Grüne architektonische Zukunft?
Zwischen dem Schönen und dem Notwendigen: Architektur als Gratwanderung
Offenkundig gehört es zur Geschichte der Avantgarde, dass die Baukunst immer wieder neu mit den überlieferten Konventionen brechen muss. "Messt die Architektur an der Architektur, der Mensch ist das Maß für den Schneider", hatte Nikolai Ladowsky auf dem Höhepunkt der Bilderstürmerei Anfang der 20er Jahre in Moskau reklamiert. Eine Forderung, so unerhört, dass sie zwar die Kunstgemeinde in ihren suggestiven Bann zog, in der breiten Öffentlichkeit aber nicht die geringste Aussicht auf Akzeptanz hatte.
Doch aus der Geschichte scheint man nicht gerne Lehren zu ziehen. Noch immer kultiviert man Widersprüche – aktuell etwa den zwischen Ästhetik und Nachhaltigkeit. Ganz grundlos ist das nicht: Denn einerseits haben die architekturhistorischen Hauptströmungen der letzten Jahrzehnte – ob nun Postmoderne, Dekonstruktivismus oder die neue Einfachheit des "steinernen Berlin" – die heraufziehenden Probleme der Ökologie schlichtweg ignoriert. Und andererseits wirkten die architektonischen Randgruppen, die sich um das Thema bemühten, als seien sie aus dem Hochland der Esoterik nur besuchsweise in die Niederungen des Alltags herabgestiegen.
An dieser Wahrnehmung ändern auch einzelne wegweisende Projekte wie die Akademie Mont-Cenis in Herne nichts. Dabei ist das Konzept der Architekten Francoise Hélène Jourda (Paris) und Hegger-Schleif (Kassel) so einfach wie im Ausdruck überzeugend: Eine Art übergroßes Glashaus, dessen Hülle von grob gehobelten Fichtenstämmen getragen wird, kreiert einen großzügigen, wettergeschützten Stadtraum, der mit öffentlichen Nutzungen ein neues Zentrum für den Stadtteil bildet, und in dessen Dach ein Solarkraftwerk mit architektonischen Mitteln integriert ist.
Worin liegen nun, angesichts der ökologischen und klimatischen Herausforderungen, die Möglichkeiten und Grenzen einer neuen Architektur? Mit bloßen Applikationen – wie Dämmung und Kollektoren – dürfte es jedenfalls kaum getan sein. Ein zentrales Problem liegt ja schon in der unstillbaren Neigung, immer wieder von vorn anzufangen. Die planerischen Utopien der Vergangenheit gingen stets von einer tabula rasa aus. Ein Neuanfang gleichsam im freien Feld, bei dem alles – baulich, technisch und gesellschaftlich – besser gemacht werden sollte.
Ästhetisch überzeugende Umsetzung einer nachhaltigen Architektur
Der zukunftsträchtige Umgang mit dem, was physisch und mental vorhanden ist, war bei den großen Visionen nie sonderlich beliebt. Jedoch, was bedeutet der behutsame und schonende Umgang mit dem bereits Gebauten anderes als eine nachhaltige Strategie, die grundsätzlich Anpassungsfähigkeit und Wiedernutzbarkeit unterstellt, die also "alten Gebäuden" eine zweite Chance gibt? Bei allen Fortschritten, die sich im Neubau schon haben verwirklichen lassen, darf man ja nicht übersehen, dass das größte ökologische Potential im Bereich der Bestandssanierung liegt. Was aber umgekehrt nicht heißt, dass das Bestehende unantastbar ist. Vielmehr geht es um Strategien des Umbaus: um neue Funktionen in, um moderne Strukturen an und auf bestehenden Gebäuden.
Doch unabhängig davon: Nachhaltigkeit trifft – zunächst und unmittelbar – noch keine Aussage zum Erscheinungsbild der Architektur. Sie steht a priori der Ästhetik nicht entgegen. Erforderlich ist freilich eine Gratwanderung. Einerseits dürfte eine gewisse Entsagung im Lebensvollzug künftig unvermeidbar sein. Andererseits muss wohl nicht alles grundstürzend anders gemacht werden. Eben das zeigte vor einiger Zeit auch die BO 01 in Malmö (Schweden): eine Bauausstellung mit dem Versuch, eine nachhaltige Bau- und Siedlungstruktur zu implementieren. Und auch das Permakulturprojekt EVA Lanxmeer in Culemborg (NL), dessen städtebaulicher Entwurf von Joachim Eble (Tübingen) stammt, macht vor allem eines deutlich: Der Architektur kommt die Aufgabe zu, die Kluft zwischen einer Askese, die der ökologische Purismus diktiert, und unserem Dasein, das Behaglichkeit, Komfort und Bequemlichkeit – zumindest bis zu einem gewissen Maße – zwingend voraussetzt, zu schließen. Zum einen braucht "nachhaltiges Bauen" endlich eine überzeugende sinnliche Präsenz. Zum anderen müssen bestimmte Traditionsbestände der Architektur revitalisiert werden. Das meint weniger ein überkommenes Stil- und Formenrepertoire als vielmehr haushaltendes Wissen und kongeniale Kreativität im Umgang mit Ort, Klima und Material.
Klimatechnik ermöglichte Loslösung der Architektur von regionalen klimatischen Bedingungen
In der vorindustriellen Zeit war Bauen zwangsläufig klimagerecht, wie die regional unterschiedlichen Bauweisen zeigen. Ein Gebäude in Griechenland war anders strukturiert als eines in Skandinavien. In den Bergen baut man anders als am Meer. Geometrie, Farbgebung, Fensterflächen, Dachformen, aber auch Grundrissgestaltung waren an die herrschenden Klimabedingungen so weit wie möglich dergestalt angepasst, dass mit möglichst geringem Energieeinsatz ein möglichst hoher Komfort für die Gebäudenutzer erwuchs.
Nun soll hier weder einem romantisierenden Traditionsverständnis das Wort geredet noch der Eindruck erweckt werden, dass dies unmittelbar übertragbar wäre. Was man freilich zur Kenntnis nehmen sollte, ist, dass der Blick auf ein Ganzes in unserer zur (Über-) Spezialisierung neigenden Welt tendenziell verloren geht. So haben etwa die Fortschritte in der Klimatechnik dazu geführt, dass Gebäude jedweder Architektur in jeder Region dieser Erde unabhängig vom Außenklima gebaut werden konnten. Der Architekt entwarf, anschließend installierte der Haustechniker soviel Technik, wie benötigt wurde, um ein angeblich angenehmes Klima im Inneren zu schaffen. Was zunächst ein Segen scheint, erweist sich schnell als Fluch – wenn sich nämlich herausstellt, dass die Technik häufig doch überfordert ist, die Betriebskosten in die Höhe schnellen und oder mit dem "Sick-Building-Syndrom" ein neues Krankheitsbild auftaucht.
Zugleich bewirkte diese Entwicklung eine fast völlige Trennung der Arbeit von Architekt und Haustechniker. Das aber ist entschieden der falsche Weg. Denn es geht nicht an, Fragen der Nachhaltigkeit an einzelne Spezialisten weiter zu delegieren oder als Aufgabe von einzelnen Fachingenieuren zu begreifen. Oder etwa darauf zu vertrauen, dass die Technologie es schon richten werde. Viele spektakuläre Neubauten – wie jüngst der Al Burj in Dubai (SOM) oder Frank Gehrys Art Gallery of Ontario – genügen jedenfalls nicht den komplexen Anforderungen der Nachhaltigkeit. Und keineswegs besser ist es um andere Reputationsarchitekturen der Neuzeit bestellt; gleichgültig, ob es sich nun um den doppelt geknickten CCTV-Tower in Peking von OMA/ Rem Koolhaas oder den gläserne Walfisch des Kunsthauses in Graz von Peter Cook und Colin Fournier handelt.
Das Wesen der Architektur wird heute weniger denn je von ihrer physischen Gestalt bestimmt. Materialien stehen im – von lokalen oder regionalen Bedingungen losgelösten – Überfluss zur Verfügung, ebenso die wählbaren Techniken. Allerdings darf eine Architektur, die wahrhaft nachhaltig sein will, sich nicht in technischen Ansätzen oder innovativen Bauprodukten erschöpfen. Die jüngere Geschichte zeigt ja eben, dass der Erfolg technischer Innovation janusköpfig ist: Sie dient oft als Beschwichtigungstaktik, und sie ist Teil jener Wachstumsideologie, der die ökologische Bewegung eigentlich mit dem Gegenmodell der Kreislaufwirtschaft entkommen wollte. Das sollte man nicht vergessen.