"Gigantische Auswirkungen"
Polen plant einen neuen Hafen vor der Insel Usedom. Betroffen sind auch der Ausbau der Oder und ein neues Terminal für Flüssigerdgas.
Hier fühlen sich Elche, Wölfe, Seeadler, Kegelrobben oder Seggenrohrsänger noch wohl: Das Oder-Delta ist eine der artenreichsten Landschaften im nördlichen Mitteleuropa. Drei Oder- Abflüsse gibt es bei den Inseln Wolin und Usedom in die Ostsee, die Peene im Westen, die Dziwna (deutsch Dievenow) im Osten, dazwischen die Swine. Vor den Oderabflüssen liegt das fischreiche Oderhaff, die zweitgrößte Lagune der Ostsee. Salzwiesen, Schilfgürtel, Trockengebiete, Moore, Buchenwälder - das grenzübergreifende Naturschutzprogramm "Rewilding Oder Delta" [1] will dafür sorgen, dass dieser besondere Lebensraum noch besser geschützt wird.
Einerseits. Andererseits will Polen genau hier einen riesigen Container-Hafen bauen. "Das Verfahren zum Abschluss eines Vorvertrages … wurde am 6. Juli 2021 eingeleitet", heißt es in der Antwort der Regierung [2] auf die Anfrage einer Gruppe von grünen Abgeordneten im polnischen Parlament.
Direkt an der Mündung der Swine, dem Oderabfluss zwischen Usedom und der Insel Wolin, soll ein 1,3 Kilometer langes Container-Terminal in die Ostsee gebaut werden. Ausgelegt ist die Anlage für jährlich zwei Millionen 20-Fuß-Standardcontainer. Przemysław Słowik, Ko- Vorsitzender der Partia Zieloni [3], der grünen Partei in Polen, sagt: "Es soll die gewaltige Summe von 3,5 Milliarden Złoty investiert werden." Nach dem aktuellen Umrechnungskurs wären das 750 Millionen Euro.
Einerseits werden Millionen [4] in den Naturschutz und die Wiederansiedlung von Luchs, Stör oder Wisent investiert. Andererseits soll ein riesiger Hafenkomplex entstehen: Bereits heute ist der Hafen Swinoujscie (Swinemünde) der größte auf trockene Massengüter spezialisierte Umschlagplatz in Polen und einer der modernsten Fährhäfen in der Ostsee ist.
Die Stadt Swinoujscie liegt auf der Insel Usedom, das Container-Terminal soll auf der gegenüberliegenden Swine-Seite realisiert werden, wo es bereits eine Hafenanlage für Flüssigerdgas, dem in diesen Kriegszeiten vieldiskutierten LNG [5], gibt. Wenn jetzt noch ein Container-Terminal dazu kommt, muss auch an Land neue Infrastruktur erbaut werden – Straßen, Bahnanlagen, Wohnungen für die Mitarbeiter.
Polen ignoriert Vorgaben des Umweltschutzes
"Die polnische Regierung sucht derzeit einen Investor für das Projekt", sagt die bündnisgrüne Europaabgeordnete Hannah Neumann [6]. "Wir sind nicht grundsätzlich gegen das Projekt." Weil aber Polen und Deutschland in der Metropolenregion Szczecin (Stettin) [7] sehr eng miteinander verzahnt seien, müssten beide Länder das Projekt auch gemeinsam voranbringen. Das verweigere Polen aber, nicht einmal eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung sei geplant. "Ein so riesiges Terminal hat auch auf dem Land, also auch in Deutschland, gigantische Auswirkungen, schließlich müssen die Güter ja abtransportiert werden."
Deshalb hat Neumann gemeinsam mit dem linken Europapolitiker Helmut Scholz [8] ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass die Umweltverträglichkeit des Projektes prüft. "Bekannt vom geplanten Terminal sind nur Kerndaten, deshalb mussten wir mit einigen Annahmen arbeiten", sagt Bastian Schuchardt [9], einer der Gutachter.
In der Ostsee muss demnach ein riesiger Steinwall als Wellenbrecher aufgeschüttet, mindestens 20 Millionen Kubikmeter Meeresgrund abgetragen werden, um die neue Einfahrt zu schaffen. "Die Baumaßnahmen liegen unmittelbar in einem Vogelschutz und einem FFH- Gebiet", so Schuchardt.
Mit dem Terminal erhöhe sich die Anzahl der Schiffe, die in diese Richtung fahren, um 50 Prozent. "Es sind vor allem sehr viel größere Schiffe", sagt der Gutachter, die maritimen Auswirkungen würden sich nicht auf die Pommersche Bucht vor den Zwillingsinseln Wolin und Usedom beschränken. "Besonders betroffen sein wird beispielsweise die Insel Rügen, vor der es 50 Prozent mehr Schiffsverkehr geben wird". Schuchardt erinnert daran, dass dort die östliche Population des Schweinswals [10] lebt, von der es nur noch wenige hundert Exemplare gibt.
"Dank dieses Gutachtens bekommen wir zum ersten Mal einen Einblick, wie stark die polnische Umwelt durch das Projekt betroffen ist", sagt der Grünen-Politiker Przemysław Słowik, der auch Mitglied des Stadtrats von Stettin ist. Słowik kritisiert die polnische Informationspolitik, "wir haben viele Fragen an die Behörden", und er droht einem potentiellen Investor mit dem Europäischen Gerichtshof. Erst im September hatte der EuGH Polen zu einer Strafe von täglich 500.000 Euro [11] verurteilt, weil der Tagebau Turow an der Grenze zu Sachsen und Tschechien ohne Umweltverträglichkeitsprüfung erweitert wurde.
Ausbau der Oder
Für Gutachter Bastian Schuchardt ist "absolut klar", dass ein solcher Container-Hafen nur mit einer grenzübergreifenden Umweltverträglichkeitsprüfung gebaut werden kann. Schuchardt weist aber noch auf eine andere Baustelle hin, nämlich den Ausbau der Oder [12]: "Das sind zwei Vorhaben, die sich gegenseitig verstärken".
Viele der angelieferten Container sollen über den Grenzfluss zu Deutschland ins Landesinnere verschifft werden. Polen hatte im März damit begonnen, auf einem Abschnitt von 15 Kilometer Länge 60 Buhnen komplett zu erneuern. Dadurch soll die Fließgeschwindigkeit erhöht werden, damit sich der Fluss tiefer eingräbt und so ein tieferes Fahrwasser ermöglicht.
Allerdings hat das gravierende Auswirkungen auf die Natur. "Wenn die Oder tiefer fließt, zieht sie das letzte Wasser aus den Auen", erklärt Michael Tautenhahn, stellvertretender Leiter des Nationalparks "Unteres Odertal". Wenn die Auen trocken fallen, zerstört das den einzigen Auen-Nationalpark Deutschlands. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) hatte deshalb Widerspruch gegen die Arbeiten am Grenzfluss eingelegt. Trotzdem rollen die Bagger weiter.
Und auch am geplanten Hafenstandort wird derzeit schon gearbeitet: Für 426 Millionen Euro baut der österreichische Baukonzern PORR den bestehenden Flüssiggas-Hafen aus [13]. Der war 2011 an der Nordwestspitze der Insel Wolin begonnen worden, seit 2015 liefert das "Lech-Kaczyński"-Terminal Erdgas [14]. Die Kapazität zur Wiederverdampfung liegt bislang bei fünf Milliarden Kubikmeter pro Jahr, jetzt soll sie bis 2023 auf 8,3 Milliarden ausgebaut werden.
"Angesichts des Ukraine-Krieges begrüßenswert", sagt Helmut Scholz, Europaabgeordneter der Linken, "das bedeutet aber auch, es werden ohnehin mehr Schiffe anlegen, es wird noch mehr Druck auf die Umwelt geben". Beteiligt am Ausbau ist auch der deutsche Konzern TGE Gas Engineering. Denkbar ist, eine Leitung vom LNG-Terminal nach Deutschland zu verlegen, denn die Koppelstelle, an der die wegen des Ukraine-Krieges nicht mehr genutzte Leitung Nordstream 2 ankommt, liegt nur 50 Kilometer Luftlinie entfernt.
Allerdings müsste diese Pipeline durch den Naturpark Usedom [15] verlegt werden. Zu dem gehören auch das Achterwasser, der Nordteil des Stettiner Haffs, die Flachwasserbereiche der Ostsee an der Peenemündung. Ein neuer Hafen für Container ist für Naturschützer genauso ein Horrorszenario, wie eine Erdgasleitung über die "grüne Insel".
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[1] https://rewildingeurope.com/areas/oder-delta/
[2] https://orka2.sejm.gov.pl/INT9.nsf/klucz/ATTC7PH89/$FILE/i26384-o1_1.pdf
[3] https://partiazieloni.pl/
[4] https://rewilding-oder-delta.com/news/deutsche-postcode-lotterie-unterstuetzt-grenzueberschreitende-naturschutzarbeit/
[5] https://www.dvgw.de/themen/gas/gase-und-gasbeschaffenheit/liquefied-natural-gas-lng
[6] https://www.hannahneumann.eu/
[7] https://www.kooperation-ohne-grenzen.de/de/instrumente-der-kooperation/metropolregion/
[8] https://www.helmutscholz.eu/
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Bastian_Schuchardt
[10] https://www.ruegen-aktuell.de/2019/06/der-ostsee-schweinswal/
[11] https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=246301&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1
[12] https://www.heise.de/tp/features/Vom-lebendigen-Fluss-zum-genormten-Kanal-5022071.html
[13] https://www.gtai.de/de/trade/polen/entwicklungsprojekte/ausbau-des-lng-terminals-am-hafen-von-swinemuende-271310
[14] https://terminallng.gaz-system.pl/en/
[15] http://www.naturpark-usedom.de
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