Großbritannien baut Atomwaffen-Arsenal aus
UK-Regierung will die Anzahl der nuklearen Sprengköpfe deutlich erhöhen. Der britische Way of Life ist bedroht
London sendet Signale, die zum Rüstungswettlauf animieren. Die britische Regierung will die Anzahl der nuklearen Sprengköpfe von "auf nicht mehr als 260 erhöhen". Das geht aus dem aktuell veröffentlichten Sicherheitsbericht "The Integrated Review" , der die außenpolitische Leitlinien des UK formuliert, hervor.
Dort wird auf Seite 76 zwar eingeräumt, dass man im letzten Jahrzehnt das Arsenal noch abbauen wollte, jetzt habe man aber die Lageeinschätzung geändert:
Im Jahr 2010 erklärte die Regierung ihre Absicht, die Obergrenze für den Gesamtbestand an Nuklearsprengköpfen bis Mitte der 2020er Jahre von maximal 225 auf maximal 180 zu reduzieren. In Anbetracht dessen, wie sich das Sicherheitsumfeld verändert, einschließlich der Bandbreite an technologischen und doktrinären Bedrohungen, die sich entwickelt haben, ist dies jedoch nicht mehr möglich, und Großbritannien wird zu einem Gesamtbestand an Kernwaffen von nicht mehr als 260 Sprengköpfen übergehen.
The Integrated Review
Es ist das erste Mal seit dem Kalten Krieg, dass das britische Nukleararsenal wieder aufgestockt werden soll, kommentierte die schottische Zeitung The National schon vor der offiziellen Veröffentlichung des Berichts. Die mit Atomwaffen bestückte britische U-Boot-Flotte ist an der Westküste Schottland stationiert und dort ist man nicht besonders glücklich darüber.
56 Prozent der Schotten sind gegen eine Erneuerung des Trident Nuklearprogramms, das offiziell - wie alle Atomrüstung außer freilich von der gegnerischen Seite - der Abschreckung dient.
Schon zur Erneuerung der Trident-U-Boot-Flotte im Jahr 2016 sagte die damalige Premierministerin Theresa May, dass die nukleare Bedrohung eher größer als kleiner geworden sie und bejahte die Frage, ob sie die Waffen einsetzen würde.
Jetzt werden der aktuelle Premierminister Johnson und Regierungsvertreter mit einer ganzen Reihe von Gründen zitiert, die in ihren Augen die Aufstockung des Nukleararsenals zur Notwendigkeit machen: Die Bedrohung des britischen Way of Life durch "Schurkenstaaten, Terroristen und Big Tech Konzernen(!)", wird Johnson als Begründung zugeschrieben, präzisiert wird die terroristische Bedrohung mit "islamistischen Motiven oder in Bezug auf Nordirland".
Der Bericht warnt davor, dass es wahrscheinlich ist, dass eine terroristische Gruppe in den kommenden neun Jahren einen erfolgreichen chemischen, biologischen oder nuklearen Angriff durchführen wird.
Sky News
Russland wird als "akuteste Bedrohung" beschrieben, auch linker und rechter inländischer Terror gehört ins Bedrohungsszenario, das die oben erwähnte veränderte Einschätzung zur Sicherheitslage wiedergibt. Angeführt werden auch China, die Möglichkeit einer neuen Pandemie und auch Folgen des Klimawandels.
Zwar wird China, wie nicht anders zu erwarten, nicht als militärischer Gegner eingestuft, sondern als Geschäftspartner und zugleich Konkurrent, genauer als "systemischer Konkurrent" ("systemic competitor"), dessen autoritäres System sich nicht mit den Werten des Vereinigten Königreich und anderer liberaler Demokratien vertrage. Einen besondere Aufmerksamkeit bekommt die militärische Entwicklung Chinas. Sky News zitiert dazu folgenden Passus aus dem Sicherheitsbericht:
Die erheblichen Auswirkungen der militärischen Modernisierung Chinas und die wachsende internationale Durchsetzungskraft in der indopazifischen Region und darüber hinaus stellen ein zunehmendes Risiko für die Interessen Großbritanniens dar.
Sky News
Das strategische Interesse am indopazifischen Raum bekommt im neuen Bericht eine besondere Rolle. Wie sich das dann mit der Nato-Strategie gekoppelt wird und generell mit dem Bestreben der westlichen Bündnispartner, den Status quo des westlichen Way of Life militärisch abzusichern - angesichts der multipolaren Bedrohungsszenarien, zu denen auch die Folgen des Klimawandels gehören - wird noch einigen Stoff für geopolitische Diskussionen abgeben.
Die ersten scharfen Reaktionen auf die britischen Aufrüstungspläne sind ganz konkret und kommen dezidiert von Vertretern der nuklearen Abrüstung, die Großbritannien auf die Verletzung von Artikel 6 des Atomwaffensperrvertrags hinweisen.
Die Pläne der Regierung zum Ausbau der nuklearen Bewaffnung stehen laut der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) im Widerspruch zur Vereinbarung, die von Großbritannien unterzeichnet wurde.
"Das Vereinigte Königreich ist unter dem Atomwaffensperrvertrag rechtlich verpflichtet, Abrüstung zu betreiben. Die Staaten werden sich bald treffen, um den Erfolg des Atomwaffensperrvertrags zu überprüfen, und wenn sie das tun, wird das Vereinigte Königreich sich für seine Handlungen verantworten müssen", so die ICAN-Erklärung.