Groteske(s) Bild

Angebliche Aufnahmen von Gregor Gysis Gehirn sorgen für Schlagzeilen

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In der letzten Woche spekulierte die Bildzeitung unter der Schlagzeile „Gysi zeigt sein Gehirn“ mittels Auszügen aus der Krankenakte des PDS-Spitzenpolitikers, ob Genosse Gysi für den bevorstehenden Wahlkampf gesundheitlich fit genug sei oder nicht. Die Publikation zierte ein Foto. Angeblich eine computertomographische Aufnahme von Gysis Gehirn. Gysi bestreitet dies jedoch – und behält sich rechtliche Schritte vor, da er seine Persönlichkeitsrechte verletzt sieht.

Quelle: bildblog.de

„Meine Damen und Herren, kommen Sie und staunen Sie…“

Frei nach dem Amazon-Feature „Look inside“ wurde uns im Zuge einer Bildzeitungsstory bereits eine Innenansicht von Susan Stahnkes Darm (Polypen inside?) beschert. Letzte Woche dann war in dem auflagestarken Springer-Blatt angeblich eine Aufnahme von Gregor Gysis Gehirn (K(l)eine graue Zellen inside?) zu sehen. Ist das das moderne Pendant des einstigen Kuriositäten-Kabinetts? Statt Elefantenmenschen und den fettesten Zwillingen der Welt können heute post-aneurysmatische Gehirnhälften bestaunt werden?

„Hierzulande ein Novum, aber in Amerika im Wahlkampf längst Gang und Gäbe“ so Kai Diekmann, Chefredakteur der Bildzeitung. Dann dürfen wir „gespannt“ sein, was uns diesbezüglich als Nächstes blüht.

Professor Brinkmann lässt grüssen

Gregor Gysi musste sich im November vorigen Jahres in Berlin einer Gehirnoperation unterziehen. Sein behandelnder Arzt, Neurochirurg Professor Vogel, entfernte seinerzeit ein Aneurysma im Gehirn des PDS-Politikers. Bereits im August letzten Jahres titelte „Bild“ in schönster Schwarzwaldklinik-Manier: „Schon zum dritten Mal in diesem Jahr musste der PDS-Politiker ins Krankenhaus. Das Herz!“

Vergangenen Dienstag nun trieb die Bildzeitung die Frage um, ob Gysi, der im Falle von Neuwahlen im Herbst an der Seite von Lafontaine als Spitzenkandidat eines Bündnisses aus WASG und PDS antreten will, für einen anstrengenden Wahlkampf gesundheitlich fit genug sei. „Herr Gysi ist für den Wahlkampf genauso fit wie jeder andere Politiker mit 57", wurde Prof. Vogel in der „Bild“ zitiert und quasi als Beleg für die Aussage prangte neben dem Text die besagte Aufnahme von Gysis „gut durchblutetem“ Gehirn. Laut Aussage von „Bild“ soll Prof. Vogel für diese Fotos die Krankenakte des Politikers geöffnet haben.

Bizarr, bizarr

Begonnen hatte die Posse scheinbar mit einem lockeren Interview von und mit Gregor Gysi über seinen Gesundheitszustand und den Wahlkampf. Kai Diekmann äußert sich dazu folgendermaßen: „Weil das Interview nicht sehr sexy war und auch Fotos her sollten, wurde ein Termin mit Gysis Arzt, Professor Vogel, verabredet" – der dann „für Bild exklusiv die Krankenakte“ des Patienten öffnete.“ Vorher, so Diekmann weiter, wurde telefonisch die Genehmigung Gysis eingeholt.

„Dies ist eine Lüge“ gaben Arzt und Patient einhellig bekannt. "Ich habe niemandem erlaubt, meine Krankenakte oder gar Fotos daraus zu veröffentlichen. Ich wurde auch nicht gefragt" beschwert sich der PDS-Politiker.

"Herr Gysi hatte mir erlaubt, mit der Zeitung ganz allgemein über seinen Gesundheitszustand zu sprechen. Ich habe aber weder die Akte gezeigt, noch geöffnet, noch haben die Reporter die Akte einsehen können“ bekräftigte dann auch Prof. Vogel in einer Stellungnahme. Daher stammten die in der „Bild“ publizierten Fotos auch nicht von Gysi, sondern seien einem neurophysiologischen Fachbuch entnommen, anhand dessen der Professor der „Bild“-Reporterin die Funktionsweise des Gehirns erläutert habe.

Dieses dementierte ein „Bild“-Sprecher dahingehend, dass den beiden „Bild“-Mitarbeitern sehr wohl die computertomographischen Aufnahmen von Gysi vorgelegt worden waren und nicht etwa Anschauungsmaterial aus einem Buch abgelichtet wurde.

Drei, zwo, eins, seins?

„Eine Positiv-Geschichte“, gab Kai Diekmann zum Besten. Diese Meinung mag Gregor Gysi jedoch nicht teilen. Er ließ über die PDS mitteilen, dass er die Veröffentlichung dieser Aufnahmen als eine Einmischung in seine unmittelbare Privatsphäre empfinde, die er nicht gewillt sei hinzunehmen. Er werde rechtliche Schritte einleiten.

So musste denn auch die Axel Springer AG zwei Tage nach dem Erscheinen der Story eine Unterlassungserklärung abgeben. Wie ein Springer-Sprecher mitteilte, wird die Bildzeitung kein weiteres Mal Bilder aus Gysis Krankenakte abdrucken. Eine Unterlassungserklärung kommt jedoch nicht einem Schuldeingeständnis gleich. Daher; ob es sich bei den Boulevard-Blatt Fotos nun tatsächlich um Aufnahmen von Gysis oder doch um die eines Lehrbuch-Gehirns handelt? Wer weiß.