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Griechenland in der Pandemie: Verschwörungsmythen und anderer Irrsinn

Wassilis Aswestopoulos

Covid-Teststation in Thessalonki im April 2021. Bild: Geraki, CC BY-SA 4.0

Und welchen Anteil Vertreter der Regierung Mitsotakis an dieser Entwicklung haben

In der vierten Welle der Corona-Pandemie festigt sich in Griechenland der Eindruck, dass nicht nur die öffentliche Gesundheit, sondern auch das Vertrauen vieler Bürger in die Regierung massiv beeinträchtigt worden ist. Die Regierenden sind daran nicht so unschuldig, wie sie sich geben. Sie neigen zu teilweise haarsträubenden Äußerungen.

Auf die Frage, was die bizarren Verschwörungstheorien der Covid-Leugner noch toppen kann, bieten die Reaktionen auf die aktuelle Volkszählung in Griechenland [1] eine Antwort. Seit 1951 werden alle zehn Jahre die Einwohner des Landes gezählt und deren Wohnsituation statistisch erfasst.

Die erste Volkszählung fand 1828 statt. Damals wurde auch rückwirkend die Bevölkerungszahl aus dem Jahr des Aufstands gegen das Osmanische Reich, 1821, ermittelt. Für die Volkszählung, die vom Oktober bis in den Dezember läuft, wurden rund 60.000 Helfer angeworben. Ihnen wurden brutto 1.200 Euro Honorar versprochen [2]. Die 1.200 Euro seien mit eineinhalb Monaten Arbeit zu verdienen, hieß es [3].

In der Corona-Leugner-Szene kursiert nun die Theorie, dass die Volkszählung nur inszeniert werde, um den Impfstatus der Bürger zu überprüfen und zu erfassen. In einer im Netz kursierenden Nachricht heißt es:

Achtung, sie gehen herum und sagen, dass sie eine Volkszählung machen, sie wissen, wie viele Wohnungen das Gebäude hat, wie viele Personen es gibt. Das ist eine Überprüfung der Ungeimpften, damit dann Sozialarbeiter, eventuell Anwälte, Polizei geschickt werden. Lassen Sie niemanden Ihr Haus betreten und geben Sie keine Informationen und persönliche Daten weiter.

Zu den Nebenwirkungen und "Langzeitfolgen" dieser Theorie zählt, dass die für die Volkszählung tätigen Hilfskräfte ihren Lohn verlieren. Sie erfahren nun auf die harte Tour, was das Kleingedruckte in ihren Verträgen bedeutet.

Wenig Geld gibt es nur bei erfolgreicher Befragung

Sie werden nur dann bezahlt, wenn sie ihre Befragungen erfolgreich abschließen. Die obligatorische Schulung vor Beginn des Einsatzes zählt dabei kaum zur Arbeitszeit. Die Hilfskräfte treffen teilweise auf gewaltbereite Pandemieleugner.

Hinzu kommen noch weitere Zweifler an der Volkszählung. Diese fürchten unter anderen, dass die Daten vom Staat für weitere Zwecke, wie etwa eine Überprüfung durch das Finanzministerium, missbraucht werden könnten.

Akis Skertsos ist Minister ohne Geschäftsbereich. Er war vorher Staatssekretär im Amt des Premierministers und erhielt die Beförderung zum Minister im vergangenen August. Skertsos gehört zum engsten Kreis von Premierminister Kyriakos Mitsotakis.

Er studierte Journalismus an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki und hat seinen Master in politischem Management und Lobbyismus von der George Washington University. Skertsos wurde am Freitag ins Fernsehen des privaten Senders Mega TV eingeladen, um die Politik der Regierung zu erklären.

Mitsotakis hatte am Donnerstag in einer Ansprache ans Volk neue Maßnahmen vorgestellt, ohne diese im Detail zu präzisieren. Eine der Maßnahmen ist eine 2-G-Regel für sämtliche öffentliche geschlossene Räume, ausgenommen sind Kirchen, Supermärkte, Apotheken und den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Mitsotakis bestritt, dass dies ein Lockdown sei und beteuerte, dass Geimpfte nicht wesentlich zum Infektionsgeschehen beitragen würden.

In Kirchen können Gläubige mit einem negativen Testergebnis eines Schnelltestes eintreten. Hier wird der Staat nur stichprobenartig kontrollieren. Generell obliegt die Kontrolle der Polizei.

In Supermärkte, Apotheken und den ÖPNV können alle hinein, sofern sie sich an die Maskenpflicht halten. Impfzeugnisse von über 60-Jährigen werden nach dem Ablauf von sieben Monaten für ungültig erklärt, sofern keine Boosterimpfung vorliegt.

Mitsotakis forderte zudem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, europaweit die Impfnachweise nach dem Ablauf von sieben Monaten nach der letzten Impfung ungültig erklären zu lassen. In Griechenland herrscht Impfpflicht für sämtliche Berufsgruppen, die in Einrichtungen des Gesundheitswesens tätig sind.

Minister: Polizisten verbreiten den Virus nicht

Skertsos musste im Fernsehen einen Widerspruch erklären. Denn alle Maßnahmen werden von Polizisten überwacht. In der Polizei wurde eine überdurchschnittliche Quote von Impfverweigerern registriert.

Das brachte die Frage auf, ob die Polizei nicht selbst überdurchschnittlich zur Infektionsverbreitung beitragen würde. Schließlich kommen die Polizisten mit mindestens genauso vielen Menschen in Kontakt, wie Verwaltungsmitarbeiter oder Küchenpersonal in staatlichen Krankenhäusern.

Skertsos sah den Widerspruch nicht. Zunächst erklärte er, dass die Impfpflicht für die Polizei zur Suspendierung von so vielen Polizisten führen würde, dass die Arbeit der Polizei als Ganzes in Gefahr gebracht würde.

Die Polizeidienste bezeichnete er als den Kern des Staatswesens. Womit er der Polizei in der Pandemie indirekt mehr Systemrelevanz zumaß, als es die Regierung für Berufsfelder des Gesundheitswesens tut. Er meinte sogar, dass die Impfpflicht für Polizeiberufe unnötig sei und sagte [4]:

Es gibt keine Studie, die zeigt, dass Polizisten das Virus übertragen, und es damit zum Schutz der Personen, die mit ihnen in Kontakt kommen, erforderlich wäre sie (die Polizisten) unbedingt zu impfen. Unsere Maßnahmen sind der Gefahr durch die Verbreitung des Virus angemessen.

Der Skertsos interviewende Journalist, Nikos Evangelatos, widersprach nicht. Er fand alles, was der Minister sagte "verständlich".

Die Oppositionsparteien reagierten sofort mit harscher Kritik. Sie erwähnten unter anderen, dass die Regierung zwanzig Monate gebraucht habe, um das Infektionsgeschehen in Bussen und Bahnen ernst zu nehmen.

Die Kommunistische Partei kommentierte, die Regierung müsse endlich einsehen, dass die Pandemie in Schulklassen mit immer mehr Kindern und Jugendlichen und auch durch ungeimpfte Polizisten angetrieben werden.

Misslungenes Dementi

Am Samstag versuchte Skertsos ein Dementi, machte es aber nur noch schlimmer [5].

Der Zeitdruck beim Fernsehen führt oft zu übereilten Formulierungen, welche der Argumentation, die hinter einer Äußerung steht, nicht gerecht werden. Es ist offensichtlich, dass Polizisten, wie auch die übrigen unserer Mitbürger, krank werden können, wenn sie sich nicht an die persönlichen Schutzregeln halten. Aber sie nehmen sicherlich nicht an Virusverbreitungsketten teil, welche die Auferlegung einer Impfpflicht rechtfertigen. Keine der Daten aus dem täglichen Tracking, das von den zuständigen Diensten mit wissenschaftlicher Methodik durchgeführt wurde, legen diese Schlussfolgerung nahe.

Es dürfte schwierig sein, mit einer derartigen Argumentation eingefleischte Impfgegner zu überzeugen, sich impfen zu lassen, oder den faktischen Lockdown für Ungeimpfte, sofern nicht in Uniform, zu akzeptieren.

Zu Anfang der Pandemie hatte der Chefvirologe der Regierung, Professor Sotiris Tsiodras sogar behauptet, dass Kinder ein "besonderes Enzym" in der Nase trügen, welches sie immun gegen Covid mache und dass Masken kein Schutz, sondern eher schädlich seien. Beide Aussagen wurden während der Pandemie als falsch widerlegt. Konsequenzen für Tsiodras gab es nicht.

Tsiodras würde am Wochenende zum Leiter einer neuen Expertenkommission für die Pandemie bestimmt [6].

Während es innerhalb der EU in Österreich nun den ersten Lockdown der vierten Welle gibt, und Bayern in einem gewissen Maß bereits nachzieht, wird eine solche Maßnahme für Griechenland, durch Mitsotakis, aber auch durch Gesundheitsminister Thanos Plevris noch ausgeschlossen [7].

Warum das so ist, ließ Wirtschaftsminister Adonis Georgiadis ebenfalls im Fernsehen durchblicken. Es gibt kein Geld mehr in den Kassen, das für Corona-Hilfen ausgegeben werden könnte.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6273224

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.statistics.gr/en/2021-census-pop-hous
[2] https://www.news247.gr/koinonia/apografi-2021-oi-amoives-kai-ta-kritiria-epilogis-gia-toys-apografeis.9365220.html
[3] https://www.tovima.gr/2021/09/10/finance/zitountai-amesa-60-000-apografeis-i-amoivi-gia-enamisi-mina-douleias/
[4] https://www.lifo.gr/now/politics/skertsos-den-yparhei-kapoia-meleti-poy-na-deihnei-oti-oi-ergazomenoi-stin-astynomia
[5] https://www.efsyn.gr/politiki/paraskinia/319960_bathystohasto-epiheirima-giati-den-tha-ginei-ypohreotikos-o-emboliasmos
[6] https://www.iefimerida.gr/ellada/epikefalis-o-sotiris-tsiodras-sti-nea-epitropi-empeirognomonon
[7] https://www.imerisia.gr/politiki/27987_th-pleyris-poia-tha-mporoysan-na-einai-ta-epipleon-metra-den-tha-yparxei-lockdown