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Grüne Minister: Kriegswille und Eigenlob

Baerbock und Habeck, Düsseldorf, 2021. Bild: Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen, CC BY-SA 2.0

Themen des Tages: Die Armut der Kinder. Die Kriegspolitik der USA. Das Krisenbewusstsein von Baerbock und Habeck.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Wie wirkt Washington auf den Krieg in der Ukraine ein?

2. Wieso wird der Wohnraum knapp?

3. Wie sich Grünen-Minister von der Lebenssituation der Menschen entfernen.

Doch der Reihe nach.

Die USA und der Krieg

Wenn sich die Vereinigten Staaten militärisch in einen Konflikt einmischten, falle es ihnen oft schwer, sich wieder herauszuziehen, geschweige denn, tiefe Verstrickungen zu vermeiden, die weit über die Grenzen hinausgehen, die sie zu Beginn der Intervention gezogen hatten, schreibt der Journalist Branko Marcetic bei Telepolis [1].

Das ist in Vietnam geschehen, als aus den US-Militärberatern, die den Südvietnamesen im Kampf gegen die Vietcong helfen sollten, schließlich US-Soldaten wurden, die einen amerikanischen Krieg führten. Es fand in Afghanistan statt, wo sich eine anfängliche Invasion zur Ergreifung von Al-Qaida-Mitgliedern und zum Sturz der Taliban in ein fast zwei Jahrzehnte andauerndes Projekt zum Aufbau einer Nation verwandelte. Und das könnte jetzt gerade in der Ukraine geschehen.

Die Kinder und die Armut

Die Zahl der in Deutschland von Armut bedrohten Kinder und Jugendlichen ist weiter gestiegen, so Telepolis-Autor Ralf Wurzbacher [2]. Die Bertelsmann Stiftung habe am Donnerstag mitgeteilt, dass 2021 knapp 2,9 Millionen Heranwachsende sowie weitere 1,55 Millionen junge Erwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren als "armutsgefährdet" galten. Seither habe sich die Lage aufgrund der Corona-Pandemie und einer Rekordinflation weiter zugespitzt.

"Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftsaussichten", so Anette Stein, Direktorin für "Bildung und Next Generation" bei der Gütersloher Denkfabrik. "Das ist sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Gesellschaft als Ganzes untragbar."

Der Wohnraum und die Krise

Mit der Wohnraumkrise befasste sich erneut Telepolis-Autor Bernd Müller [3]. Viele Menschen lebten auch in beengten Wohnverhältnissen, habe das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer aktuellen Studie herausgefunden.

Demnach leben sechs Prozent der Mieterhaushalte in Großstädten in beengten Verhältnissen. Das heißt, ihnen stehen weniger Räume zur Verfügung, als es Bewohner gibt. Gleichzeitig leben ebenfalls sechs Prozent in großzügigen Wohnungen. Das sind Wohnungen, in denen die Zahl der Räume die Zahl der Bewohner um das Dreifache übersteigt. Für einen Single wäre das etwa eine Vierzimmerwohnung.

Habeck und Baerbock: Entfremdung von den Menschen

In diesen Tagen flattern bei vielen Bundesbürgern die jährlichen Stromabrechnungen ins Haus. In den meisten Fällen stehen Nachzahlungen an. Der Krieg in der Ukraine ist der Grund, die Energiepolitik der Bundesregierung hat ihr Übriges getan. Gleichzeitig bleibt die Inflation auf hohem Niveau, die Kaufkraft sinkt. Es ist eine einfache Rechnung, die jeder Bundesbürger versteht: Das Geld ist weniger wert, die Preise steigen. Eine verheerende Konstellation.

Die Zahlen aus dem Jahreswirtschaftsbericht seien "nicht gut", räumte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun im Bundestag ein. Es folgte Eigenlob: Die Lage sei besser als lange befürchtet. Man habe "eine große Gemeinschaftsleistung" vollbracht. Deutschland habe einen hohen Preis für den Krieg in der Ukraine gezahlt, aber das sei nichts im Vergleich zu dem, was das ukrainische Volk habe ertragen müssen.

Der Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert für das laufende Jahr eine Inflationsrate von sechs Prozent. Im Jahr 2022 werde sie bei 7,9 Prozent liegen _ und damit so hoch sein wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In seiner 20-minütigen Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht fügte Habeck hinzu, die Daten seien besser als erwartet.

Ein gewagtes Urteil in Zeiten, in denen die Menschen bis weit in die Mittelschicht hinein an ihre finanziellen Reserven gehen müssen, um Energiekostennachzahlungen, höhere Abschlagszahlungen, teure Wocheneinkäufe und Tankfüllungen zu bezahlen. In denen Urlaubsreisen storniert und Freizeitkurse für die Kinder abgesagt werden müssen.

Die Entfremdung zwischen der politischen Führung und der Bevölkerung zeigte sich diese Woche auch an anderer Stelle: Beim Auftritt von Außenministerin Annalena Baerbock vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg. Wir, als die guten Europäer, befinden uns im Krieg mit Russland.

In einer Situation, in der breiten Bevölkerung deutliche Ängste vor einer wie auch immer gearteten Eskalation des Krieges in der Ukraine bestehen, ist das eine unangebrachte Aussage, die vom Auswärtigen Amt daher auch prompt wieder zurückgenommen wurde.

Das Auswärtige Amt hatte auf Anfrage des Nachrichtenmagazins Spiegel beschwichtigt und Baerbocks Äußerung "eingeordnet" [4], hieß es auf seiner Homepage: "Russland führt einen brutalen Krieg gegen die Ukraine. Das ist auch ein Krieg gegen die europäische Friedensordnung und das Völkerrecht", habe es in einer schriftlichen Antwort geheißen. Ob das die Menschen in Zeiten von Panzerlieferungen, Kampfflugzeugforderungen und Drohungen beruhigt, sei dahingestellt.

Man muss sich derzeit alle Mühe geben, daran zu glauben, dass die Bundesregierung diese europäische Krise im Griff hat, die im Kern eine Krise der Friedensordnung ist, in deren Folge aber auch die Wirtschaft, die Energieversorgung und die Sozialsysteme in Not geraten sind. Kriegsbereitschaft und Selbstbeweihräucherung helfen in dieser Situation wenig.

Artikel zum Thema:

Bernd Müller: Annalena Baerbock: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland" [5]
Ralf Wurzbacher: Kinderarmut auf Rekordniveau: Bertelsmänner vergießen Krokodilstränen [6]
Ralf Streck: Die hohe Inflation und die bedrohlich steigende Kerninflation [7]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7472393

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Das-gefaehrliche-Spiel-mit-roten-Linien-in-der-Ukraine-7470872.html
[2] https://www.telepolis.de/features/Kinderarmut-auf-Rekordniveau-Bertelsmaenner-vergiessen-Krokodilstraenen-7472064.html
[3] https://www.telepolis.de/features/Stockender-Wohnungsbau-Familien-und-Migranten-wohnen-oft-auf-engstem-Raum-7471113.html
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/annalena-baerbock-aussenministerium-rueckt-aeusserung-gerade-a-450549c6-7056-4ccf-9c11-89235e32723a
[5] https://www.telepolis.de/features/Annalena-Baerbock-Wir-kaempfen-einen-Krieg-gegen-Russland-7470000.html
[6] https://www.telepolis.de/features/Kinderarmut-auf-Rekordniveau-Bertelsmaenner-vergiessen-Krokodilstraenen-7472064.html
[7] https://www.telepolis.de/features/Die-hohe-Inflation-und-die-bedrohlich-steigende-Kerninflation-7445322.html