Griechenland: Rochade kurz vor dem Schachmatt
Die gesamte Opposition sieht in der neuen Mannschaft eine "Regierung auf Abruf", die Proteste gehen weiter, manche Griechen sehen das Land im Chaos versinken
Mit einer frischen Regierungsmannschaft möchte Giorgos Papandreou die Gemüter seiner Griechen beruhigen, die Märkte beruhigen und das Vertrauen seiner europäischen Partner zurückgewinnen. Er opferte dafür vor allem die Macht seines bisherigen Spezis, eines anderen Giorgos. Finanzminister Papaconstantinou. An seiner Stelle soll der schwergewichtige Evangelos Venizelos finanzpolitische Heilsideen verkünden.
Papandreou folgt mit seiner Kabinettsumbildung der alten bewährten Familientradition. Schon sein Vater Andreas griff in den Achtzigern und Neunzigern zum Mittel der Umverteilung von Ministertitel als Beruhigungspille für renitente Fraktionsmitglieder. Ausgerechnet Venizelos, seinem schärfsten innerparteilichen Rivalen, bescherte Papandreou nun den in Zeiten knapper Kassen letzten mächtigen Ministerposten. Venizelos soll als zweiter Vizepremier neben Thodoros Pangalos die Fraktion kontrollieren und möglichst schnell erfolgreiche Verhandlungen mit den Kreditgebern führen.
Der Staatsrechtsprofessor Venizelos selbst war bisher die Allzweckwaffe der sozialistischen PASOK für geschickte Verfassungsänderungen. Auf seinen Mist ist die umstrittene Amnestiegesetzgebung für Minister gewachsen. Vergehen von Ministern im Amt sind somit nur bis zum Ende der zweiten Sitzungsperiode, die auf die Straftat folgt, juristisch behandelbar. Darüber hinaus müssen sich erwischte Minister nicht einem profanen Staatsanwalt stellen. Sie dürfen lediglich von der absoluten Mehrheit der Parlamentarier angeklagt werden. Durch die Verankerung in Artikel 86 der Verfassung ist der Amnestieschutz noch für einige Jahre festgeschrieben.
Für Papandreou ist klar, dass ein Minister, der am Anfang des Jahrtausends, 2001 bis 2003, solch eine hanebüchene Regel durchs Parlament bringen und in der Verfassung verankern konnte, zehn Jahre später auch mit den Europäern Schlitten fahren kann. Dass eben dieser Venizelos selbst mehrfach an Papandreous Stuhl sägte, erscheint dem Premier als weiterer Pluspunkt im Kampf um die Wählergunst. Der Hauptkritikpunkt an Papandreous Handeln mit der IWF-EZB-EU Troika war die offensichtlich fehlende Verhandlungsfähigkeit seines bisherigen Finanzministers Papaconstantinou.
Venizelos ist im Gegensatz zu Papandreou kein Diplomat und kein Zauderer wie Papaconstantinou. Er ist vielmehr ein selbstbewusster Pragmatiker, der für jeden seiner Standpunkte schlagkräftige Argumente aus dem Ärmel zaubert. Anders als Papandreou, der oft durch tragikomische Sprachfehler auffällt, ist der neue Finanzminister der griechischen Sprache mehr als mächtig. Sie ist für ihn eine Waffe. "Nun ziehe ich in den wahren Krieg", begann der bisherige Verteidigungsminister Venizelos seine Antrittsrede. Mit tiefem Gespür für die aufgerüttelte Volksseele wandte er sich an "besonders persönlich an jeden Arbeitslosen, jeden Rentner, jeden verarmenden Angestellten und jeden um seine Existenz bangenden Kleinunternehmer".
Papandreou gibt Macht ab und opfert seine Getreuen
Die Wahl Venizelos zeigt, dass der Premier nunmehr, statt auf eine ökonomische Lösung der griechischen Krise zu hoffen, eine politische Entscheidung zum griechischen Schuldenproblem sucht. Venizelos ist es zuzutrauen, dass er dem Volk verkauft, die bisherige Politik sei nur ein Versuch gewesen, die Europäer von der Unmöglichkeit des Sparens zu überzeugen.
Auch auf anderen Posten und Positionen zeigte Papandreou kleine, aber überraschende Kehrtwenden. Er hatte noch am Mittwoch angesichts einer drohenden Revolution des Volks auf der Straße seinen Rücktritt angeboten und diesen wenige Stunden später zurückgezogen (Griechenland: Wie viel Macht hat das Volk?). Der zweitmächtigste Minister in Papandreous Kabinett, Michalis Chrysochoidis, bestätigte auch gestern noch einmal ausdrücklich Papandreous Remissionsangebot. "Es ist wahr, er wollte Platz machen. Nur wollte niemand den Posten haben", sagte Chrysochoidis gegenüber der Presse.
Nun gibt er tatsächlich Macht ab. Nicht nur Venizelos, sondern auch ein Regierungsrat ausgewählter Minister erhält Richtlinienkompetenzen. Dieser Rat wird nun von Parteigängern des früheren PASOK-Ministerpräsidenten Costas Simitis beherrscht. Die wiedererwachte "Gruppe der Modernisierer", die einst das Land in die Eurozone brachte, soll nun den Karren aus dem Dreck ziehen.
In der Ministerriege wurden die meisten der bisherigen Papandreou-Getreuen degradiert. Freunde seines Bruders, wie die bisherige Umweltministerin Tina Birbili, der ministerielle Staatssekretär im Außenministerium Spyros Kouvelis und die nun ehemalige Wirtschaftsministerin Louka Katseli verloren ihre Posten. Giorgos Papandreous politische Ziehsöhne und persönliche Weggefährten, wie der bisherige Außenminister Dimitris Droutsas oder der ministerielle Bildungsstaatssekretär Giannis Panaretos, wurden ebenfalls aus dem Kabinett entfernt. Life-Style Ministerinnen, wie Theodora Tsakri und Anna Dalara, mussten gehen.
Geopfert wurde auch das Papandreische Gleichstellungscredo. Nur vier Frauen finden sich in der zweiundvierzigköpfigen Ministerriege. Allein drei davon sind im Bildungsministerium.
Reaktionen auf den Wechsel
Die gesamte Opposition sieht in der neuen Mannschaft eine "Regierung auf Abruf". Sie wettert und zetert, dass nur Neuwahlen eine wirkliche Lösung bringen könnten. Die Kommunisten rufen zu neuen Generalstreiks auf und organisieren nahezu täglich Kundgebungen. Die Bewegung der so genannten "Wutbürger", auch "empörte Bürger" genannt demonstriert munter weiter.
Am morgigen Sonntag brechen von Sparta aus Aktivisten für einen Fußmarsch nach Athen auf. Am Mittwoch möchten die Spartiaten zur Gruppe des Athener Syntagmaplatzes stoßen. Das bestehende politische System soll weiterhin gestürzt werden. Papandreous Beruhigungspille, die am Dienstag ein Vertrauensvotum überstehen muss, wirkt bisher nicht.
Wie sehen die Griechen als Individuen ihre Zukunft?
Der Bauingenieur und Musikexperte Panagiotis Kounadis bemerkt dazu: "Ich glaube keinem der etablierten Politiker mehr, denn niemand präsentiert eine reale Alternative zum jetzigen Untergang." Er gehört zur Spitha-Bewegung des greisen Komponisten Mikis Theodorakis. Kounadis sieht für die Zukunft des Landes schwarz, gegenüber Telepolis äußerte er:
Es ist realistisch gesehen nicht möglich, einen wirklichen Kommentar zur Lage des Landes abzugeben. Jeden Moment ändert sich die Situation, so dass unsere gestrigen Standpunkte heute bereits überholt erscheinen. Es herrscht das Chaos. Konkret bedeutet das, dass es keine Planungssicherheit für mehr als zehn Minuten gibt. Jegliche Prognosen oder gar Investitionen erscheinen deshalb sinnlos.
Panagiotis Kounadis
Etwas besonnener sieht die Publizistin Elia Zervou die Lage. Zervou betreibt ein politisches Internetmagazin und eine Frauenzeitschrift. Für Telepolis beschrieb sie aus ihrer Sicht die Lage der Nation:
Jahrelang wurden die nun Demonstrierenden regelrecht gepampert, es ist klar dass sie nun auf die Barrikaden gehen, denn man hat ihnen auf einen Schlag all das genommen womit sie bisher verwöhnt wurden. Dennoch haben die "Wutbürger" etwas erreicht, dessen sie sich wahrscheinlich kaum bewusst sind. Merkel und Sarkozy werden offensichtlich dafür sorgen, dass die notwendige Übergangsphase einfacher gestaltet wird.
Elia Zervou
Pragmatisch diagnostiziert sie: "Jede Regierung hätte die gleichen Probleme wie die aktuelle. Deshalb wären Neuwahlen absoluter Unsinn. Ohne Reformen kann das Land nicht mehr existieren." Für Frau Zervou steckt das Land vor allem in einer Wertekrise. Oppositionelle Spielchen sind ihr suspekt:
Alle Parteien, rechts wie links müssten ohne Rücksicht auf die eigene Ideologie unter den gegebenen Vorraussetzungen zu ähnlich drastischen Sofortmaßnahmen greifen und alle würden es auch tun, egal was sie jetzt aus wahlpolitischen Gründen sagen. Alle, bis auf den Rechtspopulisten Karatzaferis. Denn dieser würde das Land in ein absolutes Chaos versinken lassen.
Elia Zervou
Sie schränkt aber ein, dass "solche Schritte nicht ruckartig erfolgen können. Man muss behutsamer vorgehen, denn die Umstrukturierung ist überaus schmerzvoll." Sie sieht die Gründe für innereuropäische Spannungen in Mentalitätsunterschieden:
Die Griechen denken nicht logisch. Sie sind vor allem emotional gesteuert. Das führt oft zu im Westen unverständlichen Überreaktionen und macht die Menschen anfällig für populistische Ideen. Und eben dies erweist sich in der aktuellen Situation als größtes Hindernis.
Elia Zervou
Weniger philosophisch eher pragmatisch sieht die Opernsängerin und Gesangslehrerin Albina Zachariadou das Leben in Griechenland, sie denkt ans Auswandern. Ihr ältester Sohn, ebenfalls studierter Musiker und Sportlehrer, versucht bereits, zusammen mit seiner Verlobten eine Arbeitsstelle für den Absprung von der griechischen Titanic zu finden. Frau Zachariadou hat auf großen internationalen Bühnen in Mailand, Prag und Moskau gearbeitet. Ausgebildet wurde sie in Batumi und am Bolshoi in Moskau. Sie gehört zur den Pontosgriechen, die erst nach dem Fall des Ostblocks ins hellenische Mutterland zurückkehrten:
Meine Freunde aus Moskau rufen mich an und fragen: Was hast Du Dir angetan, dass Du dort lebst? Sie sehen die Bilder aus Athen im Fernsehen und erschrecken sich. Hier in Griechenland hacken wir uns gegenseitig die Augen aus.
Albina Zachariadou