Giftige Algen – wachsende Gefahr in Meeren und Seen
Blüte von Cyanobakterien (Blaualgenblüte) in einem Baggersee in Niedersachsen. Bild: Christian Fischer / CC-BY-SA-3.0
Weltweit nimmt die Algenplage zu. Die toxischen Stoffe darin gefährden nicht nur Badeurlauber, sondern ganze Ökosysteme. Doch mit Algen lassen sich auch Äcker düngen.
Der Farbton der Meere verschiebt sich immer mehr von Blau in Richtung Grün. Besonders in den niedrigen Breiten seien die Ozeane während der letzten zwanzig Jahren grüner geworden. Zu dieser Erkenntnis kommt eine im Juli im Fachmagazin Nature erschienenen Studie britisch-amerikanischer Wissenschaftler.
Wie eine bereits im März veröffentlichte Studie chinesischer und amerikanischer Wissenschaftler zeigt, treten Algenblüten weltweit um 60 Prozent häufiger auf als noch vor 20 Jahren. Im Zeitraum von 2003 bis 2020 kartierten die Forscher auf der Basis von Satellitendaten die tägliche Algenblüte in Küstengebieten weltweit.
Demnach traten Algenblüten in 126 von 153 untersuchten Küstenländern auf. Während des gesamten Untersuchungszeitraum nahm die räumliche Ausdehnung und Häufigkeit der Blüten deutlich zu. Darüber hinaus wiesen die Forscher einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Algenblüte und der Ozeanzirkulation einerseits sowie zwischen Algenwachstum und steigender Meeresoberflächentemperatur andererseits nach.
Beide Studien beziehen sich lediglich auf das Phytoplankton – das sind kleine einzellige Algen, die sich bei einer Algenblüte zu großen schleimigen Algenmatten verbinden. Daneben gibt es die größeren Makro-Algen, die man in die Hand nehmen kann. Auch bei ihnen verstärkt sich der Trend zur vermehrten Algenblüte. Andere einzellige Mikro-Algen können Nervengifte freisetzen, die sich in den Meerestieren anreichern. Wenn sie absterben, hinterlassen sie tote Zonen in den Meeren.
Seit den 1960er-Jahren ist auch in der Ostsee die Algenblüte stetig gewachsen und trübt vielerorts das Badevergnügen. Gleichzeitig hat sich die Ostsee um 1,5 Grad in den letzten 50 Jahren erwärmt – dreimal so viel wie in anderen Meeren. Eine Ursache ist der Nährstoffeintrag aus der intensiven Landwirtschaft, die in Küstennähe betrieben wird.
Die hieraus eingetragenen Nährstoffe bleiben lange im Wasser vor Ort und verteilen sich nicht auf die Weltmeere. Hinzu kommt, dass die Ostsee kaum Wasser mit dem offenen Ozean austauscht. Die Algen, die zunächst wachsen, sterben irgendwann ab und werden im Meer zersetzt – ein Prozess, der Sauerstoff verbraucht und in der Ostsee regelmäßig zu großem Fischsterben führt.
Was wir bisher nur vom Land kennen, die typische Eutrophierung, wenn ein See umkippt, das passiert inzwischen auch in den Meeren, erklärt Algenforscher Florian Weinberger. Er sieht dies als ein Zeichen, dass die Selbstreinigungskräfte der Ozeane irgendwann erschöpft sein werden.
Braunalge wächst sich in der Karibik zur Plage aus
Der sogenannte Great Atlantic Sargassum Belt, der im Nordatlantik von Westafrika bis zum Golf von Mexiko treibt, wird seit Jahren immer größer. Wie eine 2019 veröffentlichte Studie im Fachmagazin Science zeigt, erstreckt sich er 8.000 Kilometer lange Algengürtel inzwischen quer durch den Atlantik.
Als die "Brown Tide" vor rund zehn Jahren erstmals an die karibischen und westafrikanischen Küsten schwappte, verfilzten die Braunalgen in der Brandung und am Strand zu einem stinkenden Teppich, der sich meterhoch über die Strände legte und alles Leben darunter tötete.
In der gammelnden Algenflut sterben nicht nur unzählige Fische und wirbellose Tiere, auch Schildkröten und Delfine sind in ihr gefangen. Die Beseitigung der an die Küsten angeschwemmten Algen kostet die betroffenen Gemeinden viel Geld, auch sind die Urlauberzahlen dramatisch eingebrochen.
Hauptursachen sind Klimawandel und Abholzung
Die wachsende Masse an Algen in der Karibik hängen mit Zerstörung der Regenwälder am Amazonas und am Kongo zusammen, glauben viele Experten. In beiden Flussbecken werde in großem Stil Wälder gerodet, um Landwirtschaft zu betreiben. Beide Flüsse münden in den Südatlantik, von dort strömt das Wasser in Richtung Karibik.
Außerdem gelangt eine große Menge an Dünger und erodierten Böden über die Flüsse ins Meer. Gleichzeitig erwärme sich dieses immer weiter. All das lässt das die Algen kräftig wachsen. Das wirkt sich auch auf die menschliche Gesundheit aus: Algenblüten akkumulieren bestimmte Metalle, zum Beispiel Arsen. Verwesen die Algen am Strand, werden die Inhalts- und damit die Giftstoffe freigesetzt, erklärt Algenforscher Florian Weinberger gegenüber dem SWR.
Dies kann zu Hautreizungen, Ausschlag und schweren grippeähnlichen Symptomen führen. Die einzelligen Mikroalgen wiederum können Nervengifte freisetzen. Die Gifte reichern sich zudem in Fischen, Muscheln oder Krabben an, die sich von den Algen ernähren. Der Verzehr der kontaminierten Meerestiere kann zu Lähmungen führen und auch tödlich sein.
Solche Algenblüten treten zum Beispiel seit Jahren vermehrt vor der Küste Alaskas auf. Unter Algenblüten leidet Australien oder die Bretagne. Bereits seit 30 Jahren werden hier an vielen Stränden Grünalgen mit dem Namen "Ulva armoricana" angespült. Verwesen sie in Sand und Schlick, entsteht hochgiftiger Schwefelwasserstoff. Hunde, Wildschweine, ein Pferd und sogar Menschen sollen daran gestorben sein.
Blaualgen in deutschen Binnengewässern
Von den Blaualgen (Cyanobakterien) existieren rund tausend verschiedene Gattungen. Neben sogenannten planktischen Arten, die frei im Wasser schwimmen, besiedeln benthische Cyanobakterien den Seegrund. Die blaugrünen, gelben, rötlich-braunen oder violetten Algen produzieren durch Photosynthese Sauerstoff. Einige Arten erzeugen auch gesundheitsschädliche Gifte.
Von den 40 bekannten Arten kommen etwa ein Dutzend in Deutschland vor. Laut Umweltbundesamt wurden deutschlandweit 84 Mal Badegewässer wegen Blaualgenwarnung gesperrt. Auch in diesem Jahr waren bundesweit Seen, etwa in Brandenburg, Niedersachsen, NRW und Bayern betroffen. Als Ursache werden steigende Temperaturen genannt, die das Auftreten giftiger Arten fördern. Blaualgen sind normalerweise harmlos. Erst wenn sie sich stark vermehren, können einige Arten giftig sein.
Bei Kontakt mit der Haut kann diese gereizt reagieren, auch Übelkeit, Erbrechen, Durchfall oder Atemnot sind möglich. In den Binnengewässern führt ein hoher Nährstoffgehalt – zum Beispiel durch Abwässer mit Waschmittelrückständen zu deren Vermehrung. Sterben die Massen von Blaualgen ab, werden Bakterien abgebaut und eine große Menge Sauerstoff verbraucht. Wegen des Sauerstoffmangels kann es zu einem Fischsterben kommen.
Kombiniert mit steigender Wassertemperatur können Blaualgen, welche grüne Schlieren unter der Wasseroberfläche bilden, rasant wachsen. Normalerweise tauchen sie erst im Spätsommer auf. Am Bordesholmer See und am Wittensee im Landkreis Rendsburg-Eckernförde wurden sie in diesem Jahr jedoch bereits Anfang Juni gesichtet.
Als Grund für das frühe Auftreten wird die intensive Sonneneinstrahlung der vorausgegangenen Wochen genannt. Mit zunehmender Zahl an Sonnentagen erreicht nun auch mehr Licht den tiefen Seegrund. Weil ihr Gift sie vor schädlicher UV-Strahlung schützt, sind die giftigen Arten im Vorteil.
Zahl vergifteter Tiere nimmt zu
Am Mandichosee bei Augsburg sorgt die giftige Tychonema-Blaualge regelmäßig für Badewarnungen. 2019 sei sie das erste Mal aufgetreten, seitdem verbreitet sie sich immer weiter, erklärt Franziska Bauer im Interview mit der Tagesschau. Die Biologin forscht am Lehrstuhl für Aquatische Biologie an der Technischen Universität München. Für ihre aktuelle Studie zur Blaualgen-Verbreitung in Badeseen analysierte sie Wasserproben aus 34 bayerischen Seen.
Die Messwerte überstiegen in Einzelfällen die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Ergebnisse zeigen, dass die bisher selten vorkommenden Giftstoffe ein breites Monitoring erfordern, erklärt Systembiologe Jürgen Geist. Er und sein Team beobachten an der limnologischen Station in Iffeldorf die klimabedingten Veränderungen und sind gerade dabei, ein Frühwarnsystem zu entwickeln.
Der muffige Geruch schaumiger Algenfetzen zieht Hunde an. Drei Tiere verendeten 2019 durch eine Anatoxin-Vergiftung am Mandichosee. Bereits 2017 belegte eine Studie des Umweltbundesamtes am Tegeler See bei Berlin eine Anatoxinvergiftung bei zwölf Hunden, die Dunkelziffer ist vermutlich höher.
Weltweit registrierten Biologen seit den 1990er Jahren eine Zunahme solcher Vorfälle. Stickstoff und Phosphat aus Landwirtschaft und Industrieabwässern fördern die explosionsartige Vermehrung giftiger Blaualgen. Bei zunehmendem Niedrigwasser, aber auch nach Starkregen macht sich dies mancherorts bereits im Frühjahr bemerkbar. Das kann zu Badeverbote bis in den Herbst führen. Eine effiziente Lösung wäre, den Nährstoffeintrag in Flüssn und Seen deutlich zu senken.
Algen als Dünger und Nahrung
Grundsätzlich sind Algen als Grundlage der Nahrungskette wichtig für die Meere. Zudem binden sie große Mengen an Kohlendioxid. Sie werden erst zum Problem, wenn sie sich explosionsartig vermehren.
Allerdings gibt es inzwischen auch einige Ideen, Algenblüten produktiv zu nutzen. Als natürlicher Dünger erhöhen Algen die Fruchtbarkeit der Böden. Algen zu Dünger zu verarbeiten, damit experimentieren Gerhard van Hoorn und sein Team vom Ökowerk Emden bereits seit einigen Jahren. Sie sammeln Blasentang entlang des Emder Ems-Deichs ein befreien ihn von Müll und breiten ihn zum Trocknen aus, bevor er zerkleinert und getrocknet wird. Aus einer Tonne Blasentang entstehen am Ende 100 Kilogramm Puder für den Dünger.
Viele Algen sind essbar – und in der Ökobilanz viel besser als Fleisch oder Fisch. Diese Art von Algen muss allerdings gezüchtet werden.
Glaubt man der schwedischen Geologin Vivi Vajda, profitieren Algen auch von ökologischen Katastrophen. Denn häufig, wenn in der Erdgeschichte große Ökosysteme zusammenbrachen, waren Algen die Gewinner. Als vor 65 Millionen Jahren vermutlich infolge eines Meteoriteneinschlags die großen Dinosaurier ausstarben, vermehrten sich weltweit Mikro-Algen.
Als vor 250 Millionen Jahren – an der Perm-Trias-Grenze – 80 bis 90 Prozent der großen kohlebildenden Sumpfwälder verbrannten, starben alle Tier- und Pflanzenarten aus. Die Wissenschaftlerin sieht hier deutlich Parallelen zur Gegenwart: Brennende Wälder, erodierende Böden, starker CO2-Anstieg, massiver Nährstoffeintrag in die Gewässer – derzeit ahmen die Menschen nach, was bei früheren Massenaussterben geschah.