Gewalt in Eriwan

Die Regierung ruft den Notstand aus, nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo bricht zwischen Armenien und Aserbeidschan erneut der Konflikt um Nagorni-Karabach auf

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Nach der blutigen Niederschlagung der friedlichen zehntägigen Februar-Demonstration in der armenischen Hauptstadt Eriwan, hat das Parlament die Verhängung des Notstands seit dem 1. März gebilligt. Durch den Einsatz von Waffen der Polizei und des Militärs nach den Präsidentschaftswahlen vom 19. Februar kamen acht Demonstranten ums Lebens und 131 Personen wurden verletzt, erklärt Giorgi Gogia von Human Rights Watch am Dienstag in Tbilisi.

Der Protest begann, als Zehntausende Demonstranten von der politischen Opposition des unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Lewon Ter-Petrosjan am 20. Februar, kurz nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses, auf die Straße gingen, um die Wahlen anzufechten und dem vom scheidenden Präsidenten Robert Kotscharjan (1998-2008) unterstützten Kandidaten Sergej Sarkisjan Wahlbetrug vorzuwerfen.

Der Vorsitzende der konservativen Republikanischen Partei Sarkisjan hatte nach Auszählung der Stimmen 52% erlangt, während Lewon Ter-Petrosjan auf nur 21% der abgegebenen Stimmen kam. Die Wahl wurde von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) begleitet und als weitgehend demokratisch beurteilt. Inhaltlich ging es bei den Wahlen um die wirtschaftliche Lage des Landes sowie um den Status der Region Berg-Karabach im benachbarten Aserbeidschan (Ein unmoralisches Angebot).

In Anlehnung an die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos fordert die Regierung die gleiche Entwicklung für das mehrheitlich armenisch besiedelte Berg-Karabach. Ter-Petrosjan wurde 1998 wegen seiner Kompromissbereitschaft als erster Präsident nach der Unabhängigkeit 1991 gestürzt, da er den Friedensplan internationaler Vermittler, der Zugeständnisse an Aserbeidschan zur Lösung des Konfliktes vorsah, befürwortete. Der 1994 beendete Krieg kostete 30.000 Menschen das Leben und trieb 1 Million Menschen in die Flucht.

Friedlicher Demonstrationsbeginn mit Gewaltende

Die Demonstration verlief über 10 Tage zunächst friedlich, wobei sich die Demonstranten in Zelten auf dem Friedensplatz im Stadtzentrum Eriwans niedergelassen hatten. „Wir bekamen am Morgen des 1. März einen Anruf eines armenischen Demonstranten, dass in Eriwan der Ausnahmezustand um 9 Uhr 30 verhängt und die Menge durch Polizeikräfte auseinandergetrieben wurde. Dabei begann die Polizei, in die Luft zu schießen“, erklärt der Wissenschaftler von Human Rights Watch Giorgi Gogia in Tbilisi, Georgien.

Am Nachmittag des 2. März verschärften sich die Gewaltausschreitungen zwischen der Polizei und den Demonstranten, als die Polizei mit Wasserkanonen und scharfen Geschossen auf die Menge zielte. Nach Angaben der Regierung wurden dabei mindestens acht Demonstranten getötet, die Opposition gibt jedoch mehr Opfer an. Viele Demonstranten werden noch vermisst gemeldet.

Nach der Gewalteskalation schrieen einzelne Demonstranten nach „Rache, Neuwahlen und dem Rücktritt der Regierung“ und bewaffneten sich mit Steinen, Holzstäben aus Parkbänken und Eisenstäben, um die Sicherheitskräfte anzugreifen. Dabei bewegte sich die Menge in Richtung des Hauses des Kandidaten und ersten armenischen Präsidenten Ter Petrosjan (1991-1998), um das die Polizei bereits einen Schutzwall gebildet hatte. Ter Petrosjan war von der Staatsmacht unter Hausarrest gestellt worden, so dass dieser nach der Wahlniederlage seine Anhänger zum gewaltsamen Widerstand gegen die Staatsmacht aufgerufen hatte. Das Parlament hatte in der Folge mit 81 Stimmen von 131 Abgeordneten den Notstand in der Hauptstadt verhängt, wobei die Rechte auf Informations– und Versammlungsfreiheit gleichzeitig aufgehoben wurden. Die Demonstranten wollen nach Aushebung des Notstands die ursprünglich friedliche Demonstration fortführen.

Gefordert wird nun eine unabhängige Untersuchung der Regierung, warum das Militär und die Polizei Gewalt gegen die Demonstranten, die von ihrem Informationsrecht nach den Wahlen Gebrauch machten, eingesetzt hat. „Wir möchten die armenische Regierung auch darauf festlegen, nur legale Gewalt nach internationalen Standards einzusetzen“, sagte Gogia am Dienstag in Tbilisi. Die Regierung habe in erster Linie das Leben der Bürger zu schützen und Gewalt dürfe nur dann eingesetzt werden, wenn kein anderes Mittel zur Bewältigung der Krisensituation mehr infrage käme, so Gogia. Derzeit sei die Pressefreiheit in Eriwan eingeschränkt wie auch alle anderen Grundrechte außer Kraft gesetzt.