Grenzkontrollen und Migrationsabwehr: Streit in der Festung Europa

"Grüne Grenzen" gehören vorerst wieder der Vergangenheit an. Foto: Juergen_Wallstabe / Shutterstock.com

Deutschland will ab morgen seine Grenzen besser kontrollieren. Auch jene zu Österreich. Das trifft den Nerv des Landes. Ein Kommentar.

Österreichs Befindlichkeiten fasst am besten der Südtiroler Bergsteiger und ehemalige grüne EU-Abgeordnete Reinhold Messner zusammen. In einem viel diskutierten Interview, kritisiert er den FPÖ-Spitzenkandidaten Herbert Kickl, der sei "nicht sein Typ" und zu "fanatisch". Außerdem verbittet sich Messner von Kickls Wahlwerbung eingebunden zu werden.

Zugleich attestiert er Kickl, der Kanzler zu sein, den sich die Österreicher bei der anstehenden Nationalratswahl wünschen. Messner betet dann die bekannten Klischees der Sorge vor Kulturverlust durch Migration herunter – und wiederholt den nachweislich falschen Vorwurf, die Ausländer bekämen geschenkt, wofür die Inländer arbeiten müssten.

Man kann also nicht sagen, der Blick vom Achttausender habe Messners Sicht sonderlich geweitet. Es zeigt sich lediglich, dass Ängste vor Migration weitgehend unhinterfragtes Allgemeingut geworden zu sein scheinen und deswegen müssen jetzt eben besser bewachte Grenzen her. Zu diesem Schluss kam offensichtlich auch die deutsche Bundesregierung und hat dabei in aller Eile die Maßnahmen vielleicht nicht ganz bis zum Ende durchdacht.

Grenzstreitigkeiten laufen heiß

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich "überrascht" über die "improvisierte" Vorgehensweise Deutschlands und er vermisst europäischen Geist, der sich auch an europarechtliche Verpflichtungen hält.

Eine gewisse Häme liegt in der Äußerung des österreichischen Innenministers Karner (ÖVP), wenn er meint, die Grenzkontrollen Deutschlands sollen "ihm Recht sein", nur würde es eben keine Übernahme von ausgewiesenen Flüchtlingen geben – Ätschibätsch! Hier gäbe es laut Karner "keinen Spielraum".

Flüchtlinge werden offenkundig immer mehr zum schwarzen Peter im Spiel der europäischen Politik. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) würde im Falle zurückgesendeter Flüchtlinge "klar aufstehen", um österreichische Grenzen zu schützen.

Da nun zugleich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) genervt mitteilte, bei verweigerter Einreise stehe Österreich in der Pflicht diese Personen auch zurückzunehmen, müsste wohl in letzter Instanz ein Niemandsland zwischen den "EU-Partnern" Deutschland und Österreich eingerichtet werden, das sich langsam mit Flüchtlingen füllt.

Wird diese Eskalation der befestigten, innereuropäischen Grenzen in koreanischen Verhältnissen enden, indem Österreich Bayern bald mit K-Pop beschallt und Deutschland Fäkalienballons nach Süden schickt?

Kontrollverlust: Man will einfach was tun

Die offenkundige Überforderung der Politik könnte tiefenpsychologisch mit einem Kontrollverlust zu erklären sein, der sich immer schwerer leugnen lässt. In Österreich genügt nämlich ein Blick aus dem Fenster, um wirklich besorgt zu sein.

Die letzten Wochen waren wettermäßig spektakulär. Eben noch Hitze von 35 Grad Celsius im September und dann wird der Wetterbericht flankiert von Hinweisen des Roten Kreuzes: "Achten Sie darauf, dass Sie alles Nötige zu Hause haben – genug zu trinken und zu essen, Taschenlampen, batteriebetriebenes Radio".

Es könne – im schlimmsten Fall – an einigen Stellen innerhalb weniger Tage so viel regnen wie sonst in einem Jahr, hieß es. Das Land bereitete sich in den letzten Tagen auf die nächste Wetterkatastrophe vor. Inzwischen starb bereits ein Feuerwehrmann im jüngsten Hochwasser-Einsatz.

Gegenüber dieser Großwetterlage stellt sich ein Gefühl der Ohnmacht ein. Da man aber bekanntlich das Wetter nicht ändern kann und Klimapolitik anscheinend zu langfristig und kompliziert ist, braucht es ein anderes Ventil für die Ängste.

Gefühlte Sicherheit durch geschlossene Grenzen

Das ist in Österreich die geschlossene Grenze. Das Gefühl sagt: Die Balken dicht und wir sind sicher.

Ein Gefühl, das seit vielen Jahren von der FPÖ geschult wird, die sich nun anschickt, bei den Wahlen Ende September stärkste Kraft im Nationalrat zu werden. Ihr Wahlprogramm nennt die Partei: "Festung Österreich, Festung der Freiheit". Obwohl hier viel Bereitschaft zur doppelten Botschaft an den Tag gelegt wird (Warum nicht gleich "Gefängnis der Freiheit" titulieren?), kommt die Politik nicht nur bei italienischen Bergsteiger-Legenden gut an.

Eine EU starker Nationalstaaten

Herbert Kickl will jetzt einfach dicht machen und interessiert sich nicht für die Details. In den gerade in Österreich abgehaltenen TV-Duellen ist er nicht gewillt auf die Fragen der Rechtmäßigkeit von Grenzschließungen und Zurückweisungen einzugehen. Flüchtlinge werden nicht mehr aufgenommen und einfach zurückgewiesen. "Wir werden das einfach machen", sagt Kickl schmallippig im ORF.

Das Gebärden ist offenkundig nicht lösungsorientiert, aber die Sorge es könne die EU sprengen, muss sich das Publikum nicht machen. Denn Europa hat längst einen Taktikwechsel vorgenommen, der von den Rechten durchgesetzt werden konnte.

Herbert Kickl wirft seinem östlichen Nachbarn Victor Orbán niemals dessen Egoismus vor, keine Asylverfahren in Ungarn mehr durchzuführen und die Geflüchteten einfach nach Österreich weitergeschickt zu haben. Vielmehr wird die Orbánsche Grenzschließung vollmundig gelobt. Selbst wenn sich Orban diese von der EU bezahlen lassen will.

Sprachen Rechte vor einigen Jahren noch von "Dexit" oder "Öxit", dann sehen sie heute in der EU ein williges Vehikel für "starke" Nationalstaaten. Jeder macht die eigenen Grenzen zu und allenfalls wird dann gemeinsam die Außengrenze bewacht, aber – seien wir uns ehrlich – das ist letztlich das Problem derer die das Pech haben Außen zu liegen. Solidarität ist einfach nicht Herbert Kickls Ding.

Was wäre der "echte Asylstopp"?

Dieses Konzept scheint so plausibel, dass nun auch die in Deutschland regierenden Sozialdemokraten darauf einlenken. Damit wird auf eine Politik eingeschwenkt, die bisher Einbahnstraße war.

Zu jeder Asylreform (und Österreich hatte davon viele in den letzten Jahren) sagte die FPÖ stets im Stil Christl Stürmers: "Ich kriege nie genug." Man kann Grenzen einfach nicht genug schließen, weil die Bedrohung umso spürbarer wird, desto mehr sie "reines" Gefühl ist. Dass die Asylzahlen in Deutschland und Österreich de facto rückläufig sind, kann die Empfindung nicht beeinflussen.

Insbesondere die originären Anträge gehen in Österreich zurück (also jene Anträge, die weder Neuanträge sind, noch im Rahmen eines Familiennachzuges stehen). Betrachtet man die letzten 15 Jahre, dann ist keine Zuspitzung der Lage zu erkennen.

Asylstatistiken geben aktuell keine Krisendynamik her

Es gab die Spitzen durch den Überfall Russlands auf die Ukraine, der tatsächlich zu einer großen Zunahme an Geflüchteten in Österreich führte. Die Ukrainer gelten allerdings allgemein als weitgehend glücklich integriert und sind kaum Gegenstand von Anfeindungen durch rechten Populismus sind.

Und es gab jene kleinere Spitze im Jahr 2015, dem Jahr der berüchtigten "Flüchtlingskrise". Aber in den Jahren dazwischen kam eine Anzahl an Menschen nach Österreich, die bei weitem nicht den demografischen Wandel einer alternden und immer kinderärmeren Gesellschaft ausgleichen könnte.

Aus den Asylstatistiken lässt sich nüchtern betrachtet keine aktuelle Krisendynamik ablesen. Zumindest keine, die mit der Zunahme von Extremwetterereignissen vergleichbar wäre.

Reizthema Migration: Deutungshoheit und Sieg der Rechten?

Es muss also konstatiert werden, dass sich mit der schier unbändigen Lust auf Grenzschließungen und dem Bau der Festung Europa ein rechtes Deutungsmuster erfolgreich durchgesetzt hat, dem heute auch Sozialdemokraten – sei es in Österreich oder Deutschland – kaum mehr zu widersprechen wagen.

Das geheime Motto vieler Linker könnte aktuell lauten: "Live to fight another day". Es scheint, wer sich jetzt für offene Grenzen und Internationalismus starkmacht, kann gleich ins Hochwasser des nächstgelegenen Flusses springen.

Es gibt in Österreich immer weniger Berührungsängste vor den offenkundigen Widersprüchen des Grenzschutzes, denn wer die Schotten wirklich dicht macht, sitzt letztlich selbst gefangen. Die "Festung Österreich" scheint im Moment einfach viel zu attraktiv zu sein.

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