Großbritannien plant die bislang größte genetische Studie
Mit der UK Biobank sollen bei einer halben Million Menschen die Zusammenhänge zwischen Genen, Umwelt und Lifestyle erforscht werden
Die Briten setzen sich mal wieder an die Spitze der europäischen Biomedizinforschung: Die Vorbereitungen für "UK Biobank", die größte je durchgeführte genetische Studie, laufen auf Hochtouren. Doch das immens teure Projekt wurde in den letzten Wochen zum Politikum. Das eigentlich Traurige jedoch ist, dass Europa geschlafen hat.
Es gibt eine medizinische Studie, die fast mythischen Ruf genießt. Sie ist so legendär, dass sie jeder Medizinstudent nach wenigen Semestern kennt. Und sie soll jetzt in Großbritannien unter dem Namen UK Biobank neu aufgelegt werden.
Die Rede ist von der sogenannten Framington-Heart-Study, die in den 60er Jahren in der amerikanischen Kleinstadt Framington durchgeführt wurde. Etwas vereinfacht gesagt wurde der kompletten Bevölkerung dieser Stadt zu Beginn der Untersuchung einmal Blut abgenommen. Danach wurden die Menschen über Jahre hinweg beobachtet: Welche Krankheiten traten auf? Woran starben die Leute? Später stürzten sich dann ganze Heerscharen von Statistikern auf das Material, um Korrelationen herzustellen zwischen bestimmten Blutwerten und vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Framington-Studie ist jene Studie, der wir das Cholesterin verdanken, beziehungsweise das Wissen, dass es schädlich sein kann.
Die Biobank soll Licht ins Dunkel von Genen, Umwelt und Verhalten bringen
Wenn in London von UK Biobank die Rede ist, dann wird oft der Vergleich mit der Framington-Studie gezogen. Ab nächstem Jahr soll einer halben Million Briten im Alter zwischen 45 und 69 Blut abgenommen werden. Die Studienteilnehmer legen dann über ein Jahrzehnt ihre Krankenakten offen und geben Auskunft über ihren Lebenswandel. Allerdings interessiert diesmal nicht irgendein Cholesterinwert: Die Gene sind es, auf die es die Forscher abgesehen haben. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und bestimmten Genkonstellationen? Welchen Einfluss haben Umwelt und Lebensweise darauf, ob Alzheimer oder Krebs auftreten, und korreliert der Ausbruch dieser Krankheiten dann mit bestimmten Mustern im Erbgut? Lassen sich "riskante" Gene durch Umweltfaktoren oder Lifestyle neutralisieren?
Das Biobak-Projekt ist in gewisser Hinsicht angewandte Genetik, die logische Konsequenz des Humangenomprojekts. Wo die sequenzierende Genomforschung bislang nur eine lange Reihe von Daten geliefert hat, interessiert sich UK Biobank jetzt für das echte Leben. Es sind Daten, wie sie von der Biobank-Studie geliefert werden sollen, auf die die Genforschung weltweit wartet.
Gene sollen nicht in den Hamburger Bahnhof ...
Genau dieser Aspekt wird von den Sponsoren jetzt auch immer wieder betont, denn das mit 70 bis 100 Millionen Euro äußerst teure Projekt hat in den letzten Wochen scharfen Gegenwind bekommen. Finanziert wird es mit öffentlichen Geldern des Medical Research Council (35 Millionen Euro), des Wellcome Trust (35 Millionen Euro) und des britischen Gesundheitsministeriums. Mitte März hat sich das britische Unterhaus mit einer äußerst kritischen Stellungnahme zu Wort gemeldet, die den neuen Biobank-Chef John Newton jetzt sogar zu einem Parlamentsbesuch veranlasst hat.
"Das Genom selber ist nicht die Antwort", verkündete der Public-Health-Spezialist dort etwas pathetisch und fuhr fort: "Praktische Intelligenz ist jetzt gefordert, sonst werden alle unsere schönen Einsichten ins menschliche Erbgut zu Exponaten in einem Museum zeitgenössischer Kunst."
Die Kritiker aus den Parlamentarierreihen stoßen sich vor allem daran, dass allein im letzten Jahr 36 Forschungsprojekte der höchsten Prioritätsstufe wegen des Biobank-Projekts keinerlei öffentliche Finanzierung erhalten haben. Diese Rechung hat zumindest die Zeitschrift Nature angestellt, und seither grummelt es im britischen Wissenschaftsestablishment, das auf die mächtige Biomedizinlobby ohnehin nicht furchtbar gut zu sprechen ist.
Es gibt allerdings auch erhebliche Zweifel an der soliden wissenschaftlichen Basis des gesamten Unterfangens. Führende Genetiker haben sich zu Wort gemeldet und die Befürchtung geäußert, dass die Studie vermeintliche Verbindungen zwischen Krankheiten und Genen herstellt, die in Wirklichkeit gar nicht existieren. Diese Gefahr ist in der Tat real, denn UK Biobank wird sich vor allem mit Krankheiten beschäftigen, bei denen Genetik und Umwelt auf vielfältige und oft schwer durchschaubare Weise ineinander greifen.
Andere Kritiker, etwa die Organisation Gene Watch, halten die im Studienprotokoll anvisierte Altersgruppe für falsch gewählt: Die meisten Entscheidungen über chronische Erkrankungen seien jenseits des 45. Lebensjahrs ohnehin schon gefallen. Das Problem: Nimmt man jüngere Probanden, dann sind zehn Jahre Beobachtung wahrscheinlich zu kurz. Doch jedes weitere Jahr kostet viel Geld.
Europa hat eine Chance verpasst
Einmal erhoben werden die Daten von UK Biobank Forschern weltweit zur Verfügung stehen. Doch für die Briten könnte sich das Projekt wegen der immensen Kosten zu einem wissenschaftspolitischen Eigentor allererster Güte entwickeln.
Es ist deswegen mehr als traurig, dass eine Europäische Union, die von einer einheitlichen Außenpolitik träumt, nicht in der Lage ist, derartige Mammutprojekte gemeinsam zu schultern. Nicht nur hätte man die kosten besser verteilen können. Man hätte vielleicht sogar den Projektzeitraum verlängern und damit jüngere Probanden auswählen können. Man hätte süd- und osteuropäische Genmuster mit an Bord gehabt. Kurz: Ein europäische Biobank-Studie wäre nicht nur kollegialer, sondern wahrscheinlich auch wissenschaftlich solider gewesen.