Gift in Erdbeeren und Nudeln – Klage gegen Pestizide

Abwaschen lassen sich Pestizide leider nicht. Symbolbild: Leopictures auf Pixabay (Public Domain)
Lebensmittelproben geben Anlass zur Sorge. Umweltverbände haben juristische Schritt eingeleitet. Ziel ist ein konsequenter Ausstieg aus der Nutzung der gefährlichen Stoffe.
Potenziell krank machende Ackergifte werden nach wie vor in EU-Ländern eingesetzt – zum Teil auch völlig legal. Zum Beispiel sollte eigentlich die Zulassung für Glyphosat Ende 2022 [1] auslaufen, wurde aber dann doch noch einmal um ein Jahr verlängert.
Gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) geht nun die Verbraucherorganisation Foodwatch erstmals juristisch gegen Pestizide vor. So reichte die DUH kĂĽrzlich formal Widerspruch beim Bundesamt fĂĽr Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gegen die Zulassungen von fĂĽnf Pestizidmitteln ein.
Das ist ein Novum. Denn bislang war es Umweltverbänden nicht erlaubt, die Zulassung von Pestiziden gerichtlich zu überprüfen. Im November 2022 jedoch entschied der Europäische Gerichtshof, dass das Verbot von Verbandsklagen gegen Produktzulassungen EU-rechtswidrig sei.
Seither dürfen Umweltverbände gegen alle Zulassungen von Produkten mit schädlichen Umweltauswirkungen klagen. Das gilt insbesondere für Pestizide, die über Gewässer und Nahrungspflanzen nicht nur Tiere vergiften, sondern über die Nahrung auch in den menschlichen Körper gelangen. So ließ das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) allein im vergangenen Jahr 150 Pestizide zu, deren Wirkstoffe teils seit Jahren nicht mehr überprüft wurden.
Mit mehr als 50.000 Unterzeichnenden forderte Foodwatch [2] Agrarminister Cem Özdemir und das BVL auf, alle Pestizide, die keine abgeschlossene Risikobewertung haben, sofort vom Markt zu nehmen. Die Initiatoren fokussieren sich zunächst auf die fünf gefährlichsten Pestizidprodukte – wie zum Beispiel Gardo Gold von Syngenta und Roundup Powerflex von der Monsanto Deutschland GmbH [3].
Besonders der Wirkstoff Dimethomorph, der die Fortpflanzung gefährdet, steht in der Kritik. Neuere Studien zu Glyphosat und glyphosathaltigen Ackergiften bestätigen einmal mehr, wie gefährlich das Totalherbizid für Insekten ist, auch für so genannte Nützlinge wie Florfliegen, deren gefräßige Larven unter anderem Blattläuse vertilgen. Wie eine aktuelle Studie zeigt, werden die Larven der Florfliege durch die Herbizide massiv in ihrer Entwicklung beeinträchtigt bzw. sterben häufiger. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass auch andere Insekten ähnlich auf gylphosathaltige Mittel reagieren.
Zudem werteten Wissenschaftler eine Metastudie [4] mit knapp hundert Studien zur schädigenden Wirkung von Glyphosat auf menschliches Erbmaterial aus. Sie kamen zu dem Schluss, dass Glyphosat tatsächlich krebserregend ist und bekräftigen damit die Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Glyphosat bereits 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft hat. Eine weitere Studie [5] weist einen Zusammenhang zwischen Glyphosat oder glyphosathaltigen Mitteln und neurologischen Erkrankungen nach.
So steht das am häufigsten verwendete Unkrautvernichtungsmittel in Verdacht, die Gehirne von Säugetieren und somit auch von Menschen zu schädigen und somit Krankheiten wie Parkinson mitzuverursachen. Nachgewiesenermaßen schädigt der verbreitete Einsatz von Glyphosat die biologische Vielfalt. Indem das Totalherbizid alle Pflanzen abtötet, zerstört es auch die Lebensgrundlage vieler Insekten- und Vogelarten.
Pestizide in Nudeln und spanischen Erdbeeren
Bei einem Test von Nudeln vor zwei Jahren durch Öko-Test stellte sich heraus, dass mehr als die Hälfte der 19 Spaghettimarken im Test Spuren von Glyphosat enthielten. Zwar seien die sehr geringen Spurengehalte nicht akut gefährlich, schreiben die Öko-Test-Autoren. Doch eine andere Frage sei es, wie viel Anwender, Passanten oder Nachbarn davon eingeatmet hätten [6]. Ein Jahr später wurde in einem Test mit Fusili ebenfalls Spuren von Glyphosat gefunden [7]
Knapp 120.000 Tonnen Erdbeeren [8] werden laut Bundeszentrum für Ernährung jedes Jahr aus dem Ausland nach Deutschland, vor allem aus Spanien importiert. Kürzlich prüfte Öko-Test Früherdbeeren aus Spanien und Ägypten [9]. Dreizehn der getesteten Packungen kamen aus der spanischen Provinz Huelva, eine aus Ägypten. Auffällig war: Einige Erdbeeren enthielten ganze Pestizidcocktails, in anderen wies das Labor nicht einmal Spuren nach. Nur zwei Produkte wurden als "gut" bewertet.
Besonders auffällig sind die Pestizidcocktails [10] in einigen konventionellen Produkten, vor allem bei den Erdbeeren von Norma und Aldi Süd. So fand das Labor bei Norma gleich sieben Pestizide. In beiden Produkten steckten gleich mehrere besonders bedenkliche Spritzmittel oberhalb von Spuren-Gehalten.
Eines davon ist Ethirimol, ein bienentoxisches Fungizid, das in der EU eigentlich verboten ist und illegal gespritzt worden sein könnte, wie die Autoren vermuten. Es könnte sich aber auch um ein Abbauprodukt von Bupirimat handeln, das ebenfalls als krebserregend eingestuft wird - ähnlich wie das Insektizid Cyflumetofen, das die Tester in Erdbeeren fanden, die sie bei Penny kaufen. Spuren von Spinosad fanden die Tester auch in Bio-Erdbeeren. Dies ist im Bio-Anbau unter bestimmten Bedingungen zwar erlaubt, wird jedoch wegen seiner Giftigkeit für Bienen von Ökotest als problematisch bewertet [11]. Die anderen getesteten Bio-Früchte waren pestizidfrei.
Die mit Abstand schlechteste Ökobilanz haben hier verzehrte ägyptische Erdbeeren. Aus Spanien importierte Bio-Erdbeeren sind zwar weitestgehend pestizidfrei, doch sie verbrauchen – genau wie konventionelle Erdbeeren – im Anbau zu viel Wasser und verursachen hohe Emissionen [12] durch lange Transportwege.
Abdrift vergiftet Bienen, Regenwürmer und Vögel
Im Auftrag der Initiative "Enkeltaugliches Österreich" [13] stellten Wissenschaftler in verschiedenen Regionen im Osten Österreichs für mehrere Monate Luftfilter auf, um diese auf Pestizide zu untersuchen. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im September 2022 in einer Studie [14].
Insgesamt wurden 67 gefundene Pestizide im Hinblick auf ihre Nebenwirkungen auf Mensch und Umwelt analysiert. Anzahl und Konzentrationen der Stoffe seien abhängig von der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung in der Umgebung, erklärte Studienautor Johann Zaller [15]. Aber auch höhere Temperaturen förderten deren Verbreitung, so der Wissenschaftler an der Universität für Bodenkultur Wien. Viele der gefundenen Stoffe stufen die Wissenschaftler als giftig für Bienen, Regenwürmer und Vögel ein.
Sogar in Nationalparks fanden sie bis zu 33 giftige Wirkstoffe. Dies sei besonders brisant, weil in diesen Gebieten eigentlich gefährdete Pflanzen und Tiere geschützt werden sollen. Etwa die Hälfte der gefundenen Pestizide stuften die Wissenschaftler als schädlich für die menschliche Gesundheit ein: Sie reizen Schleimhaut und Haut, stören das Hormonsystem und schädigen die Fortpflanzungsfähigkeit. Ein Viertel der gefundenen Substanzen habe krebserregendes Potenzial.
Zwar seien die Konzentrationen der Pestizide in der Luft oft gering, doch selbst kleinste Mengen bergen ein Gesundheitsrisiko und können über lange Zeit Wohlbefinden und Gesundheit beeinträchtigen, weiß Hans-Peter Hutter [16], Umweltmediziner an der Medizinischen Universität Wien.
Die Wissenschaftler waren überrascht, über welche Strecken und wie breitflächig sich die Ackergifte von ihrem Ausbringungsort aus verbreitet hatten. Generell fände die Verbreitung von Pestiziden in der Luft und deren gesundheitliche Schäden bei der Zulassung von Pestiziden zu wenig Beachtung, erklären sie. Dieses Problem ließe sich nur mit einer Umstellung auf ökologischen Landbau lösen [17].
Im Vergleich zu synthetischen sind natĂĽrliche Pestizide harmlos
55 Prozent der rund 260 meist synthetischen Pestizidwirkstoffe können für Gesundheit oder Umwelt gefährlich sein; bei den 134 natürlichen Wirkstoffen sind es nur drei Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Dezember veröffentlichte Studie [18] der Initiative Global 2000, die im Auftrag des Europäischen Dachverbandes der Biolandwirtschaft synthetische mit natürlichen Pestiziden, die im Ökolandbau eingesetzt werden, miteinander verglich.
Demnach tragen 16 Prozent der konventionellen Pflanzenschutzmittel Warnhinweise über mögliche Schäden für das ungeborene Kind, den Verdacht auf Karzinogenität oder akute tödliche Wirkungen. Die im Ökolandbau zugelassenen Mittel tragen keinerlei derartige Kennzeichnung. Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA [19]) hielt für 93 Prozent der konventionellen Wirkstoffe die Festlegung ernährungs- und arbeitsmedizinischer Richtwerte für angebracht, jedoch nur bei sieben Prozent der natürlichen Wirkstoffe.
Erstautor Helmut Burtscher-Schaden überraschen diese Unterschiede nicht. Rund 90 Prozent der konventionellen Pestizide seien chemisch-synthetischen Ursprungs, erklärt der Biochemiker. Bei einem Großteil der natürlichen Wirkstoffe – konkret bei 56 Prozent der zugelassenen Biopestizide – handelt es sich eher um lebende, ungefährliche Mikroorganismen. Weitere 19 Prozent der Biopestizide seien von vornherein als "Wirkstoffe mit geringem Risiko" (etwa Backpulver) eingestuft oder als Grundstoffe (Sonnenblumenöl, Essig, Milch) zugelassen.
Weil Biobetriebe sich eher auf vorbeugende Maßnahmen konzentrieren, werden auf rund 90 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Flächen weder künstliche noch natürliche Stoffe eingesetzt. Jennifer Lewis, Direktorin des Dachverbands der Hersteller biologischer Pflanzenschutzmittel (IBMA [20]), verwies auf die "enormen Potenziale" [21], die natürliche Pflanzenschutzmittel und -methoden sowohl für die konventionelle Landwirtschaft als auch für die Biolandwirtschaft haben.
Die Zulassungsverfahren für die biologische Schädlingsbekämpfung sollten daher beschleunigt werden. Derzeit werden natürliche Wirkstoffe in ihrem Risiko völlig überbewertet, die Risiken chemisch-synthetischer Pestizide jedoch deutlich unterschätzt, kritisiert Bio Austria [22], Netzwerk der Biobauern in Österreich, mit Verweis auf den aktuellen EU-Verordnungsentwurf zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln.
FĂĽr eine pestizidfreie Landwirtschaft bis 2035
Im Juni 2022 brachte die EU-Kommission ein ambitioniertes Naturschutzpaket auf den Weg, mit dem Ziel, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Dafür soll der Ökolandbau EU-weit um ein Viertel ausgeweitet werden. Auch Umweltverbände, Verbraucherorganisationen, aber auch die europäische Bürgerinitiative "Save Bees and Farmers" fordern, die Ackergifte bis 2030 deutlich zu reduzieren. Damit das gelingen kann, braucht es eine wirksame Ausstiegsstrategie aus der Pestizid-Landwirtschaft.
Wie die aussehen könnte, zeigt foodwatch in seinem Report "Locked-in Pestizide": Neben einer EU-weiten Pestizidsteuer fordert die Initiative die Reformierung der Zulassungspraxis für Pestizide und eine Umverteilung der EU-Agrarsubventionen. Die Anwendungen von Pestiziden müssten auf ihre absolute Notwendigkeit hin überprüft werden, fordern die Autoren. Um wirtschaftliche Einbußen zu vermeiden, könnte man die Auszahlung von EU-Agrarsubventionen an den Verzicht auf Pestizide knüpfen [23].
Inzwischen kommt massiver Gegenwind von Agrarindustrie und den EU-Agrarministern. Sie suggerieren, die Reduktion von Pestiziden würde die Ernährungssicherheit gefährden, da die Ernteerträge geringer seien. So warnen Pestizidhersteller wie Bayer, Syngenta und Corteva vor ökologischen Zielkonflikten, die mit einer Zunahme der Biolandwirtschaft einhergingen, während gleichzeitig das Gesamtvolumen der Pestizideinsätze in Europa steige.
Das Gegenteil ist richtig: Nur gesunde Ökosysteme garantieren eine resiliente und nachhaltige Landwirtschaft. Doch leider fällt die Argumentation der Agrarlobby auf fruchtbaren Boden. Denn die EU-Agrarminister schieben die Umsetzung des Naturschutz-Vorhabens auf die lange Bank mit der Begründung, die EU-Kommission habe nicht genug Daten bereitgestellt. Ein klassisches Ablenkungsmanöver, um auf Zeit zu spielen, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) [24].
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[1] https://www.spiegel.de/wirtschaft/glyphosat-pestizid-darf-in-der-eu-ein-jahr-laenger-genutzt-werden-a-08029879-e263-4c2a-a948-050f25a9d467
[2] https://www.foodwatch.org/de/mitmachen/ungepruefte-pestizide-augen-auf-cem-oezdemir/
[3] https://www.foodwatch.org/de/aktuelle-nachrichten/2023/foodwatch-klagt-gegen-zulassung-von-pestiziden/
[4] https://www.mdpi.com/2813-3145/2/1/5
[5] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0013935122012609?via%3Dihub
[6] https://www.oekotest.de/essen-trinken/Spaghetti-Test-Glyphosat-in-mehr-als-der-Haelfte-der-Produkte_11673_1.html
[7] https://www.oekotest.de/essen-trinken/Fusilli-Test-Labor-stoesst-auf-Mineraloel-und-Glyphosat_12492_1.html
[8] https://www.bzfe.de/lebensmittel/vom-acker-bis-zum-teller/erdbeeren/erdbeeren-erzeugung/
[9] https://www.oekotest.de/essen-trinken/Erdbeeren-im-Gratis-Test-Haeufig-mit-Pestiziden-belastet-und-schlecht-fuers-Klima_13722_1.html
[10] https://www.oekotest.de/freizeit-technik/Rosen-im-Test-Die-meisten-strotzen-nur-so-vor-Pestiziden_13490_1.html
[11] https://www.oekotest.de/essen-trinken/Erdbeeren-im-Gratis-Test-Oft-mit-Pestiziden-belastet--und-schlecht-fuers-Klima_13722_1.html
[12] https://www.geo.de/wissen/ernaehrung/warum-sie-keine-frueherdbeeren-kaufen-sollten-33392804.html?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
[13] https://www.etoe.at/
[14] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969722031096
[15] https://forschung.boku.ac.at/fis/suchen.person_uebersicht?id_in=6415&menue_id_in=101&sprache_in=de
[16] https://zph.meduniwien.ac.at/umwelthygiene/allgemeine-informationen/mitarbeiterinnen/hans-peter-hutter/
[17] https://science.orf.at/stories/3213609/
[18] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9783316/
[19] https://www.efsa.europa.eu/de
[20] https://ibma-global.org/
[21] https://science.orf.at/stories/3217831/
[22] https://www.bio-austria.at/
[23] https://www.foodwatch.org/de/pressemitteilungen/2022/foodwatch-stellt-strategie-fuer-pestizid-ausstieg-bis-2035-vor-eu-weite-pestizidsteuer-als-erster-schritt/
[24] https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/green-deal-in-gefahr/
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