Glyphosat - ist ein Ende absehbar?
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Das umstrittene Pflanzenschutzmittel soll endlich verboten werden. Das Insektenschutz-Paket ist noch nicht fertig geschnürt, da fordert der Bauernverband bereits einen Stopp aller Maßnahmen
Dem neuen Gesetz zufolge darf Glyphosat nur noch in begründeten Ausnahmefällen verwendet werden. Bei der Ausbringung von Pestiziden muss ein Mindestabstand zu Gewässern eingehalten werden. Und ab 2024 soll der Einsatz von Herbiziden und Insektiziden in Naturschutzgebieten ganz verboten sein.
Ziel sei einerseits ein besserer Schutz für Insekten, andererseits aber auch von Kulturpflanzen und Ernten, betont Julia Klöckner. Außerdem soll die regionale Agrarproduktion gefördert werden. Ohne Artenvielfalt gebe es keine Landwirtschaft und ohne Landwirtschaft keine Artenvielfalt, begründet die Ministerin die schwerwiegende Entscheidung des Bundeskabinetts.
Darüber hinaus weist das neue Insektenschutzgesetz Streuobstwiesen, Trockenmauern und artenreiches Grünland als schützenswerte Gebiete aus, um Lebensräume für Insekten zu erhalten. Auch eine Reduzierung der Lichtverschmutzung wird gefordert, denn Kunstlicht beeinträchtigt die Orientierung der Tiere.
Allerdings gibt es auch Ausnahmen für das Pestizidverbot - und die betreffen außer dem Gemüse- und Obstanbau sowie dem Hopfen- und Weinanbau auch die Saatgutvermehrung. Auch für Ackerflächen in Gebieten mit Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien sind zunächst keine Vorgaben geplant. Mit den so genannten Ausnahmeregelungen ist es so eine Sache: Gibt es zu viele davon, kann so ein Gesetz schnell wirkungslos werden.
Ohnehin sollen in den kommenden drei Jahren Bundesländer und Bauern zunächst über "freiwillige Kooperationen" dem Insektenschwund entgegenwirken. Diese Freiwilligkeit soll wohl auch der Aussöhnung von Landwirtschaft und Naturschutz dienen. Auch sind die Diskussionen um die "richtigen" Maßnahmen aktuell noch nicht beendet.
Greenwashing statt Insektenschutz
Gegen Naturschutzauflagen dieser Art richten sich allerdings auch die Proteste vieler Landwirte. So erklärte Joachim Rukwied vor dem Kanzleramt gegenüber der ARD, er sei ernsthaft besorgt, dass Betrieben in den Schutzgebieten nun die Existenzgrundlage entzogen werde. Statt auf Verbote müsse auf mehr Freiwilligkeit gesetzt werden. Beinahe beschwörend fordert der Schutzpatron aller Bauern die Regierung dazu auf, das neue Gesetz zu stoppen.
Trete es in Kraft, werde man in historischen Weinanbaugebieten keine hochwertigen Lebensmittel mehr erzeugen können. Zudem würden bereits auf den Weg gebrachte gemeinsame Naturschutzmaßnahmen durch das geplante Gesetz konterkariert.
Fakt ist, dass der "kooperative Naturschutz", also die freiwilligen Vereinbarungen in den Ländern, auch im neuen Gesetz enthalten sind. Außerdem ringen Umweltschützer längst um Ausgleichsmaßnahmen, die die Bauern in den Schutzgebieten im Gegenzug zum Pestizidverzicht erhalten sollen.
Zudem fordern sie Ausnahmeregelungen für bestimmte Gebiete. Auch Svenja Schulze findet es wichtig, dass Landwirte, die zum Insektenschutz beitragen, finanziell unterstützt werden. Man sei den Ländern mit der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung entgegengekommen, erklärt die Umweltministerin.
Außerdem: Welche Naturschutzmaßnahmen genau meint der Präsident des Deutschen Bauernverbandes? Etwa die wenigen freiwillig auszusäenden Blüh- und Uferrandstreifen? Viel scheinen die bisher nicht bewirkt zu haben, sonst würde das Insektensterben nicht unvermindert weitergehen.
Zum einen sind die angelegten Streifen meist viel zu schmal, um den Insekten genug Lebensraum und Nahrung zu bieten. Zum andern sind nicht heimische, einjährige Blühmischungen ökologisch wertlos, denn sie liefern nur Futter für Generalisten wie Honigbienen und Hummeln, warnt der Wildbienenspezialist Paul Westrich. Seltene und gefährdete Wildbienen oder gar Raupen von Schmetterlingen gehen leer aus, denn sie benötigen heimische Blühmischungen.
Ein weiteres Problem ist, dass die Randstreifen meist vor Wintereinbruch gerodet werden. Damit fallen weitere wichtige ökologische Funktionen aus - etwa Winterverstecke für Eier und Puppen oder Wildblumensamen als Winterfutter. Darüber hinaus leiden die nützlichen Bestäuber erheblich unter den Pestizid-Duschen, die von den Nachbarfeldern herüberwehen und der Insektengesundheit erheblich schaden dürften.
Glyphosatrückstände unter Baumrinden
Seit der Zulassung von Glyphosat im Jahr 1974 war man davon ausgegangen, dass der Wirkstoff nicht auf andere Felder verweht wird. Neuere Studien beweisen jedoch das Gegenteil: Von 2014 bis 2019 hatten die Wissenschaftler an 163 Standorten deutschlandweit Pestizid-Messungen durchgeführt. Ergebnis: Von 152 nachgewiesenen Wirkstoffen stammten 138 aus landwirtschaftlichen Quellen.
Selbst dort, wo keine Pestizide ausgebracht werden, muss mit einem Pestizidcocktail in der Luft gerechnet werden. So fanden Wissenschaftler in mehr als 50 Prozent aller Proben Glyphosat auch unter Baumrinden. Die Gifte verbreiten sich durch Abdrift von Sprühtröpfchen während des Ausbringens auf die Felder. Trocknen die Spritzmittel, werden sie als Gase mit dem Wind über weite Strecken geweht.
Manchmal verbinden sich die Wirkstoffe fest mit den Bodenpartikeln und wirbeln bei Dürre, Starkwind oder beim Bearbeiten der Felder weit nach oben. Sehr feine und leichte Bodenpartikel gelangen in höhere Luftschichten. Auch vom Menschen werden die Gifte eingeatmet. In einigen Fällen belasteten Wirkstoffe, die über weite Strecken getragen wurden, sogar Erntegut, das als Rohware zu Kindernahrung verarbeitet werden sollte.
Im Zusammenhang mit der Nahrungskette schaltet Glyphosat bestimmte Kräuter, die für die Ernährung von Insekten von Bedeutung sind, einfach aus. Das hat zur Folge, dass bestimmte Feldvogelarten, die sich von diesen Insekten ernähren, verschwinden. Glaubt man der Agrarwissenschaftlerin Maria Finckh wird der Stoff von den Pflanzen zu Aminomethylphosphonsäure (kurz: AMPA) abgebaut, ein Stoffwechselprodukt, das toxischer ist als Glyphosat selbst und unter anderem Krebs auslöst.
Normalerweise wird Glyphosat über die Pflanzenwurzeln an den Boden abgegeben, wo es die Mikronährstoffe beeinflusst. Über den Ernährungskreislauf gerät der Wirkstoff in die Pflanzen. Anschließend wird glyphosathaltiges Futter an die Tiere verfüttert bzw. als Stroh in die Ställe eingestreut. Kommt der Rindermist später auf die Ackerböden, kann dies zu hohen Antibiotikaresistenzen im Boden führen.
Nachgewiesen ist auch ein direkter Zusammenhang zwischen Glyphosat und dem Bienensterben. Wie Wissenschaftler herausfanden, schwächt der Wirkstoff die Darmflora von Honigbienen und damit deren Immunabwehr. Es ist zu vermuten, dass dieselben Mechanismen sich auch auf andere Insektenarten auswirken.
2018 entschied das Bundesumweltamt, dass Landwirte zehn Prozent ihrer Ackerflächen brach - und Glyphosat-unbehandelt - liegen lassen sollten. Daraufhin klagten die Glyphosathersteller wegen Diskriminierung - und bekamen recht. Es gebe noch keine europäische Leitlinie, lautete die Begründung. Ohne eine EU-weit abgestimmte Leitlinie seien den deutschen Behörden die Hände gebunden
Insektenfreie Mais-Monokulturen
Wie aktuelle Publikationen zeigen, ist das globale Nahrungsmittelsystem einer der Haupttreiber für den Verlust der biologischen Vielfalt. Auf der anderen Seite kann nur ein funktionierendes Ökosystem mit nachhaltiger Landwirtschaft unsere Ernährung sicherstellen.
Der konventionelle Maisanbau ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit. In Niedersachsen zum Beispiel sind die Maisfelder von rund 585.000 Hektar im Jahr 2015 auf etwa 618.000 Hektar im Jahr 2020 expandiert. Egal ob als Rinderfutter oder als Energiepflanze, aus ökologischer Sicht ist Mais auch fürs Klima schädlich. Wegen der hohen Düngergaben werden die Torfböden schneller mineralisiert.
Die beschleunigte Zersetzung der organischen Substanz setzt enorme Mengen an Kohlendioxid frei. Die extrem artenarmen Mais-Monokulturen verfügen meist noch nicht einmal über Randstreifen, kritisiert Jutta Kemmer von der Biologischen Station (Bios) Osterholz. Anfällig für Schädlinge müssen heranwachsende Maispflanzen häufig mit Pestiziden behandelt werden. Das gilt auch für das Saatgut, das vor der Aussaat mit Chemikalien gebeizt wird.
Für die Vogelwelt werden die Maisäcker regelrecht zur Falle: Weil Maispflanzen erst spät wachsen, werden bodenbrütende Vogelarten wie Kiebitz, Feldlerche oder Rebhuhn dazu verleitet, auf den offenen Flächen Nester anzulegen, die dann durch nachfolgende Bodenbearbeitungsgänge wieder zerstört werden.
Auf den insektenarmen Flächen finden die Jungvögel kaum Nahrung, so dass sie verhungern. Die Naturschützerin fordert das Anlegen von Randstreifen und Feldrainen, geregelte Fruchtfolge und einen höheren Anteil von Wiesen und Weiden. Denn auf moorigen Böden ist Grünlandnutzung bei Weitem naturverträglicher als Ackerbau.