Gierflation nun auch bei Lebensmitteln
Preiserhöhungen: Allianz Trade wirft Lebensmittelherstellern Profitgier mit "übermäßigen Gewinnmitnahmen" vor. Warum Deutschland eine Sonderrolle einnimmt.
"Die Preise für Nahrungsmittel erhöhten sich im März 2023 um 22,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat", hat die Statistikbehörde Destatis kürzlich mitgeteilt.
Der Preisauftrieb für Nahrungsmittel hat sich damit sogar noch weiter verstärkt (Februar 2023: +21,8 Prozent; Januar 2023: +20,2 Prozent) und liegt mittlerweile dreimal so hoch wie die Gesamtteuerung.
Destatis
Die Teuerung für Lebensmittel ist inzwischen der zentrale Inflationstreiber, die Destatis nach dem "harmonisierten Verbraucherpreisindex" offiziell im März auf 7,8 Prozent beziffert. Energieprodukte hätten sich binnen Jahresfrist nur noch um 3,5 Prozent verteuert.
Die Lebensmittelpreise machen nun schon fast ein Drittel der Teuerung in Europa aus "in Deutschland sogar fast 40 Prozent", nachdem es im Vorjahr nur 20 Prozent gewesen seien, ist ein Ergebnis einer Analyse von Allianz Trade. Die Abteilung Makro‑ und Kapitalmarktresearch kommt zu dem Ergebnis, dass sogar ein Drittel der Teuerungen auf Gewinnmitnahmen der Hersteller beruhen.
Der Kreditversicherer kommt zu dem Ergebnis, dass die enormen Preissteigerungen eben nicht allein über gestiegene Rohstoffkosten und Energiepreise zu erklären sind.
Tatsächlich sind die Betriebskosten der Lebensmittelproduzenten und -einzelhändler ein Grund für das wachsende Ungleichgewicht zwischen vorgelagerten Rohstoff- und nachgelagerten Lebensmittelpreisen – allerdings nicht der einzige.
Aurélien Duthoit, Allianz-Trade
Der Branchenexperte Aurélien Duthoit macht als wichtigen weiteren Grund aus, dass insbesondere Lebensmittelhersteller "hungrig nach Profiten" seien. Die hätten die Preise noch "wesentlich stärker" als die Einzelhändler erhöht.
Der "unerklärliche Teil" der Teuerung
"Seit Mitte Mai 2022 können etwa zehn Prozent der Verteuerung der Lebensmittel in Europa in unserem Inflationsmodell nicht durch die historische Dynamik, Erzeuger- und Energiepreise erklärt werden", fügt sein Kollege Andy Jobst an. Der Inflationsexperte des Kreditversicherers führt aus, dass der "unerklärliche Teil" der Teuerung, wie sie die Gewinnmitnahmen nennen, noch "deutlich mehr als vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg" sei.
Damals lag dieser "unerklärte Teil" bei weniger als drei Prozent.
Für die Experten ist klar, dass die globalen Rohstoffpreise nicht dafür verantwortlich gemacht werden können. "Sie haben sich zuletzt deutlich abgekühlt und sind von ihren Höchstständen im Jahr 2022 stark zurückgegangen", erklären sie.
Mais ist zwar noch etwa 30 Prozent teurer als Anfang 2021 und Düngemittel sind weiterhin etwa 50 Prozent teurer als noch vor ein paar Jahren, aber Weizen und Sojabohnen notieren inzwischen auf dem Niveau von 2021.
Dass es auch die Energiepreise nicht sein können, hatte Telepolis zwischenzeitlich herausgearbeitet. Die waren ohnehin längst wieder gesunken und erreichten mit der erneut aufgebrochenen Bankenkrise neue Tiefstände. "Gas und Öl sind derzeit deutlich günstiger als vor dem Ukraine-Krieg", stellten wir fest.
Aber auch bei dieser Betrachtung wurde deutlich, dass auch diese Preissenkungen private Endkunden kaum erreichen. So ist es kein Wunder, dass zum Beispiel auch die Ölkonzerne weiter Rekordgewinne einfahren.
In Deutschland sei die Situation bei den Lebensmittelpreisen sogar noch "eklatanter" als im europäischen Durchschnitt, streicht Jobst heraus:
Mehr als ein Drittel des jüngsten Anstiegs der Lebensmittelpreise hierzulande können nicht mit den traditionellen Risikotreibern erklärt werden.
Die Anzeichen für Gewinnmitnahmen werden für ihn stärker und dazu kämen besonders starke Preissteigerungen in Bereichen mit unzureichendem Wettbewerb. Dafür nennt er zum Beispiel Hersteller von Milchprodukten und Eiern, aber auch um nicht‑saisonales Gemüse und Obst. Die Experten sprechen von "übermäßigen Gewinnmitnahmen", die zwar zu einem kleinen, "aber trotzdem bedeutenden Anteil zur Lebensmittelinflation im vergangenen Jahr" beigetragen hätten.
Lebensmittelbranche in der Kritik
Die Analyse von Allianz Trade ist nur die konkretisierte Bestätigung im Lebensmittelbereich, worüber wir längst berichtet hatten. So kam sogar eine Studie des ifo-Instituts zu dem Ergebnis, dass Unternehmen insgesamt die hohe Inflation als Ausrede nutzen, um ihre "Gewinne zu maximieren".
Das Münchner Institut hatte errechnet, dass nicht einmal die ohnehin schon spekulativ stark erhöhten Preise für Energie und Vorleistungen das Ausmaß der Inflation in Deutschland erklären können. Es wurde von "Gewinninflation" gesprochen, welche die allgemeine Inflation verstärkt antreibt.
Genannt wurden vom Ifo-Institut insbesondere die Land- und Forstwirtschaft, einschließlich Fischerei sowie das Baugewerbe oder auch Branchen wie Handel, Gastgewerbe und Verkehr. Sie alle hätten ihre Preise deutlich stärker erhöht, "als es aufgrund der gestiegenen Vorleistungspreise allein zu erwarten gewesen wäre".
Offensichtlich gilt das nun auch, wie von den Experten des Kreditversicherers herausgearbeitet wurde, für die Lebensmittelbranche. Dabei streicht die Analyse aber ebenfalls heraus, dass vor allem die Lebensmittelhersteller, vornehmlich die von verpackten Lebensmitteln, ihre Preise besonders deutlich erhöht hätten.
Aussichten für Deutschland
Lebensmittelproduzenten hätten in Deutschland 2022 rund 18,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr aufgeschlagen, im Lebensmitteleinzelhandel sei die Steigerung dagegen um 12,6 Prozent ausgefallen.
Dass Deutschland in den Vorgängen eine besondere Rolle einnimmt, erklärt dann auch, warum es hier zu Reallohnverlusten kommt, wie man sie nie zuvor gesehen hat.
Heute meldet das Statistische Bundesamt (Destatis), dass die Reallöhne im Jahr 2022 um 4,0 Prozent gegenüber 2021 gesunken sind, "nachdem sie sich bereits in den letzten beiden Krisenjahren rückläufig entwickelt hatten".
Die hohe Inflation, so sind sich auch die Experten Jobst und Duthoit einig, hat natürlich auch Rückwirkungen auf den Binnenkonsum und damit auf die Binnenkonjunktur.
"Wenn die Verbraucher mehr für Lebensmittel bezahlen, geben sie weniger Geld für andere Dinge aus, was eine wirtschaftliche Erholung verlangsamen könnte", sagt Jobst.
Ein weiterer Anstieg der Lebensmittelpreise um 20 Prozent könnte zu einem Rückgang der Konsumausgaben um fast 1 Prozentpunkt führen.
In Deutschland könnte das etwa 0,5 Prozentpunkte beim jährlichen Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) kosten. Dabei ist der nächste Preistreiber schon in Sicht, die anhaltende Dürre, die unter anderem Frankreich, aber auch Spanien fest im Griff hat, wo massive Ernteausfälle erwartet werden, welche die Preise auch für frisches Obst und Gemüse weiter stark antreiben werden.
Dabei sind wirtschaftlichen Aussichten nach Ansicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) für Deutschland unter den großen Industrieländern schon besonders schlecht. Der IWF hatte gerade seine Prognose für Deutschland weiter gesenkt.
Statt eines Minimalwachstums, das der Fonds zuvor prognostiziert hatte, erwartet der IWF jetzt für 2023 nun, dass die deutsche Wirtschaftsleistung bis Ende 2023 insgesamt um 0,1 Prozent schrumpfen wird. Noch schlechter steht nur Großbritannien dar, das noch tiefer in die Stagflation rutscht.
Die hohe Inflation zu bekämpfen würde deshalb auch bedeuten, die enormen Übergewinne abzuschöpfen, die in vielen Branchen anfallen. Doch anders als in anderen Ländern will die Ampel-Regierung nicht einmal etwas von einer Übergewinnsteuer hören, wie es sie in vielen Ländern längst gibt.
Allerdings sollen nach dem Gesetzesentwurf zum neuen Kartellrecht Gewinne aus wettbewerbswidrigem Verhalten alsbald abgeschöpft werden können. Wichtig wäre es allerdings auch, nachhaltig gegen Spekulationen vorzugehen, die die Preise ebenfalls ansteigen lassen.