Greta-Beraterin: "Wir sind im Krieg. Kriminell ist, wer beim Klima nicht führt."

Die gebürtige Australierin Janine O'Keefe lebt in Stockholm, berät Greta Thunberg und Fridays for Future von Beginn an und beteiligt sich an zivilen Ungehorsamsaktionen. Bild: Vince Reinhart / CC BY-SA 2.0

Klimastreik-Organisatorin Janine O’Keeffe sagt: 98 Prozent unserer Kinder sitzen in einem Todes-Bus. Doch die Regierungen handeln nicht. Die Klimabewegungen müssen erwachsen werden. Denn es herrscht Klima-Krieg. (Teil 1 inkl. Video)

Im Interview mit David Goeßmann von Telepolis erklärt die Beraterin von Greta Thunberg Janine O'Keeffe, wie die Klimakrise sich immer weiter zuspitzt, Regierungen trotzdem nicht handeln und ziviler Ungehorsam nötig ist, um Druck auf die Verantwortlichen auszuüben. Sie fordert: Die Klimabewegungen müssen schnell erwachsen werden. Warum wir uns im Klima-Krieg befinden und kriminell werden, wenn wir beim Klima nicht vorangehen, erklärt die gebürtige Australierin auch exklusiv im Video-Interview (siehe unten) mit Telepolis.

Janine O'Keeffe ist australische Ingenieurin, Klimaaktivistin, berät Greta Thunberg und organisiert globale Klimastreiks
Vor dem Hintergrund des Russland-Embargos und steigender Öl- und Gaspreise wird verstärkt nach fossilen Brennstoffen gebohrt. Was ist Ihre Meinung dazu?
Janine O'Keeffe: Es gibt ein paar Leute, die Öl, Gas und Kohle besitzen. In einem Land wie Deutschland sind das vielleicht 200 Personen. Sie können damit Profite machen. Unsere Gesellschaft ist so aufgebaut, dass sie dieses Profitstreben möglich macht. Als Russland die Förderung reduzieren musste, sagte die fossile Brennstoffindustrie: "Okay, lasst uns etwas Spaß haben. Lasst uns dafür sorgen, dass wir Geld verdienen, diesmal sogar noch mehr."
Die Wahrheit ist, dass die meisten Menschen verstehen, dass wir weniger Gas, Öl und Kohle verbrauchen müssen. Es handelt sich also um eine Art Ausverkauf der Industrie, um so viel Geld wie möglich zu verdienen, bevor die Investitionen endgültig entwertet und zu "stranded assets" werden.
Unsere Aufgabe ist es, Wege zu finden, wie man die fossilen Rohstoffe schneller entwerten kann. Wie können wir sicherstellen, dass sie im Boden bleiben und nicht genutzt werden. Denn unser Wirtschaftssystem und unsere Gesellschaft lassen das nicht zu. Vielleicht geschieht es in Deutschland durch die Verfassung, weil Richter gesagt haben, dass die Regierungspolitik in Sachen Klima nicht im Einklang mit der Verfassung steht. Das kann vielleicht einen Effekt haben. Aber im Wirtschaftssystem sieht man das noch nicht.
Weltweite Klimaproteste im Jahr 2019 haben die Klimakrise und den Klimanotstand in den Vordergrund gerückt. Erstmals wurde Klima sogar in vielen Ländern zum Wahlkampfthema. Im Zuge der Corona-Pandemie, dem Einmarsch Russlands in die Ukraine und der hohen Inflation ist Klimaschutz aber wieder von der Tagesordnung verschwunden. Vor allem in den USA und Europa geht die Politik sogar in die entgegengesetzte Richtung, während die globalen Emissionen im letzten Jahr wieder angestiegen sind. Was ist aus Ihrer Sicht falsch gelaufen?
Janine O'Keeffe: Die Pandemie hat die Emissionen tatsächlich gesenkt, weil viele Menschen zu Hause geblieben, weniger geflogen sind und der Konsum insgesamt reduziert wurde. Daraufhin haben wir beim Klima "den Ball fallen gelassen", weil wir nicht verstanden haben, dass die Krise strukturell bedingt ist und diese Seite viel wichtiger als der individuelle Konsum ist.
Interview mit Janine O'Keeffe, Beraterin von Greta Thunberg und Fridays for Future.
Dann sind die Menschen wieder zu ihren normalen Gewohnheiten zurückgekehrt, sobald sie nicht mehr verpflichtet waren, Masken zu tragen und lokal zu leben – obwohl viele Europäer und Amerikaner sehr gut ohne den Überkonsum lebten. Wir im globalen Norden sind zudem die Hauptverursacher der Treibhausgase, die westlichen Staaten haben einen Großteil der Emissionen der letzten 60 Jahren zu verantworten.
Wir haben daher eine moralische Schuld, und wir stoßen immer noch große Mengen aus. Obwohl wir das tun, ist unsere Fähigkeit als Verbraucher, unser Verhalten zu ändern, sehr gering. Deshalb brauchen wir eine Änderung der Infrastruktur. Greta spricht von einem Systemwechsel. Ich denke, das ist völlig richtig. Es ist sehr schwer, von einer einzelnen Person eine solche Änderung zu verlangen, während das System mit Subventionen so angelegt ist, dass alle zu mehr Emissionen gedrängt werden.

Die gesamte Klimabewegung muss erwachsen werden

Sie haben sich an der Organisation der weltweiten Klimastreiks beteiligt und haben Greta Thunberg und Fridays for Future von Anfang an beraten. Klimastreiks und Aktionen zivilen Ungehorsams finden immer noch statt. Ich war in Glasgow, da gab es große Demonstrationen. Vor der Wahl in Deutschland haben 600.000 Menschen für den Umstieg auf erneuerbare Energien demonstriert. Greta Thunberg hat hier in Berlin vor dem Reichstag gesprochen. Aber es ist immer noch ein harter Kampf und die Mobilisierung wird immer schwieriger. In den USA diskutieren Sie darüber, wie man die Menschen erreichen kann, die täglich darum kämpfen, über die Runden zu kommen. Was sind Ihrer Meinung nach die strategischen Herausforderungen in der Klimabewegung und insbesondere bei Fridays for Future?
Janine O'Keeffe: Fridays for Future basiert, ähnlich wie Extinction Rebellion, auf lokalen Gruppen, die selbst entscheiden, was sie tun wollen. Seien es Schulgruppen oder Erwachsenengruppen. Sie ergreifen von sich aus die Initiative und organisieren ihre Aktionen selbst. Es gibt zentrale Gruppen, die einige Entscheidungen treffen. Aber ihre Entscheidungen sind ziemlich allgemein gehalten.
Ich arbeite nicht nur mit Fridays for Future zusammen. Ich arbeite mit vielen Klimabewegungen zusammen. Vor Fridays for Future war ich bei einer Gruppe namens Klimaparlament in Stockholm / Schweden und bei Climate Action, ebenfalls eine schwedische Gruppe. Jetzt bin ich bei einer Gruppe namens Klima-Bündnis, einer neuen Partei in Schweden.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Klaviatur, auf der eine Taste Fridays for Future heißt, weitere andere heißen Extinction Rebellion, Letzte Generation, Restore the Wetlands, Sunrise Movement in den USA und so weiter. Einige Tasten spielen Sie nicht sehr oft, andere sind Ihnen vertrauter. Man versucht, mit allen so gut wie möglich zusammenzuarbeiten. Aber wir spielen alle unsere eigene Melodie.
Es geht darum, den Menschen zu helfen, zu verstehen, dass sie eine Vielzahl von Möglichkeiten haben und dass sie viele dieser Möglichkeiten nutzen können – gleichzeitig oder einzeln, um ihren Einfluss zu steigern. Das ist für mich ein strategischer Schritt, um sich nicht als Teil einer isolierten Gruppe in Konkurrenz zu anderen zu sehen, während man sich gegenseitig kritisiert.
Die Wahrheit ist: Jeder experimentiert. Die Frage ist: Zu wie vielen Gruppen will ich gehören? Wir sind eine Gemeinschaft. Ich kann durch das Zusammenwirken Integrität und Selbstbewusstsein als Aktivist:in erlangen. Ich kann respektvolle Beziehungen aufbauen. Dadurch finde ich zu meiner eigenen Tastatur. Wir alle spielen so viel wie möglich, so viele Tasten wie möglich, und wir sind im Einklang und schließen uns anderen an.
Manchmal gibt es eine Aktion, mit der man sich nicht ganz wohl fühlt. Das bedeutet, dass man sich von dieser Taste zurückzieht. Aber vielleicht benutzt man sie nächste Woche. Das ist ein wichtiger Schritt, den jeder Einzelne tun muss.
Janine O'Keeffe blockiert im Juli zusammen mit Scientist Rebellion eine Straße in Deutschland.
Generell denke ich, dass die gesamte Klimabewegung erwachsen werden muss. Sie muss akzeptieren, dass der Feind hunderte, wenn nicht tausende Male größer ist. Wir sind eine Bewegung seit "Silent Spring" (ein Buch der US-amerikanischen Biologin Rachel Carson aus dem Jahr 1962, das Umweltbewegungen inspirierte, Telepolis). Unsere Regierungen haben uns aber nicht zugehört. Selbst Fridays for Future und den Massenbewegungen hören sie nicht zu.
Sie haben vorhin gesagt, dass die Proteste Wahlen und Entscheidungen beeinflusst hätten. Aber wie viele Entscheidungen der Regierungen haben einen wirklichen Effekt bewirkt? Bei den meisten Politiken geht es um Anpassungsmaßnahmen gegen die Erderhitzung, die Reduzierung der Treibhausgase wird, wenn überhaupt, kaum angegangen.
Viele Regierungen haben den Klimanotstand ausgerufen. Aber sie reden nicht in der gleichen Weise darüber wie bei Covid. Die Klimakrise ist aber weit mehr schwerwiegender als die Pandemie. Wie viele Staaten betreiben ernsthafte Notfallwarnsysteme? Sehen Sie sich das Ahrtal an, das im letzten Sommer überschwemmt wurde. Die Meteorologen hatten vier Tage Vorlauf. Wie viel von dem Wissen ist bei den Menschen angekommen?
Ich war gerade im Ahrtal. Als die Messergebnisse vor der Flut außerhalb des Normalen lagen, sagte die Gruppe, die sich die Messungen ansah: "Oh, das Gerät ist kaputt". Die Wahrheit ist: Es ist die Ausrüstung einer Regierung, die die Wahrheit nicht akzeptiert und deutlich ausspricht, um die Menschen auf die Krise vorzubereiten, die wir derzeit erleben und die wir seit ein oder zwei Jahrzehnten erleben. Und das ist erst der Anfang.

Klima-Krieg: Demokratie gibt es nicht ohne zivilen Ungehorsam

Was sagen Sie Kritiker:innen der Klimabewegungen, die feststellen, dass die Bewegungen sich zu sehr auf akademische Zirkel ausrichten. In den USA versucht die Sunrise Bewegung, sich stärker an Durchschnittsbürger:innen zu wenden, um eine Massenbewegung zu initiieren. Was antworten Sie den Kritiker:innen?
Janine O'Keeffe: Ich habe die Massenbewegung schon gesehen. Hundert Millionen Menschen streiken in Indien. Es sind Landwirte. Das ist eine Massenbewegung. Schließen Sie sich ihnen an. Holen Sie sie in die Bewegungen herein. Informieren Sie sie über das Klima. Ich kann mir vorstellen, dass die streikenden Bauern Wasserprobleme haben. Da gibt es eine Verbindung zur Klimakrise.
Es stimmt: Das Klima wurde zu einer akademischen Angelegenheit gemacht. Verstehen Sie mich nicht falsch, der Leugnungsprozess war massiv. Das Muster der 60 Jahre dauernden Leugnung beim Rauchen wurde beim Klima wiederholt oder sogar perfektioniert, so dass wir jetzt nah am Abgrund stehen. Sieben der neun planetarischen Grenzen sind bereits überschritten. Für die anderen beiden gibt es noch nicht einmal Methoden der Messung. Es könnten also alle neun überschritten worden sein. Johan Rockström vom Potsdam-Institut sagt: "Alles Leben auf der Erde ist bedroht". Alles Leben. Nicht nur das menschliche Leben. Das ist ein ziemlicher Schocker.
Sie können sich auch den UN-Generalsekretär Antonio Gueterres anhören. Er sagt: "Beim Klima keine Führungsrolle zu übernehmen, ist kriminell". Jede Regierung, jede Industrie, jeder, der Macht hat, einschließlich der Erwachsenen, ist kriminell, wenn er in der Klimapolitik nicht vorangeht. Ob unsere Kinder uns persönlich vor Gericht bringen oder uns verleugnen werden, weiß ich nicht. Wenn wir in Sachen Klima nicht vorangehen, haben wir es verdient.
Schauen Sie nach Deutschland, der Fall Angela Merkel. Die Wind- und Solarindustrie, die in den frühen 2000er Jahren wuchs, wurde unter ihrer Führung durch eine rechte Politik zerstört. Viele der Unternehmen waren genossenschaftlich organisiert sowie recht klein und gemeinschaftsbasiert. Die Merkel-Regierungen haben sie reguliert, um Wind und Solar abzuwürgen. Jetzt sehen wir, wie Windkraft-Firmen ihre Produktion von Rostock nach Indien verlagern. Gut, Indien sollte auch die Fähigkeit erhalten, den Wind zu nutzen. Aber es gibt keinen vernünftigen Grund, warum die 600 Mitarbeiter:innen in Rostock den Betrieb nicht weiterführen können.
Ich weiß, dass es aus politischer Sicht mit der Welthandelsbehörde, den Handels- und Partnerschaftsabkommen, gute Gründe gibt, die besagen, dass man als Regierung nicht intervenieren darf. Aber die Wahrheit ist: Es ist Krieg. Wir befinden uns in einem Krieg gegen unsere Gesellschaft, Krieg gegen arme Menschen, Krieg gegen den globalen Süden und indigene Völker. Gegen indigene Völker wird seit hunderten Jahren Krieg geführt.
Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass wir Verbrechen begehen. Die Uno sagt, dass es kriminell ist, wenn wir bei der Klimapolitik keine Führungsrolle einnehmen. Man muss aus diesen Abkommen also aussteigen. Wir müssen schlicht sagen: "Es tut uns leid. Solange das Klima nicht in Ordnung gebracht worden ist, werden wir diese Abkommen nicht einhalten."
Die Länder müssen ihre eigene Windindustrie aufbauen können. Die Menschen sollten befähigt werden, Wind- und Solarenergie selbst zu produzieren. Deutschland ist ein Land von Ingenieuren. Sie haben viele technologische Fähigkeiten, die Energiewende hinzubekommen. Das hat Deutschland schon früh im Bereich der Windenergie unter Beweis gestellt.
Sie haben den Preis für Solarenergie auf zehn Prozent, wenn nicht sogar auf zwei Prozent gesenkt. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet. Vielleicht sollten wir den Dänen Anerkennung zollen, wenn es um die Windenergie geht. Aber auch in Deutschland gibt es an der Grenze zu Dänemark sehr viel Wind. Es geht darum, die Möglichkeiten von jedem zu nutzen und die Regierung dazu zu bringen, den Bürger:innen zu folgen, anstatt den wenigen fossilen Industrien, die weiterhin Geld verdienen wollen.
Seit Jahrzehnten sehen wir: Die Regierungen sind nicht in der Lage, das Klima zu schützen. Deshalb ist ziviler Ungehorsam so wichtig. Sei es ziviler Ungehorsam in Form von Streiks wie Fridays for Future, seien es Blockaden und Die-Ins wie Extinction Rebellion oder das Blockieren von Autobahnen wie bei Just Stop Oil, Letzte Generation, Restore the Wetlands oder Blockade Australia.
Wir wissen aus der Geschichte: Demokratie gibt es nicht ohne zivilen Ungehorsam. Ungehorsam war entscheidend für das Wahlrecht, die Gleichstellung der Frauen oder für die Durchsetzung von Bürgerrechten. Jetzt muss Ungehorsam die Natur, unsere Lebensgrundlage, bewahren helfen. Wir müssen auf jeden Fall den Ökozid verhindern und gegen ein System opponieren, das ihn anheizt.
Die Wahrheit ist: Wir können das Klima nicht abwählen. Wir können nicht mit der Physik verhandeln, nach dem Motto: "Übrigens, wir haben jetzt 50 Prozent der Stimmen, Klima, könntest Du machen, was wir wollen?" So funktioniert Wissenschaft nicht. Wissenschaft basiert auf Fakten. Und Tatsache ist, dass das Klima reagiert. Wir haben das Problem verursacht. Wir als Menschen müssen daher handeln. Das erfordert eine grundlegendere Reaktion, da das Klima so global ist und keine Grenzen kennt. Wir müssen unser Wirtschaftssystem, das heißt: Profit um des Profits willen, damit einer reicher sein kann als der andere, abändern.
Gasleitungen und Pipelines, die durch die Ukraine führen und fossile Brennstoffe aus Russland pumpen, finanzieren letztlich das russische Militär. Das Öl und das Gas, die durch die Rohre fließen, sind im Grunde das Blut der Ukrainer. Wir sollten den Ukrainern beistehen. Wir hätten auch dem Jemen, Syrien, Kenia und Afghanistan beistehen sollen.
Der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber sagt, 98 Prozent unserer Kinder sitzen in einem Todes-Bus. 98 Prozent von ihnen werden früh sterben. Es sind nicht nur die Chinesen und die Schwarzen. Das ist nicht die Art, wie das Klima funktioniert.
Die Krise reicht bis ins Ahrtal. Hitze und Überschwemmungen werden auch in Europa zunehmen. Wie haben bereits jetzt Waldbrände in Brandenburg. Dazu kommt die extreme Hitze in Indien und Pakistan. Häuser und Wohnungen von sieben Millionen Menschen in Bangladesch sind dieses Jahr überschwemmt worden. Welches Land ist bereit, sieben Millionen Flüchtlinge sofort aufzunehmen? Keines. Das Klima ist also bereits weit jenseits unserer Möglichkeiten, die Dinge zu regeln. Wir können die Krise also nicht nachträglich reparieren. Wir müssen präventiv handeln, jetzt.