Google kippt Faktencheck: EU-Kommission steht vor Scherbenhaufen

Bild: Solen Feyissa / CC BY-SA 2.0 Deed
US-Unternehmen setzt auf Community Notes. Schritt erfolgt kurz, bevor die EU einen freiwilligen Verhaltenskodex in bindendes Recht unter dem Digital Services Acts überführen konnte.
Gibt der nächste Tech-Gigant vor Trump klein bei? So dürfte jedenfalls die Mitteilung des Längst-nicht-mehr-nur-Suchmaschinen-Konzerns Google an die Europäische Kommission aufgefasst werden, keine Faktenchecks in seine Suchergebnisse und YouTube-Videos zu integrieren, nachdem auch Meta-Chef Zuckerberg mit gleichen Verlautbarungen speziell hierzulande für große Empörung sorgte.
Ein irritierender Schritt
Das entsprechende Schreiben des US-Unternehmens an die Europäische Union liegt dem News-Portal Axios nach eigenen Angaben vor.
Der Schritt irritiert aber nicht nur deshalb, weil Google – wie auch Meta – noch 2022 einen Verhaltenskodex der EU unterzeichnet hatte, der genau das verlangt.
Community Notes als Alternative
Wie Axios berichtet, richtet sich das Schreiben an die stellvertretende Generaldirektorin für Inhalte und Technologie bei der Europäischen Kommission, Renate Nikolay, und stammt von Googles Präsident für globale Angelegenheiten, Kent Walker.
Thema des Schreibens ist die im "Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation" der Kommission geforderte Integration von (institutionalisierten) Faktenchecks in Suchergebnisse und YouTube-Videos sowie die Ranking-Systeme und Algorithmen des Unternehmens.
In seiner Stellungnahme erkläre Walker, dass die geforderte Integration von (institutionalisierten) Faktenchecks "für unsere Dienste einfach nicht angemessen oder effektiv" sei und Google der vereinbarten Verpflichtung deshalb nicht nachkommen werde.
Zur Begründung führe Walker das "erhebliche Potenzial" von Googles derzeitigem Ansatz zur Inhaltsmoderation an, der sich speziell während des "beispiellosen Zyklus der weltweiten Wahlen" bewährt habe.
Dieser Ansatz der "kontextuellen Notizen" folgt bemerkenswerterweise dem Vorbild der Community Notes, wie sie zunächst auf Elon Musks Plattform X, nun aber auch auf den Meta-eigenen sozialen Medien Facebook und Instagram zum Einsatz kommen.
Das Timing
Kent hielt in seiner Stellungnahme auch den brisanten Umstand fest, dass Googles Aufkündigung seiner vormaligen – und freiwilligen – Selbstverpflichtung auf den Verhaltenskodex gerade noch erfolge, "bevor (dies)er zu einem DSA-Verhaltenskodex wird".
Denn genau diese Überführung der Freiwilligkeit in bindendes Recht unter dem Digital Services Act hatte die Kommission noch im Juli vergangenen Jahres angekündigt.
EU-Kodex : Pflicht zur "Stärkung der Fact-Checking-Community"
Der 2018 eingeführte und 2022 verschärfte EU-Kodex zur Bekämpfung von Desinformation enthält mehrere freiwillige Verpflichtungen, an die Technologieunternehmen und private Organisationen, einschließlich Faktencheck-Organisationen, gebunden werden.
Darunter unter anderem die "Transparenz politischer Werbung" sowie "Maßnahmen zur Verringerung manipulativen Verhaltens zur Verbreitung von Desinformation (z. B. gefälschte Konten, botgesteuerte Verstärkung, Imitation, böswillige Deep Fakes)".
Und eben auch: Die "Stärkung der Fact-Checking-Community" durch einen "automatisierten Zugang zu (…) öffentlich gemachten Daten", eine "kohärentere" Nutzung der jeweiligen Faktencheck-Dienste durch die unterzeichnenden Unternehmen sowie die Ausdehnung des "Erfassungsbereichs" auf alle EU-Mitgliedstaaten.
Das gebrochene Versprechen
Die Kommission hat laut Axios-Informationen im vergangenen Jahr die 45 Unterzeichner des Kodex in privaten Gesprächen dazu aufgefordert, an der Überführung der freiwilligen Maßnahmen in ein offizielles Verhaltensgesetz unter dem DSA mitzuwirken. Mit diesem Versprechen hat Google nun anscheinend gebrochen.
Während es im DSA bislang keine Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit Faktencheckern gibt, sieht der Verhaltenskodex das unzweideutig vor. Einmal in Form einer Absichtserklärung:
Die Unterzeichner verpflichten sich, in allen Sprachen der Mitgliedstaaten, in denen ihre Dienste angeboten werden, den Nutzern den Zugang zu Instrumenten zu erleichtern, mit denen sie die sachliche Richtigkeit von Quellen durch Faktenchecks von Fact-Checking-Organisationen (!) bewerten können.
EU-Desinformations-Verhaltenskodex
Und noch deutlicher in den konkreten Maßnahmen, zu der die Unterzeichner sich verpflichten:
Die Unterzeichner werden (!) mit Plattformen, Akteuren der Werbelieferkette, Quellenbewertungsdiensten, Diensten, die Indikatoren für die Vertrauenswürdigkeit bereitstellen, und Organisationen zur Überprüfung der Fakten zusammenarbeiten (und) verpflichten sich, einen Rahmen für eine transparente, strukturierte, offene, finanziell tragfähige und diskriminierungsfreie Zusammenarbeit zwischen ihnen und der EU-Gemeinschaft der Faktenprüfer in Bezug auf die Ressourcen und die den Faktenprüfern zur Verfügung gestellte Unterstützung zu schaffen.
EU-Desinformations-Verhaltenskodex
Jene Organisationen sollen dem Kodex zufolge einer Reihe von Qualitätskriterien genügen müssen. Inwieweit bestehende Organisationen diese allerdings erfüllen, ist fraglich. So heißt es an einer Stelle, dass diese "nachweislich unabhängig von parteilichen Institutionen sein und ihre Finanzen transparent machen" müssen.
Wer entscheidet über die Neutralität der Faktenchecker?
Ungeachtet der darin ausgesparten Frage, inwieweit auch Staats- und Regierungsnähe erheblichen Einfluss auf die Neutralität der Faktenchecker haben können, dürfte in Deutschland zumindest das Rechercheportal Correctiv im Verdacht stehen, diese Ansprüche nicht zu erfüllen.
Diesen Eindruck nährt etwa der "den Grünen nahestehende" (Spiegel, 2011) Netzpolitik-Gründer und Autor Max Beckedahl, aber auch die neue Tätigkeit der ehemaligen Co-Geschäftsführerin Jeanette Gusko im Wahlkampfteam der Partei.
Insgesamt bestimmen aber der EU selbst sowie den Vereinigten Staaten nahestehende Institute über die Vertrauenswürdigkeit von Faktencheckern. Ihr Prädikat bekommen diese nämlich
entweder als verifizierte Unterzeichner des International Fact-checking Network Code of Principles (IFCN), als Mitglieder des Netzwerks von Faktenprüfern der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) oder als Mitglieder des künftigen Kodex für professionelle Integrität für unabhängige europäische Faktenprüfungsorganisationen. EU-Desinformations-Verhaltenskodex
Zu den Unterstützern und Ermöglichern des IFCN zählen unter anderen auch das National Endowment for Democracy, welches mit einer großen Historie von Anschuldigungen bezüglich der Nähe zu US-Geheimdienstkreisen aufwartet, wie die ähnlich intransparente und politisch aktivistische Tides Foundation (und wiederum deren Unterstützer).
Vor allem aber auch: Google, wo man das IFCN 2022 mit einem Zuschuss von 13,2 Millionen Euro bedacht hat.
Google: Selbst am Aufbau von Faktencheck-Organisationen beteiligt
Überhaupt war und ist Google selbst am Aufbau von Faktencheck-Organisationen beteiligt, deren Zuständigkeitsbereich sich bis in den Bereich des Lokaljournalismus hinein erstreckt.
Dazu zählen etwa die Gründung des "Google Safety Engineering Center" in Dublin, das sich der "Bekämpfung illegaler und schädlicher Inhalte" verschrieben hat, die erwähnte Bereitstellung von "Tools" für Journalisten und Faktenprüfer zur effizienteren Überprüfung von Informationen sowie die Investition von zehn Millionen US-Dollar zur Bekämpfung von Fehlinformationen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine.
Wird Google diese über Jahre verfolgten Investitionen nun wirklich im Angesicht des gefürchteten Präsidenten Donald Trump und seiner milliardenschweren Koalition der Willigen und Libertären über Bord werfen?
Man darf gespannt sein.