Gewerkschaften fordern digitales Zutrittsrecht

Gewerkschaften kämpfen um den digitalen Zugang zu Beschäftigten. Das Bundesarbeitsgericht lehnt E-Mail-Adressen für Mitgliederwerbung ab. Doch was bedeutet das für Millionen im Homeoffice?
Die Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD nach der Bundestagswahl liefen gerade an, da gab es bereits Forderungen nach Regelungen zum digitalisierten Alltag. Ein breites Bündnis von Attac, Chaos Computer Club, Kirchen bis zu Gewerkschaften fordert von der neuen Bundesregierung die "Kontrolle von Online-Plattformen und eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung".
Die Initiative des digitalpolitischen Vereins D64 und des Chaos Computer Clubs (CCC) kritisiert die Marktmachtkonzentration der Tech-Unternehmen und die von ihnen eingesetzten polarisierenden Algorithmen und KI-Systeme. Wer wie und wann am Austausch teilhaben könne, liege in der Hand von Konzernen, was erhebliche Folgen für die Demokratie habe:
Das zeigt die massive Unterstützung von Musk mit seiner Plattform X für Trump und rechtsradikale Parteien in Europa, genauso wie Metas Abkehr von Faktenchecks und Hassrede-Moderation in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Trump.
Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT), die bereits 2018 die Verbreitungsgeschwindigkeit von über 126.000 Twitter-Nachrichten verglich, zeigte, dass Fake News sich im Schnitt sechsmal schneller verbreiten als faktenbasierte Informationen.
Digitalisierung im Betrieb ohne Zutrittsrecht der Gewerkschaften
Auch Diskussionen in Betrieben sind ohne Technik kaum denkbar. Um über Arbeitsrechte aufzuklären oder den Stand der Tarifverhandlungen darzustellen, setzen Gewerkschafter zwar weiter Flugblätter ein und führen Gespräche am Werkstor oder im Pausenraum. Manche Informationen müssen aber schnell in die Belegschaft getragen werden. Deshalb wird der E-Mail-Zugang für Gewerkschaften zunehmend wichtiger.
Um junge Beschäftigte für Gewerkschaften zu gewinnen, müssen die Kommunikationswege modern sein.
Die digitalen Möglichkeiten werden von den Jugendlichen weiterhin vielfältig und immer häufiger genutzt, dieser Trend ist ungebrochen.
Shell-Jugendstudie
Zur Kommunikation nutzen 95 Prozent der befragten jungen Menschen mindestens einmal täglich Messenger-Dienste. Gleich danach folgt mit 82 Prozent Social Media.
Gewerkschaften haben das Recht, bei einer Betriebsversammlung zu informieren. Dieses Zutrittsrecht müsse auch virtuell gelten, argumentiert Wolfgang Däubler, Arbeitsrechtsexperte aus Bremen. Die Arbeiter-Vertreter müssten deshalb auch Zugang zu digitalen betrieblichen Kommunikationsformen erhalten. Das Bundesarbeitsgericht sieht dies jedoch anders und entschied im Januar 2025 dagegen.
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) fordert vom Sportartikelhersteller Adidas die Bekanntgabe der dienstlichen E-Mail-Adressen seiner Arbeiter zum Zweck der Mitgliederwerbung. "Es ist ein ziemlich unwägbares Gelände, das wir hier betreten", sagt die Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts. Dem Unternehmen gaben die Richter Recht. Gewerkschafter widersprechen.
Beschäftigte im Homeoffice sind für Gewerkschaften kaum zu erreichen:
Nicht zuletzt deshalb, weil viele Unternehmen ihnen den digitalen Zugang zu den Menschen an ihrem Arbeitsplatz versperren. Das kommt nicht nur einer Kontaktbeschränkung gleich, es schwächt auch die Mitbestimmung. […] Weder dringen Gewerkschaften damit in die Privatsphäre der Beschäftigten ein, noch werden sie dadurch mit Spam-Mails zugeschüttet.
Karin Erhard, Hauptvorstand der IG BCE
"Wir sehen den Gesetzgeber gefordert", sagt ein Anwalt von Adidas – die Gewerkschaften sehen es ähnlich.
Regelungsbedarf beim Einsatz digitaler Technik ergibt sich auf verschiedenen Ebenen. "Öffentlich finanzierte Einrichtungen – Behörden, aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk –, die auf Social Media präsent sind, müssten die Vorgabe haben, mindestens eine Plattform zu bespielen, die nicht nach den kommerziellen Regeln der Gewinn- und Aufmerksamkeitsmaximierung tanzt", fordert Leena Simon, IT-Expertin und Autorin des Buchs "Digitale Mündigkeit".
Die Justiz in Brasilien führt einen entschlosseneren Kampf. Manche Portale werden wegen Gesetzesverstößen zeitweise gesperrt. Im bevölkerungsreichsten Staat Südamerikas sorgte die Plattform X für die massenhafte Verbreitung von Fehlinformation im Wahlkampf zwischen dem rechten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro und dem jetzigen Amtsträger Lula da Silva.
Eine besonders unrühmliche Rolle spielte X am 8. Januar 2023, als auf der Plattform extremistische Botschaften und Aufrufe zum Putsch gegen Lula in Windeseile verbreitet wurden. Behörden gehen seitdem gegen diese Fake News vor.
Seither liefert sich Elon Musk regelmäßig Fehden mit dem Obersten Gerichtshof, der in Brasilien über Fälle von Desinformation urteilt. Die Richter:innen ließen in Folge des Sturms auf die Regierungsgebäude Konten sperren, die Falschinformationen verbreiteten und die Demokratie untergraben hatten.
Katarine Flor, Verantwortliche für Öffentlichkeitsarbeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo
"Aktuell wäre es tatsächlich eine Chance, wenn eine kritische Masse von Menschen begreift, dass es so nicht weitergeht mit Social Media", sagt Leena Simon, die für die Bürgerrechtsorganisation Digitalcourage aktiv ist, zur Situation hierzulande.
Problematisch ist, dass "wir die Gestaltung und Auswahl unserer Blasen den großen Tech-Firmen und Tech-Milliardären überlassen. Die schubsen uns in Blasen, in die wir gar nicht reinwollten. Sie wollen uns Nutzerinnen möglichst lange auf den Plattformen halten, damit sie mit uns Geld verdienen können".