Gleichklang oder Vielstimmigkeit?
Was sich in den Medien ändern muss - Ein Kommentar
Führende Journalisten tun sich weiterhin schwer damit, die Kritik an Ihrer aktuellen Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt offen zu diskutieren. Hinter den Kulissen aber tobt ein Kampf um Deutungshoheit - und um Reputation. FAZ-Autor Stefan Niggemeier geht nun in die Offensive.
Nach seinem Zeitungsbeitrag vom Sonntag, der die breite öffentliche Kritik erstmals direkt in einem Leitmedium artikulierte (Journalismus unter Verdacht), legte er am Mittwoch nach und wurde noch deutlicher:
Nicht beirren lassen, das ist eine Reaktion auf den spürbaren Gegenwind, den die Mainstream-Medien derzeit erfahren. Was mich, je nach persönlicher Stimmung, wütend macht oder besorgt, ist diese Selbstgewissheit, die aus manchen Reaktionen etablierter Medien auf die Kritik spricht (und natürlich vor allem auch den Nicht-Reaktionen); die Überzeugung, dass man sich nichts oder jedenfalls nichts Gravierendes vorzuwerfen hat; die Diffamierung der Kritik als von Russland gesteuert.
Von Putinverstehern und Journalistenverstehern
Viele Leser verstört zudem ganz allgemein ein immer eklatanter werdender Widerspruch zwischen der behaupteten Vielstimmigkeit freier Medien und dem real vorherrschenden monotonen Gleichklang bei einer ganzen Reihe von Schlüsselthemen. Vom Ukrainekonflikt ("Russland ist schuld!") bis hin zum aktuellen Bahnstreik ("Die Gewerkschaft ist schuld!") - immer häufiger engt sich das Meinungsspektrum der großen Medien auf einen schmalen Mainstream ein. Die Gegenmeinung zu äußern, wird mehr und mehr zum "Risiko" für Journalisten.
Die Gefahr, mit der Eröffnung einer Kontroverse ins Abseits zu geraten, und das bei einer wachsenden Anzahl von Themen - diese Gefahr ist durchaus real und sie bedroht das geistige Klima im Land. Ohne echte Debatten mit wirklich gegensätzlichen Positionen, die in den Leitmedien auch offen und ohne Scheu verhandelt werden, ist eine Annäherung an totalitäre Verhältnisse unvermeidlich. Dass manche ostdeutschen Leser sich derzeit atmosphärisch in die Zeit kurz vor 1989 in der DDR zurückversetzt fühlen, ist kein Zufall.
In den Chefredaktionen wird diese Entwicklung derzeit kaum gesehen - auch das ein Effekt des beschriebenen Mainstreams. Die Vereinheitlichung von Meinungen führt ab einem gewissen Punkt zur Entstehung einer abgeschlossenen Welt. Positionen außerhalb des Mainstreams erscheinen den "Mitschwimmern" dann oft als "nicht real", "absurd", "Propaganda" etc. Die eigene Urteilsfähigkeit, gerade auch die vieler Journalisten, beginnt in dem Moment Schaden zu nehmen, wo einer bestimmten politischen Auslegung der Welt ein Absolutheitsanspruch eingeräumt wird. Anders ausgedrückt: die Überzeugung "wir sind die Guten" vernebelt das Denken.
In diesem Sinne, und im seltenen Versuch, eine Brücke zwischen Leitmedien und Kritikern zu bauen, analysiert auch Stefan Niggemeier:
Ich glaube nicht, dass viele deutsche Journalisten in irgendeinem engeren oder weiteren Sinne gekauft sind. Ich glaube aber, dass sie nicht unvoreingenommen sind. Dass die Berichterstattung tatsächlich, vermutlich oft unterschwellig und unbewusst, geprägt ist von einer klaren Überzeugung, dass es hier eine gute Seite und eine böse Seite gibt. Dass man den Aussagen der einen Seite prinzipiell glauben kann, bis das Gegenteil erwiesen ist, und den Aussagen der anderen Seite prinzipiell nicht glauben kann, bis das Gegenteil erwiesen ist.
Stefan Niggemeier
"Westliche Positionen verteidigen"
Genau diese Parteilichkeit ist der rote Faden, insbesondere der Berichterstattung der Leitmedien zum Ukraine-Konflikt. Einige Alpha-Journalisten geben das mittlerweile auch zu, wenn auch nicht in aller Öffentlichkeit. So werben WDR-Intendant Tom Buhrow und WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn einem Bericht zufolge intern offensiv für eine redaktionelle Linie, die sich darauf konzentriert, die "westlichen Positionen zu verteidigen" (Ukraine-Konflikt: ARD-Programmbeirat bestätigt Publikumskritik).
Und Stefan Kornelius, Außenressortchef der Süddeutschen Zeitung, schreibt in einem Brief an einen Leser, der Telepolis vorliegt, dass es bei der SZ ein "Grundargument" gebe, also eine redaktionelle Linie, derzufolge die Ukraine sich im Rahmen der Verhandlungen zum EU-Assoziierungsabkommen frei gegen Russland entschieden habe. Russland versuche nun, mit Propaganda zu manipulieren. Solchen Beeinflussungsversuchen aber, so Kornelius, werde sich die Süddeutsche, die nach 1945 im Bewusstsein der Bedeutung einer freien Presse gegründet worden sei, immer widersetzen.
Die Wahrnehmung, zu den "Guten" zu gehören, ließe sich kaum klarer artikulieren. Kornelius äußert sich in diesem Brief an einen Leser (der wegen der Ukraine-Berichterstattung sein Zeitungsabo nach 40 Jahren Leserschaft gekündigt hatte) auch zum Gleichklang in den Medien. Diesen interpretiert der Ressortleiter allerdings positiv, nämlich als Bestätigung der eigenen Ansichten. Wenn alle großen Medien so schrieben, könne das Gesagte ja kaum falsch sein.
So schafft sich der Mainstream seine eigene Realität, und mit ihr seine Adepten, welche die erzeugte Illusion schließlich für bare Münze nehmen. Die Auswirkungen dieses Experiments lassen sich derzeit beobachten - zunächst in Form einer massiven Kommunikationsstörung zwischen Journalisten und ihren Lesern bzw. Zuschauern, welche sich nunmehr in großer Zahl weigern, diese "verordnete", vermeintlich "richtige" Realität der Leitmedien als solche zu akzeptieren.
Umrahmt wird diese bizarre Situation von Scharmützeln um Deutungshoheit (Zwischen Lesern und Lobbynetzwerken). Die Studie von Uwe Krüger zum Einfluss transatlantischer Denkfabriken auf die Medien etwa wird nun gekontert durch eine kritische Analyse des Münchner Medienforschers Christoph Neuberger. Neuberger, Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Universität München, wirft Krüger eine "Reihe methodischer Mängel" vor. Die Pressemitteilung zu seiner Veröffentlichung verkündet markig: "Neuberger weist schwere Mängel in der Medien-Untersuchung nach".
"Informationen aus dem Internet"
Doch liest man den eigentlichen Text des Professors, dann bleibt von der großen Ankündigung wenig übrig. Stattdessen gibt es Vorwürfe wie: "Informationen über die Verbindungen der Journalisten hat Krüger im Wesentlichen im Internet zusammengetragen." Dies aber wäre "der falsche Weg", um Schweigekartelle zu entlarven, denn die Verbindungen seien ja alle "transparent gewesen".
Auch seien in Krügers Studie nur solche Texte aus Leitmedien analysiert worden, die den vorab formulierten Hypothesen entsprochen hätten. Neuberger: "In den Hypothesen wurde den Journalisten eine einseitige Sicht zugunsten der USA und der NATO unterstellt. Die Studie konnte also gar nichts anderes ergeben, weil nur bestätigende Zitate ausgewählt wurden."
Der Professor versucht somit, den Eindruck zu erwecken, Krüger habe geschummelt, in dem er etwa russlandfreundliche bzw. NATO-kritische Texte von Journalisten wie Kornelius, Joffe und Co. einfach in seiner Analyse unterschlagen habe. Doch, so möchte man den Professor fragen, wo sind denn diese Texte? Wo ist die Abrechnung von Josef Joffe mit der NATO? Wo genau hat Stefan Kornelius Kreml-nah berichtet?
Auf Nachfrage von Telepolis verweigerte Professor Neuberger nun jedoch ein Interview zu seiner Analyse. Zur Begründung teilte er mit, er wolle sich "zur Arbeit von Herrn Krüger nur aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht äußern. Ein Interview scheint mir dafür nicht die richtige Form zu sein."
Kornelius & Friends
Pikant auch: Neubergers Text erschien im Medium Magazin, das von Stefan Kornelius mitgegründet wurde. Zeitweise war dieser dort Chefredakteur. Seine Nachfolge trat Mitgründerin Annette Milz an, die das Magazin bis heute leitet - und die Neuberger wohl um den aktuellen Gastbeitrag bat. 2009 ehrte das Magazin seinen Mitbegründer Kornelius mit einem "Sonderpreis für politische Berichterstattung".
Auf die Nachfrage an Kornelius, ob er Neuberger persönlich kenne und ob er vor Veröffentlichung Kenntnis davon hatte, dass der Professor an einer Analyse der Krüger-Studie arbeitete, mochte Kornelius nicht antworten und teilte Telepolis stattdessen mit, er wolle "keinen weiteren Austausch pflegen", da dieser ja "lediglich der Anklage" diene. Prof. Neuberger ließ Nachfragen nach einem persönlichen Kontakt zu Kornelius ebenfalls unbeantwortet, ebenso die Chefredakteurin des Medium Magazins, Annette Milz.
Uwe Krüger teilte auf Anfrage mit, dass er sich zum Inhalt der Kritik jetzt noch nicht äußern wolle und an einer Replik arbeite: "Wo die veröffentlicht wird, ist derzeit noch unklar." Das Medium Magazin hat offenbar noch nicht entschieden, ob man Krüger den gleichen Raum wie Neuberger für eine Replik zur Verfügung stellen will. Einen Leserbrief dürfe er aber in jedem Fall schicken - unter Kürzungsvorbehalt.
Der Sozialwissenschaftler und Medienkritiker Sascha Pommrenke äußerte gegenüber dem Medium Magazin via Twitter in einem lesenswerten Dialog seine Irritation über diese Umstände. Auf Nachfrage ergänzte er gegenüber Telepolis nun:
Alle behaupten, sie wollten in einen Diskurs eintreten, aber nirgendwo findet der statt. Es sind lediglich Kommentare, manchmal ansatzweise Analysen. Aber ich habe noch nirgends gelesen, dass die ARD ein Gremium mit Experten und Zuschauern eingerichtet hätte, um mal die Situation angemessen zu evaluieren. Oder SZ, SPON und Zeit, die mal darüber reflektieren, dass es nicht nur russische Forentrolle gibt, sondern selbstverständlich auch amerikanische. Insofern existiert kein Diskurs, sondern lediglich die Pseudobereitschaft sich die 'andere Seite' anzuhören, nur um dann genauso weiterzumachen, wie zuvor.
Sascha Pommrenke
Und in der Tat, eine offene und wirklich kontroverse Debatte auf Augenhöhe scheint den Chefredakteuren vieler Leitmedien nach wie vor eher lästig zu sein. Doch wie soll das verlorene Vertrauen eigentlich anders wieder entstehen? Wie soll der Graben zwischen Medienkonsumenten und -machern überbrückt werden? Erwarten die Alpha-Journalisten ernsthaft, dass die immer zahlreicher werdenden widerspenstigen Leser und Zuschauer irgendwann ein "Einsehen" haben werden und dann ihren "Irrtum" bekennen? Sollte das die Hoffnung sein, dürfte sie sich wohl als trügerisch erweisen.