Goldsteins Rückkehr
HAL 2001: Die unpolitische Politik des Hackens
Sie werden nie erraten, wer neulich in meinem Zelt war. Ein gewisser Emmanuel Goldstein, Anführer des Widerstands im Jahr 1984. Allerdings hat er sich in den letzten 17 Jahren doch ziemlich verändert. Heutzutage ist Hacking sein Ding, ebenso wie die Firma Ford zu ärgern und Hacker-Kollegen Kevin Mitnick aus dem gefängnis rauszukriegen. Nebenbei betreibt er noch ein kleines Magazin, namens 2600. Dieses entspricht noch am ehesten dem, was man als die "soziale Stimme" des Hackens bezeichnen kann, aber immer noch weit entfernt von Goldsteins besten Zeiten als Anti-Establishment-Aktivist in den Zeiten des Kalten Kriegs.
Was geschah, so überlegte ich, als wir uns unterhielten, mit dem alten Goldstein? Aus seinen öffentlichen Vorträgen, die er dieses Jahr beim Festival Hacking at Large in Enschede hielt, kann man entnehmen, dass er den Widerstand noch nicht ganz vergessen hat. Emmanuel weiß, dass es immer noch soziale Kämpfe gibt, dass es noch immer Leute gibt, die nicht ganz aufgegeben haben. Dennoch erschien er wie ein Schatten seiner selbst. Man konnte sich des Gedankens nicht erwehren, ob der Anführer des Widerstands seine Zeit und seine nicht unbeachlichen Fähigkeiten wirklich darauf verwenden sollte, die Domain fuckgeneralmotors.com zu registrieren und sich in den darauffolgenden juristischen Schlagabtausch zu verwickeln, wenn 300.000 Menschen in Genua brutalen Polizeitacktiken trotzen, um gegen den Mangel auch nur irgendeiner ethischen Komponente im modernen Kapitalismus zu protestieren. Wäre Goldsteins Zeit nicht besser damit verbracht, sich mit diesem Kampf zu verbünden und seine Fähigjkeiten in den Dienst der guten Sache zu stellen?
Nun, vielleicht, und vielleicht auch nicht. Nach drei Tagen bei HAL2001 wäre es nur zu leicht gewesen, sich von der absoluten, engstirnigen Obsession mit Technologie frustrieren zu lassen, allzu einfach wäre es auch, diese 3000 Hacker zu verspotten, die sich da auf einem Feld versammelt hatten, um Jolt Cola zu trinken, Skunk zu rauchen, niederländische Süßigkeiten zu verschlingen und Trojaner-Angriffe auf die Rechner der anderen loszulassen. Es gab zwar auch Präsentationen über Themen wie Hacker-Ethik, die Cybercrime Convention und "Cybersquatting and Freedom of Speech", doch das waren einige wenige Ausnahmen, bei denen man Diskussionen zu solchen Themen hören konnte. Überall sonst ging es um Linux, FreeBSD, die Vorteile drahtloser Vernetzung - und wehe dem, der da über irgendetwas reden wollte, bei dem es auch um Politik oder gar Ökonomie ginge, ganz zu schweigen vom Windows-Betriebssystem.
In der Tat, wer zu HAL 2001 gekommen war, um Hacker mit sozialer Verantwortung zu finden, der ging ziemlich enttäuscht nach Hause. Sie bildeten eine verstreute Minderheit. Die einzigen Leute, die wirklich nach Hackern mit sozialer Verantwortung suchten, waren natürlich Journalisten, Möchtegerns und Leute (wie ich), die nicht den geringsten Tau von auch nur den allerersten Grundbegriffen des Hackens haben. Ich hatte ein Gespräch mit einem Künstler, der überzeugt davon war, "dass wir jetzt eine europäische EFF brauchen, um diese Hacker zu vereinen und ihnen eine politische Basis zu geben." (EFF - Electronic Frontier Foundation) Das roch allerdings verdächtig. Denn erstens ist die EFF eine Strohpuppe für die üble, neo-liberale Propaganda, die von Leuten wie Barlow und Kelly hervorgebracht wird und die man wirklich besser dort sein lässt, wo sie hingehört. Zweitens machte HAL 2001 klar, dass jeder Versuch, diese Hacker unter einer Flagge zusammen zu bringen, von vorneherein völlig fruchtlos wäre: diese Szene ist völlig atomisiert, absolut individualistisch (ein weiterer Grund, warum die EFF keine Unterstützung braucht) und, allem äußeren Anschein nach, völlig ungeeignet für jegliche Form von Ver-Gemeinschaftung oder politischer Bewusstseinsbildung.
Das haben wir bei HAL gelernt (obwohl wir es eigentlich bereits wussten): Das Netz kann verbinden, es kann aber auch trennen. Trotz Gigabit-Verbindung, Meilen an Ethernet-Kabeln, die sich durch die Felder zogen, fand ich mich in einer Position, wo ich mich laut nach etwas sehnte, woran ich teilnehmen konnte. Man hat mich natürlich ausgelacht, aber trotzdem: Es gab einen deutlichen Mangel an jeglichen Gruppenaktivitäten, wenn man das Herumsitzen in einem Zelt und dabei jemandem zuzuhören, schreckliches Essen hinunterzuwürgen und endlos auf einen Bildschirm zu starren, während Tausende das Gleiche tun, nicht als Gruppenaktivität zählt.
Die Segregation hat neue Dimensionen erreicht: zwischen Unix und nicht-Unix, zwischen Hardware- und Software-Hackern, Netzwerkenthusiasten und denen, die insgeheim NT oder Win2000 einsetzen und denen, die rituell Microsoft Bedienungshandbücher verbrannten (sie taten es wirklich); zwischen den verschiedenen Gruppierungen, den sogenannten Elite-Hackern und dem Rest - es war zum verrückt werden. All diese Gruppierungen fanden es mehr oder weniger unmöglich, jedwede sinnvolle Konversation mit jemandem von der anderen Abteilung zu führen, teilweise, weil sie so spezialisiert sind, aber auch, weil sie die verschiedensten Grade der Verachtung füreinander hegen. Die Idee, all diese verschiedenen Interessensgruppen unter einem Dach zu vereinen, damit sie, sagen wir, die G8 bekämpfen oder den Internationalen Währungsfonds hacken, wäre einfach lachhaft. Diese Idee wäre aber auch von vorneherein fehlgeleitet.
Denn in einer gewissen Weise liegt Goldstein damit richtig, die offensichtliche Politisiererei aufzugeben und sich stattdessen auf diskrete Hacks und eingeschränkte Sachgebiete zu spezialisieren. Sein Interesse an der Ausnutzung von Lücken in organisierten technischen Systemen ist die eine Sache, die derzeit alle Hacker vereint und was nach allgemeiner Übereinkunft eine sinnvolle Beschäftigung darstellt. Während des Dialogs über "Cybersquatting and Freedom of Speech" konnte man spüren, dass Andy Mueller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Club und Mitglied des Vorstands von ICANN, wünschte, dass es anders wäre. "Es muss um mehr gehen, als einfach nur mit Sachen herumzuspielen", sagte er mit düsterem Seitenblick auf Goldstein, "wir müssen eine Art politischer Position einnehmen". Aber natürlich würde Mueller-Maguhn so etwas sagen. Er bewegt sich seit einiger Zeit an den scharfen Kanten des Entscheidungsprozesses von ICANN und die politische Haltung des CCC ist ohnehin bekannt. Für beinahe alle anderen aber ist das Hacken die Politik: stückweise und auf einzelne Bereiche aufgeteilt, angetrieben von nichts anderem als einer Neugier bezüglich Systemen, Software, Technologie. Und meinem Gefühl nach sollte es am Besten dabei bleiben.
Denn schließlich, ist das nicht genau die selbe Kritik, die auf die sogenannten Globalisierungsgegner gerichtet wird, dass es ihnen an Kohärenz und einer durchgängigen Ideologie mangelt? Und ist es nicht genau dieser Mangel an Geschlossenheit, diese Vielfalt der Intentionen, die sie zu einem beweglichen Ziel macht und es verhindert, dass sie zu einer weiteren politischen Partei werden, einer anderen Fraktion? Solange die Hacker nicht repräsentiert werden können (derzeit scheint das so zu sein), und solange sie ihre Energien auf Projekte verwenden, die sie auf eine isolierte Art und Weise interessieren, solange bleiben sie eine potente, wenn auch frustrierende Kraft. Darüber hinaus ist es gerade die Konzentration auf "rein technische Themen", die dafür sorgt, dass Hacking politisch interessant bleibt.
Das Sealand-Projekt zum Beispiel ist eine Art Hack. Obwohl der Typ, der es betreibt, Ryan Lackey, kaum Interesse an seinen politischen Implikationen zeigt (was macht einen Staat aus, etc.), hat es für viele Leute eine intensiv politische Bedeutung. Ein Kryptographie-Experte wie Phil Zimmerman, der bei HAL über die Geschichte von PGP sprach, ist einfach nur an Kryptographie interessiert, ohne wenn und aber. Doch die politische Dimension dieser Arbeit ist offensichtlich und wohl dokumentiert. Ganz ähnlich sieht es mit dem CSS-Hack aus, wobei es nicht darum ging, eine urheberrechtsfreie Film-Sammlung zu schaffen, sondern DVDs auf Linux abspielen zu können. Was könnte ein techniknäheres Thema sein und was hätte dennoch (mit Ausnahme von Napster) größere Auswirkungen auf das internationale Copyright-Regime in der Online-Welt?
Die Ideologen sollen die Hacker in Ruhe lassen. Politisch oder nicht, es scheint, dass sie allein aus der Tatsache heraus, dass sie mit Informationssystemen herummachen, den Status quo in Frage stellen. Deshalb sind sie, auch ohne Manifest oder Handbuch, eine starke politische Kraft. Aus diesem Grund ist "Emmanuel Goldstein" auch gar kein so schlechter Spitzname für den Vertreter von 2600 und deshalb ist es für ihn auch okay, einfach nur mit Zeug herumzumachen allein aus dem Grund, weil er dazu fähig ist. Wenn man 3000 Goldsteins auf einem Feld zusammenbringt, die alle einfach nur mit Zeugs herummachen, dann interessiert sich plötzlich die Regierung dafür, die Geheimagenten schnüffeln herum, das Establishment wird hellhörig. Und wenn das nicht alle Anzeichen eines wichtigen politischen Treffes sind, dann frage ich mich, was sonst.