Gewalttätige US-Politik: Wie "Internationalismus" zum Schimpfwort wurde

Gemeinsames Training von japanischen, US-amerikanischen und indischen Spezialeinheiten 2021. Bild: Regierung von Japan / Public Domain

Interventionisten haben den Begriff pervertiert. Wer "humanitär" eingreift, ist gut, wer sich heraushält, schlecht. Eine Ideologiekritik der globalen US-Dominanz. Gastbeitrag.

Es gibt nur wenige Wörter, die in den heutigen außenpolitischen Debatten mehr missbraucht werden als "internationalistisch".

Daniel Larison ist Redakteur bei Antiwar.com und leitete zuvor die Zeitschrift The American Conservative.

Internationalismus sollte sich auf einen außenpolitischen Ansatz beziehen, der die friedliche Lösung von Konflikten, die Achtung des Völkerrechts, die Stärkung internationaler Institutionen und den weitestgehenden Verzicht auf Zwangsmaßnahmen in den Vordergrund stellt.

So wie er heute in Washington verwendet wird, bedeutet Internationalismus jedoch oft fast genau das Gegenteil. Es ist ein Euphemismus, den die Befürworter der amerikanischen "Führungsrolle" verwenden, um ihre bevorzugte Politik zu beschreiben, die darauf abzielt, Dominanz zu erlangen, anderen Staaten Bedingungen zu diktieren und routinemäßig Gewalt oder die Androhung von Gewalt anzuwenden, um ihren Willen durchzusetzen.

Die Bezeichnung Internationalist ist zu einem Code für die Unterstützung von Militarismus und der Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder geworden, was meilenweit von dem entfernt ist, was früher damit bezeichnet werden sollte.

Das Etikett "Internationalist" wird in der Regel zusammen mit dem Begriff "Isolationist" verwendet, um Kritiker der US-Außenpolitik abzutun. Damit man in Washington als Internationalist gelten kann, muss man den weitreichenden Einsatz US-amerikanischer Macht befürworten, einschließlich und insbesondere den Einsatz physischer Gewalt.

Wenn man Zweifel an der Weisheit oder Notwendigkeit dieses alles umfassenden Einsatzes von Macht äußert oder Fragen dazu stellt, ist das einer der schnellsten Wege, sich das Etikett "Isolationist" zu verdienen.

Nach dieser ins Gegenteil verkehrten Definition sind die sogenannten Internationalisten diejenigen, die versuchen, anderen Nationen den Willen Washingtons aufzuzwingen, während die "Isolationisten" diejenigen sind, die deren Rechte und Souveränität respektieren.

Selbst US-Präsidenten, die in der Regel eine Hardliner-Haltung eingenommen haben, werden des "Isolationismus" bezichtigt, wenn sie es "versäumen", irgendwo eine Militäraktion anzuordnen, wie wir bei Barack Obama und der von ihm angedrohten roten Linie im Jahr 2013 gegenüber Syrien gesehen haben. Gleichzeitig werden Präsidenten für ihren "Internationalismus" gelobt, wenn sie illegale Angriffe befehlen.

Es ist Standard, dass Analysten die Unterstützung für die Vorrangstellung der USA mit Internationalismus gleichsetzen. Anfang dieses Jahres veröffentlichte die Zeitschrift Foreign Policy einen langen Artikel von Ash Jain, in dem er verschiedene außenpolitische Lager klassifizierte und sie in "internationalistisch" oder "nicht-internationalistisch" einteilte.

In einem der bizarrsten Beispiele dafür, wie das funktioniert, wurden die "unilateralen Internationalisten", vertreten durch Leute wie John Bolton und Dick Cheney, zu den Internationalisten gezählt, weil sie Verfechter von internationaler Machtausübung gewesen sind, während die Zurückhaltenden als "nicht-internationalistisch" eingestuft werden, weil sie für weniger Einsatz und eine abgeschwächte globale Strategie sind.

Nichts könnte besser zeigen, wie absurd die heutige Verwendung des Begriffs "Internationalist" geworden ist, wenn jemand wie Bolton, der das Völkerrecht und die internationalen Institutionen verachtet, als Internationalist bezeichnet werden kann, während die Verfechter des Völkerrechts das nicht sind.

Die Gleichsetzung von Hegemonie-Befürwortung und Internationalismus geht auf die Neugestaltung der US-Außenpolitik im Zweiten Weltkrieg zurück. Wie Stephen Wertheim in "Tomorrow the World: The Birth of U.S. Global Supremacy" darlegte, "definierten US-Offizielle und Intellektuelle die militärisch gesicherte Vorherrschaft als Inbegriff des Internationalismus und Kernstück der internationalen Organisation neu".

Doppelstandards höhlen Völkerrecht aus

Die Neudefinition wurde vorgenommen, weil Internationalismus in der Vergangenheit etwas völlig anderes bedeutet hatte. Leider blieb diese Version bestehen, und das ältere Verständnis von Internationalismus geriet in Vergessenheit.

Das hatte langfristig schwerwiegende Folgen für die Außenpolitik der USA. Die Umdeutung des Internationalismus in ein Projekt der globalen Machtausübung nährte die schlimmsten Impulse der US-Politiker. Wie Wertheim feststellt, …

ist es etwas anderes, im Namen des Internationalismus die eigene Dominanz zu installieren. Sie macht die militärische Vorherrschaft einer Nation zur Voraussetzung für eine anständige Welt. Diese Art von Internationalismus leugnet, dass Waffengewalt die Zusammenarbeit behindern und andere provozieren kann. Sie schwächt auch den Wert internationaler Regeln und Gremien ab.

Ein solch deformierter, militarisierter Internationalismus wird keine stabilisierende Kraft sein, sondern oft zu einer Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit werden, die die Anhänger dieses Internationalismus zu verteidigen vorgeben.

Solange die führende Macht der Welt sich weigert, die Grenzen des Völkerrechts zu respektieren, wird sie immer eine destabilisierende Kraft in der Welt sein und zu künftigen Konflikten beitragen. Ein prinzipienfestes internationalistisches Weltbild erfordert, dass die USA nicht nur die Gesetze befolgen, deren Einhaltung sie von anderen erwarten, sondern dass sie auch sich selbst und ihre Verbündeten an die höchsten Standards halten.

Jeder Versuch, Ausnahmen zu machen oder Schlupflöcher für die USA und die mit ihnen verbündeten Staaten zu schaffen, wird dazu dienen, das Völkerrecht zu untergraben und weitere Verstöße zu fördern.

Genau das geschieht derzeit mit dem Krieg in Gaza, wo die USA das Völkerrecht zur Farce werden lassen, indem sie eine verheerende Militäroffensive ermöglichen, die bereits weit über 10.000 Zivilisten getötet hat.

Viele selbst ernannte Internationalisten berufen sich gerne auf das Völkerrecht und die UN-Charta, wenn es um Gegner der USA geht. Sie werden aber plötzlich stumm, wenn eine von den USA unterstützte Regierung beginnt, das internationale Recht ebenfalls mit Füßen zu treten.

Die Verfechter der "regelbasierten Ordnung" glauben offensichtlich nicht, dass das Völkerrecht für die USA und die von ihnen aufgerüsteten und unterstützten Regierungen gilt, und sie haben nicht die Absicht, irgendetwas zu unternehmen, um diejenigen, die unter ihnen die Regeln brechen, zur Rechenschaft zu ziehen.

Wenn die USA das Völkerrecht ernst nehmen wollen, können sie so nicht weitermachen. Washington darf einige Staaten nicht bevorzugen und ihnen einen Freifahrtschein für die Begehung schrecklicher Verbrechen ausstellen.

Die USA würden von der Wiederherstellung eines wirklich internationalistischen Ansatzes in der Welt sehr profitieren. Man würde sich immer noch durch Handel und Diplomatie mit der Welt austauschen und sich in ihr engagieren. Jedoch würden die USA eine weit weniger militarisierte und auf Zwang setzende Außenpolitik betreiben.

Da die Vereinigten Staaten in sehr wenigen Konflikten Partei ergreifen würden, wären sie in einer besseren Position, um in allen Konflikten, die auftreten, als echte und vertrauenswürdige Vermittler aufzutreten.

Machten die USA es sich zur Gewohnheit, sich an das Völkerrecht zu halten und es nicht selektiv mit Füßen zu treten, wenn es zweckmäßig ist, würden sie in den Hauptstädten der Welt wahrscheinlich ein viel aufgeschlosseneres Publikum finden, wenn sie um Unterstützung in einem Streit bitten.

Die USA würden sich nicht von der Welt abkapseln, aber sie würden sich auch nicht übermäßig engagieren und ständig in Kriege verwickeln, seien es ihre eigenen oder die ihrer Verbündeten.

Die Rückbesinnung auf einen Internationalismus, der Frieden und Zusammenarbeit den Vorzug gibt gegenüber dem Streben nach Dominanz und Rivalität, ist für die USA in den kommenden Jahrzehnten von entscheidender Bedeutung, um den globalen Bedrohungen durch Pandemien und Klimawandel zu begegnen.

Die Vereinigten Staaten von Amerika und die anderen Nationen der Welt können es sich nicht leisten, dieses Jahrhundert in fruchtlosen Wettkämpfen um die Vorherrschaft zu vergeuden. Zu diesem Zweck müssen die Amerikaner die internationalistische Tradition wiederentdecken, die in diesem Land vor einem Jahrhundert blühte.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.