Grönlands und Norwegens "Gretas"
Auch die beiden Länder haben zwei junge Aktivistinnen, die sich für das Klima engagieren und landesweit eine mediale Wirkung haben
Sascha Blidorf aus der grönländischen Hauptstadt Nuuk sammelt derzeit Geld für ihre Reise nach Davos. Während des Weltwirtschaftsforums vom 21. bis 24. Januar will sie in einem Arctic Basecamp in Zelten leben und mit Wissenschaftlern diskutieren und den Politikern, die vorbeischauen, die Leviten lesen.
"Wir können ja demonstrieren, solange wir wollen, aber am Ende sind sie es, die entscheiden", erklärte sie in einem Fernsehbeitrag.
Dabei ist die 19-jährige selbst bereits Parteimitglied. Sie führte 2019 in der sozialliberalen Partei "Demokraten" den Klimawandel als Hauptthema ein und kandidierte als jüngste Politikerin im vergangenen Jahr sogar für den Folketing, das nationale Parlament in Dänemark, das zwei Sitze für Vertreter der halbautonomen Insel in der Arktis reserviert hat.
Ihr großes Vorbild ist, wie könnte es anders sein, Greta Thunberg - im März 2019 organisierte Blidorf mit ihrer Schulkameradin den ersten "Fridays for Future"-Streik auf der größten Insel der Welt. Auch in Kopenhagen war sie schon vorstellig und schockiert darüber, dass dort viele politische Entscheidungsträger bei ihrem Sujet abwiegelten.
Grönland: Nicht alle fürchten den Klimawandel
Sie selbst wurde zum ersten Mal als Grundschülerin mit dem Thema konfrontiert - damals meinte die Lehrerin, dass sie es alle selbst nicht mehr erlebten, wenn das Inlandeis mit dem Schmelzen beginnen würde. Doch in letzer Zeit wird von einem immer stärkeren Rückgang des größten Eispanzers der Welt berichtet. Nach wissenschaftlichen Berechnungen des Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel würden 270 Milliarden Tonnen Eis jährlich abschmelzen.
Die Erwärmung ist auch sonst spürbar: Anfang des vergangenen Oktobers konnte Blidorf noch Brombeeren pflücken, es schneite erst Ende November, als Kind erlebte sie den ersten Schnee schon im September, berichtete sie dem Dänischen Fernsehen DR.
In Grönland selbst sind bereits 90 Prozent davon überzeugt, dass ein Klimawandel stattfindet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass er von allen Bewohnern abgelehnt wird. Tönnes Berthelsen, stellvertretender Direktor der Vereinigung für Fischerei, glaubt, dass die Erwärmung für die Ökonomie Grönlands gut sei. Tatsache ist - die Fischsaison dauert derzeit länger, durch den Rückzug des Eises gebe es zudem mehr Flächen zum Weiden und für den Gemüseanbau.
Ausgerechnet Aqqalu Jerimiassen, Energie- und Wirtschaftsminister, der dafür zuständig ist, dass Grönland bis 2030 zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umsteigt, glaubt nicht daran, dass eine globale Erwärmung existiert. Er ist von einem Zyklus der Natur überzeugt, der die wärmeren Temperaturen verantwortet. Den hiesigen Klimaaktivisten warf er "Geschrei" vor. Für Blidorf gibt es somit noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.
Norwegen: Radikal gegen den Autoverkehr in der Hauptstadt
Auch die Norwegerin Lan Marie Nguyen Berg, 32, muss derzeit überzeugen und es ist fraglich, ob ihr das gelingen wird. Dabei war sie bis vor kurzem eine Art Superstar ihrer Partei die Grünen. Seit 2014 leitet sie das Umweltamt der Stadt Oslo, bei ihrer Wiederwahl im September 2019 erhielt sie die meisten Stimmen aller Kandidaten, seitdem wirkt sie auch als stellvertretende Bürgermeisterin.
Als Kind eines Vaters aus Vietnam interessiert sie sich früh für die Belange der Ärmeren auf der Welt, studiert Entwicklungswissenschaften, arbeitete in der Einwanderungsbehörde, untersucht die Auswirkungen des Klimawandels in der Südsee.
"Was am Klimawandel so unfair ist, ist, dass wir die Reichsten sind, die am meisten zu den Veränderungen beigetragen haben, während es die Armen sind, die am wenigsten beigetragen haben, die jedoch am stärksten betroffen sind", sagte sie einer norwegischen Zeitung im vergangenen Frühjahr.
Radikal ging sie bislang gegen den Autoverkehr in der Hauptstadt vor und wurde dafür gefeiert und verflucht. Schon 2015 wurden Autos aus dem Zentrum verbannt, 2017 wurde ein temporäres Dieselfahrverbot beschlossen, nach ihrer Wiederwahl fiel die Entscheidung, 4.000 Parkplätze zugunsten von Fahrradwegen abzubauen.
Ab 2025 sollen PKWs, auch die vielen Elektroautos, die von sauberem Wasserkraftstrom gespeist werden, verschwinden. Im Januar vergangenen Jahres waren 50 Prozent der PKWs bei einer Neuanschaffung in Oslo ein Elektroauto. Norwegen lebt von seinen Öl- und Gasressourcen in der Nordsee, nutzt diese jedoch nicht als Energieform für seinen Stromverbrauch. Bis 2030 soll die norwegische Hauptstadt vollkommen emissionsfrei sein.
Aufgrund des Erreichten und der Ziele wurde Oslo 2019 von der Europäischen Kommission zur Umwelthauptstadt Europas gewählt.
Gegen die Ölindustrie und "alte Männer"
Berg gilt als kämpferisch, die junge Mutter wurde aufgrund ihrer Politik mehrfach bedroht. Nach ihrem großen Wahlsieg im vergangenen September kündigte sie auch zwei Feinden den Kampf an - der Ölindustrie sowie alten weißen Männern in der Politik, die seit 30 Jahren den Trend verschlafen hätten. Die Mineralölbranche müsse nun wissen, dass die "Zeit, in der es in Ordnung war, Geld zu verdienen, um unsere Zukunft zu zerstören, bald vorbei ist."
Beiden Gruppen würden nun die Hosen schlottern. Der Energieminister, der einst auf einer Pressekonferenz seinem Diesel-Benz eine Liebeserklärung machte, reagierte im Gegensatz zu seinem grönländischen Amtskollegen mit einer Einladung zum Gespräch. Die Branche war jedoch im Allgemeinen nicht erfreut.
Ganz anders die Süddeutsche: Als "Visionärin" feierte sie Ende November die grüne Politikerin mit dem breiten Lächeln. Doch im norwegischen Blätterwald rauschte es da schon ganz anders - kurz nach der Wahl kam heraus, dass es zu Arbeitsrechtverstößen unter ihrer Verantwortung im Umweltamt gekommen sei.
Der Rückschlag
Im Dezember wurden bereits von 250 000 Rechtsverletzungen gelistet. Diskutiert wird derzeit, dass das norwegische Arbeitsrecht zu strikt sei, verlangt wurde nach einer langen Schonfrist jedoch auch der Abtritt des ehemaligen Stars, auch von politisch nicht rechts stehenden Medien.
Denn Marie Lan Berg habe auch vieles getan, um die Unregelmäßigkeiten zu verbergen und sich bislang wenig zur Aufklärung beigetragen, Informationen seien vorenthalten worden. Auch drohen nun mehrere Klagen gegen die Umsetzung des Projekts "Autofreies Oslo", die weitere Unregelmäßigkeiten zu Tage fördern würden. Wohl um dem Feuer der Kritik zu entkommen, liess sie sich im November krank schreiben und nimmt von Januar bis Juni 2020 einen Mutterschaftsurlaub in Anspruch.
"Radikal ist das neue realistisch", diesen Satz entlehnte sie offiziell von ihrem deutschen Parteifreund Robert Habeck aus Deutschland. Ob nun der Realismus der Grünen der Wirklichkeit des politischen Alltags nicht gewachsen war oder anders herum, sehen die einen so und die anderen so. Für das berechtigte Anliegen des Klimaschutzes ist der noch nicht abgeschlossene Fall ein Rückschlag.