Gregor Gysi: "Döpfner steckt Ostdeutsche in Schubladen seines Kleingeistes"

Gregor Gysi, 4. November 1989, Berlin-Alexanderplatz. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-042 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0

Die Veröffentlichung der Zeit über Mathias Döpfner zeigt sein erschreckendes Verhältnis zu Ostdeutschland. Das ist Diskriminierung. Ein Gastbeitrag.

Springer-Chef Döpfner hat mit seiner Geringschätzung, ja Verachtung gegenüber den Ostdeutschen, wenn die von der Zeit zitierten Äußerungen stimmen, klar gemacht, was er von Demokratie, Meinungsfreiheit und gesellschaftlichem Dialog hält – null Komma nichts, es sei denn, man stimmt völlig mit ihm überein. So soll er u.a. in Mails und SMS kundgetan haben: "Die ossis sind entweder Kommunisten oder faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig."

Zugleich hielt er als Verlagschef die Bild-Redaktion an, im letzten Bundestagswahlkampf eine Partei, die FDP, nach oben zu schreiben. Da er Frau Merkel ablehnte, war auch die Union bei ihm vorübergehend abgeschrieben. Frau Merkel stammt bekanntlich aus dem Osten.

Eigentlich sollte es eine redaktionelle Unabhängigkeit geben, die Medien gelten als vierte Gewalt im Staat, mit der Aufgabe betraut, die anderen Gewalten objektiv und kritisch zu begleiten – bei Springer und Döpfner geschenkt.

Beispiellose Infamie

Seine Äußerungen widersprechen so sehr dem, was demokratischer Standard in unserem Land sein sollte, dass Döpfner als Verlagschef nicht mehr haltbar ist, wenn Springer als Medienunternehmen ernst genommen werden will. Am schlimmsten empfinde ich, dass Mathias Döpfner den Ostdeutschen de facto die Daseinsberechtigung in unserem demokratischen Gemeinwesen abspricht. Er wünscht sich "aus der ehemaligen ddr eine Agrar und Produktions Zone mit Einheitslohn (zu) machen". Man stelle sich mal vor, jemand hätte Ähnliches für den Westen vorgeschlagen!

Selbstverständlich macht das keiner. Bemerkenswert ist auch das Datum, das Döpfner für seine Äußerungen wählte – den Oktober 2019, als sich zum 30. Mal der Aufbruch der DDR-Bevölkerung jährte. Das ist eine beispiellose Infamie. Die Döpfners tragen für die heutige Haltung der Ostdeutschen zum Gesamtstaat, die verbreitete Ablehnung der bundesdeutschen Strukturen eine große Verantwortung.

Viele Menschen im Osten fühlen sich nicht befreit

Die Demonstrierenden in Plauen, Leipzig, Berlin und vielen anderen Städten haben erfolgreich für Freiheit und Demokratie in der DDR gekämpft. Nicht Helmut Kohl und seine Bundesregierung und schon gar nicht der Springer-Konzern brachten die Freiheit in den Osten, sondern diese Demonstrantinnen und Demonstranten im Osten selbst.

Der 9. Oktober 1989 mit der großen Demonstration in Leipzig gilt heute als entscheidendes Symbol des Aufbegehrens. Friedrich Schorlemmer sagte, dass sich in seinen Augen an diesem 9. Oktober auch Weltgeschichte entschied. Ich denke, er hat recht.

Die Menschen, die 1989 den Mut besaßen und auf dem Leipziger Ring zur größten unangemeldeten Demonstration in der DDR zusammenkamen, haben Geschichte geschrieben. Und sie haben mehr für die Demokratie und die Freiheit getan, als es Mathias Döpfner je tat. Freiheit ist übrigens erst dann vollendet, wenn sie zur Befreiung führt. Viele Menschen im Osten fühlen sich aber nicht befreit. Und Döpfner will für sie auch das Gegenteil.

Runde Tische könnten heute wieder aktuell werden

Die Bereitschaft der Menschen in der DDR vor 30 Jahren, bis dahin Unerhörtes einfach zu tun, mit Massendemonstrationen, neuen Parteien und Organisationen das Machtsystem der SED infrage zu stellen, ohne es gewaltsam beseitigen zu wollen, folgte einem urdemokratischen Impuls, der auch den heutigen Verhältnissen durchaus guttäte.

Die runden Tische zum Beispiel waren ein demokratisches Instrument, dessen wir uns wieder aktiv erinnern sollten bei der Lösung aktueller Probleme. Die Friedlichkeit hatte zwei Seiten: "Keine Gewalt" durch Demonstrierende und der Verzicht darauf bei den Soldaten, bei der Polizei nicht gleich, aber ab dem 9. Oktober 1989. Es ist eine beachtliche Leistung, dass während des Umbruchs kein einziger Schuss fiel von keinem aus den sogenannten bewaffneten Organen der DDR (Polizei, Armee, Zoll, Staatssicherheit, Kampfgruppen). Beides ist zu würdigen, nicht schwarz-weiß, sondern das große Dazwischen bestimmt den Lauf der Geschichte.