunahme der geopolitischen und militärischen Auseinandersetzungen führen, und nicht zu deren Ende. Die Bundesrepublik verfügt schlicht nicht über die Machtmittel, um die "Ordnung" in einem in Auflösung begriffenen Weltsystem wiederherzustellen. Genauso wenig wie China oder Russland.

Die geopolitischen und auch militärischen Konflikte zwischen den einzelnen Großmächten, die nun alle weitaus schneller zu militärischen Mitteln greifen können, werden hingegen rasch zunehmen. Alle geopolitischen Akteure werden versuchen, ihre "Ordnung" auch global durchzusetzen, während das Chaos um sich greift.