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Grüner Strom aus Wasserkraft?

Mur bei Leibnitz. Bild: Marion Schneider & Christoph Aistleitner Mediocrity / gemeinfrei

Wasserkraftwerke gelten als Quelle umweltverträglicher Energien. Allerdings sind sie bislang vor allem effizient in der Zerstörung der umgebenden Natur, weniger bei der Stromerzeugung

Gerade die kleineren Wasserkraftwerke richten Schäden in Flora und Fauna an, sagen Experten. Unterdessen wächst europaweit der Widerstand gegen die Verbauung natürlicher Flussläufe. Die Mur, ein kleiner Fluss, der sich durch die Steiermark schlängelt, gilt als grüne Lunge und Naherholungsgebiet am Stadtrand von Graz. Doch die wunderschöne Flusslandschaft ist gefährdet, denn hier soll ein Wasserkraftwerk gebaut werden, das mit rund 80 Gigawattstunden jährlich gerade mal Strom für 20.000 Haushalte liefert.

Undemokratisch und nicht wirtschaftlich

Zu wenig und zu unrentabel, argumentieren [1] die Gegner, denn: So viel Strom werde in der Steiermark gerade mal an vier Tagen verbraucht. Das Kraftwerk sei nicht nur ökologisch schädlich und unwirtschaftlich, glaubt [2] WWF-Flussexperte Gebhard Tschavoll, auch der Bau werde undemokratisch durchgepeitscht. Für das Gesamtprojekt werden 110 Millionen Euro veranschlagt. Die Stadt Graz gab einen Kredit über 20 Millionen Euro, mit sieben Millionen fördert das Land Steiermark das Projekt.

Bereits vor zwei Jahren rechnete [3] Wasserkraftexperte Jürgen Neubarth die Unwirtschaftlichkeit des Staudamms vor. So wäre nicht nur der produzierte Strom mit 1,52 Euro pro Kilowattstunde vergleichsweise teuer. Auch bliebe nach 50 jähriger Nutzung immer noch ein Defizit von rund 44 Millionen Euro.

Trotzdem: Für das unrentable Großprojekt sollen jetzt 16.000 Bäume entlang der Mur weichen. Nach dem Abriss eines Protest-Camps an der Mur im Februar 2017 rückten Bagger und schweres Gerät an. Lautstarke Proteste von Anwohnern und Bürgerinitiativen konnten nicht verhindern, dass bereits rund 5000 Bäume gefällt [4] wurden.

Brutale Rodungen für ein "Naturparadies"

Augenzeugen berichten [5], während der Baumrodungen im Februar seien überwinternde Tiere brutal niedergemetzelt worden. Viele Wildtiere flohen vor den Maschinen in angrenzende Gärten und Felder, auf der gerodeten Fläche fand man tote Vögel. Laut Werbebroschüre der Kraftwerksbetreiber sollen im Wasser lebende Tiere vor der Bauphase in andere Gewässer oder Flussarme umgesiedelt werden. Die Bäume will man wieder aufforsten. Johannes Gepp vom Naturschutzbund ist skeptisch [6]: Bis die neu gepflanzten Bäumchen denselben ökologischen Nutzen erbringen, werden viele Jahrzehnte ins Land gehen.

Davon abgesehen: Wer im Vorfeld mit brachialer Gewalt Tiere und Bäume niederwalzt, dem nimmt man nur schwer das Versprechen ab, in naher Zukunft ein "Naturparadies" errichten zu wollen. Die Bauarbeiten, die vorerst abgebrochen wurden, sollen 2018 fortgesetzt werden. Zusätzlich sollen für einen Speicherkanal im Stadtzentrum 800 Bäume fallen [7]. Mehr als 70 Prozent aller Gewässer werden in Österreich zur Stromerzeugung genutzt.

Bei allen Vorteilen der Energiequelle Wasserkraft hat die Nutzung auch ihre Schattenseiten: Natürliche Flussläufe werden verbaut, Feuchtgebiete trockengelegt. In der Folge brechen Amphibien- und Fischbestände zusammen. Der Lebensraum für Fische und andere Wassertiere schwindet, denn den Fischen fehlt neben geeigneten Plätzen zum Laichen auch die Deckung vor ihren Fressfeinden.

Sündenbock Fischotter

Unterdessen wird der Fischotter, der bereits auf der Roten Liste steht, als Sündenbock für schwindende Fischbestände verantwortlich gemacht [8]. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1990 ergriff die Stiftung EuroNatur [9] die Initiative zur Rettung der einmaligen Flusslandschaft der Drau/Drava.

Seither diskutieren Politiker und Naturschutzexperten lokaler Umweltorganisationen aus Kroatien, Österreich, Serbien, Slowenien und Ungarn über die Erhaltung der Kulturlandschaften entlang von Donau, Drau und Mur. Ihr Ziel ist die Errichtung eines grenzüberschreitenden "Biosphärenreservates Donau-Drau-Mur" [10] mit einer Gesamtfläche von über 630.000 Hektar.

582 Wasserkraftwerke an der Save

Mit 926 Kilometern ist die Save der längste Fluss auf dem Balkan. Vom Quellgebiet in Slowenien bis zur Mündung in die Donau bei Belgrad ist das Ufer beidseitig auf einer Fläche von 103.800 Hektar mit Auwäldern und 25.000 Hektar Auenwiesen bewachsen. In den Dörfern entlang der Save nisten 900 Weißstorchpaare, rund 80 Seeadlerpaare brüten in den Auenwäldern.

In regelmäßigen Abständen werden die Auwiesen überflutet. Nun sollen künstliche Dämme die Wiesen vor Hochwasser schützen. Dadurch aber würden sich die Hochwasser am Ende nur verschärfen, kritisieren [11] die Umweltorganisationen Riverwatch und EuroNatur. Anstatt immer mehr Technik zu bemühen, müsse endlich ein nachhaltiger Hochwasserschutz her.

Der beste Schutz gegen Hochwasser seien ökologisch intakte Auwälder, so die Naturschützer. Entlang der Save könnten an 143 Flächen die Dämme zurückverlegt und damit 185.000 Hektar ehemaliger Auwälder und -wiesen überflutet werden. Damit könnten 3,1 Milliarden Kubikmeter Wasser auf natürlichem Wege gespeichert werden.

582 Wasserkraftwerke sind allein im Einzugsgebiet der Save geplant, zwanzig davon direkt an der Save, vor allem im slowenischen Teil. Am Oberlauf der Save sowie dessen Zuflüssen Una, Sana und Drina ist der Donaulachs (Hucho hucho) weit verbreitet [12].

Die Hochwassergefahr

Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der bis zu 1,5 Meter lange Raubfisch auf seinen Wanderungen durch den Bau von Wehren stark behindert. Inzwischen sind seine Wanderwege - und Fortpflanzungsmöglichkeiten durch eine massive Verbauung und Regulierung der Donau stark eingeschränkt.

Heute steht er als "stark gefährdet" auf der Roten Liste. Sollten Staudämme den Hucho huchos die Wanderwege abschneiden, fürchten Wissenschaftler, wäre dies das Ende der Population. Außerdem wird Schotter in einem Volumen vom 950.000 m3 jährlich aus der Save sowie 1,29 Millionen m3 aus den Zuflüssen wie Vrbas und der Drina illegal ausgebaggert.

Das ist das Zehnfache der Sedimente, die der Fluss in Richtung Donau transportiert. In Folge dessen sinkt der Grundwasserspiegel, Schutzbauwerke drohen zusammenzubrechen, weshalb sich flussabwärts die Hochwassergefahr erhöht.

Die Hauptinvestoren der Wasserkraftwerke

Laut einer von RiverWatch und EuroNatur in Auftrag gegebenen Studie [13] von 2015 sind die Hauptinvestoren die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD [14]), die Weltbank und die European Investment Bank (EIB [15]). Sie finanzieren den Bau von Wasserkraftwerken mit insgesamt 818 Millionen Euro. Der größte Investor ist die EBRD, die mit 240 Millionen Euro an 21 Bauprojekten beteiligt ist. Bedroht sind 30 Naturschutzgebiete, Nationalparks und Natura-2000-Gebiete.

Bei den meisten der 2700 zwischen Slowenien und Albanien geplanten Wasserkraftwerken sollen die Bauvorhaben ohne seriöse Umweltprüfung durchgepeischt werden. Hoffnung besteht neuerdings für den Mavrovo Nationalpark in Mazedonien. Einem Gerichtsurteil [16] des Verwaltungsgerichtes vom Mai 2016 zufolge entbehrt das hier geplante Wasserkraftwerk Boskov Most jeder rechtlichen Grundlage.

Nachdem sich die Weltbank bereits im Dezember 2015 aus der Finanzierung des Wasserkraftwerks Lukovo Pole herausgezogen hatte, erklärte im Januar 2017 auch die EBRD ihren Ausstieg aus dem Projekt [17]. Riverwatch feiert dies als Etappensieg zum Schutz der artenreichen Balkanflüsse. Allerdings sind noch 17 weitere Anlagen in Planung.

Auch kleinere Anlagen bedeuten einen katastrophalen Eingriff ins Ökosystem, gibt Ulrich Eichelmann zu bedenken. Der Koordinator der Riverwatch-Kampagne "Rettet das Blaue Herz Europas" [18] will so lange kämpfen, bis alle Projekte gestoppt sind.

Fischsterben durch Turbinen

In Deutschland sind die Betreiber von Querbauwerken angehalten, durchgängige Fischwege zu errichten. Laut einer Studie des Umweltbundesamtes [19] von 2012 sind an rund 12 Prozent der Wasserkraftstandorte Fischaufstiegsanlagen installiert, die teilweise erst in den letzten Jahren direkt neben den Wasserkraftanlagen (WKA) errichtet wurden.

Verschiedenen Datenquellen zufolge wurden an 10 bis 20 Prozent aller Wasserkraftstandorte ökologische Maßnahmen, die Durchgängigkeit betreffend, durchgeführt. Nach Schätzungen der Autoren sei allerdings nicht immer die volle Funktionstüchtigkeit von Durchgängigkeit und Mindestabfluss gegeben.

Der Verband Hessischer Fischer kritisiert [20], etwa 95 Prozent des Gewässerabflusses würde durch Turbinen geleitet, wodurch Wanderfische, die dem Hauptwasserstrom folgen, ebenfalls die Turbinen durchqueren. 30 bis 100 Prozent würden je nach Anlage schwer verletzt oder getötet. Besonders gefährdet sei der Aal.

Auch die Rechenanlagen, die die Fische schützen sollen, versagen allzu oft. Entweder die Stababstände sind zu weit, oder die Fische werden durch den hohen Wasserdruck vor dem Rechenreiniger erdrückt. Bestehende Fischabstiegs- und aufstiegsanlagen würden nicht funktionieren.

Für die Stromerzeugung nicht nötig

Kaum ein Kraftwerksbetreiber würde auf eigene Kosten mehr technische Vorrichtungen für Fischschutz einbauen als gesetzlich vorgegeben. 2011 gab es hierzulande rund 7600 WKA. Von 350 WKA erzeugen rund 90 Prozent des Stromes aus Wasserkraft. Der Rest deckt gerade mal fünf bis zehn Prozent des Strombedarfs.

Würden 7.300 Kleinstanlagen stillgelegt und die Flüsse renaturiert, heißt es im Positionspapier [21] der hessischen Fischer, wäre das bei der Stromerzeugung kaum zu bemerken. Bereits wenige Windräder könnten den Bedarf kompensieren. Dafür hielte sich der Schaden im Fischbestand in Grenzen.

Weniger Schaden durch effizientere Nutzung

In Bayern stammen 15 Prozent des Stroms aus 226 großen und rund 4.000 kleinen Wasserkraftwerken. Auch hier können wegen starker Verbauung der Fließgewässer Fische nicht mehr ungehindert stromauf- und stromabwärts schwimmen und zu ihren angestammten Laichplätze wandern. Dies ist nun Forschungsgegenstand [22] an der Technischen Universität München.

Von 2014 bis 2020 werden neun WKA, darunter sieben Öko-Kraftwerke, untersucht. Im Focus steht unter anderem die Frage, ob in den Öko-WKA weniger Fische verletzt und getötet werden als in den konventionellen. Ein vorläufiges Ergebnis gibt es vom Illerkraftwerk Au mit seiner langsam drehenden Turbine: Hier waren von rund 12.000 Fischen, die durch die Turbinen schwammen, tatsächlich nur wenige verletzt worden. Insgesamt gesehen ist die Effizienz von Kleinstwasserkraftwerken umstritten.

"Selbst wenn man alle Gebirgsbäche nutzen würde um Strom zu gewinnen", erklärt [23]Alfred Karle-Fendt vom Bund Naturschutz gegenüber dem Bayerischen Rundfunk, "käme man gerade mal auf 1,5 Prozent des gesamten bayerischen Energieverbrauchs". Dennoch will Bayern seine Wasserkraftwerke bis 2020 um weitere zwei Prozent aufstocken.

Auch Öko-Wasserkraftwerke bedeuten einen Eingriff in die Natur, gibt Prof. Jürgen Geist von der TU München zu bedenken. Der Schutz der wenigen intakten Gewässer-Ökosysteme in Europa sollte oberste Priorität haben, fordert der Fischbiologe. So müsse an Standorten mit konventioneller Wasserkraftnutzung nach den bestmöglichen Optionen für einen Fisch schonenden, ökologischen Betrieb gesucht werden.

Literatur:

EuroNatur/RiverWatch: SAVA - White Book (Dezember 2016) [24]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3664495

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.news.at/a/murkraftwerk-7978731
[2] http://www.wwf.at/de/wwf-kein-steuergeld-fuer-millionengrab-murkraftwerk/
[3] http://www.rettetdiemur.at/?id=564
[4] https://www.youtube.com/watch?v=oCW47r2Sd_0
[5] https://www.facebook.com/groups/182055046130/permalink/10154793282976131/?pnref=story
[6] http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/murkraftwerk/5169987/Kraftwerk-Speicherkanal_Warum-an-der-Mur-noch-mehr-Baeume-fallen
[7] http://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/murkraftwerk/5169987/Kraftwerk-Speicherkanal_Warum-an-der-Mur-noch-mehr-Baeume-fallen
[8] http://www.wwf.at/fischotter-petition
[9] https://www.euronatur.org/
[10] https://www.euronatur.org/unsere-themen/projektgebiete/projektgebiete-a-z/donau-drau-mur/5-laender-biosphaerenreservat/
[11] http://www.balkanrivers.net/de/aktuell/%E2%80%9Ewei%C3%9Fbuch-save%E2%80%9C-vorgestellt
[12] http://www.dafv.de/index.php/projekte-aktionen/fisch-des-jahres/fisch-des-jahres-2015-wird-der-huchen
[13] http://riverwatch.eu/balkan/neue-studie-von-bankwatch-grune-investitionen-und-westliche-firmen-fordern-auf-dem-balkan-raubbau-an-europas-wertvollsten-flussen
[14] http://www.ebrd.com/de/home
[15] http://www.eib.org/?lang=de
[16] http://www.balkanrivers.net/de/aktuell/verwaltungsgericht-stoppt-genehmigung-f%C3%BCr-wasserkraftwerk-im-mavrovo-nationalpark
[17] http://www.balkanrivers.net/de/aktuell/erfolg-ebrd-stoppt-finanzierung-f%C3%BCr-kraftwerk-im-mavrovo-np#
[18] http://www.balkanrivers.net/de
[19] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/wasserkraftnutzung-in-deutschland
[20] http://hessenfischer.net/pm/2010_wk.htm
[21] http://hessenfischer.net/pm/2010_wk.htm
[22] https://www.energieatlas.bayern.de/thema_wasser/umweltaspekte/monitoring.html
[23] http://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/faszination-wissen/fluesse-wasserkraft-energie-100.html
[24] http://balkanrivers.net/sites/default/files/01_SavaWhite%20Book%20Study.pdf