Gute Presse, schlechte Presse
- Gute Presse, schlechte Presse
- Eine sich verselbständigende Dynamik
- Präzedenzfälle als Prüfstein für die Medien- und Meinungsfreiheit
- Auf einer Seite lesen
Fördert der neue Medienstaatsvertrag die Bekämpfung von Hass und Desinformation? Oder leistet er Zensur Vorschub? Warum wir an einem Scheideweg in der Mediendemokratie stehen
"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen." So weit, wie in diesem, dem Philosophen Voltaire zugeschriebenen Zitat würde ich nicht gehen. Weder, um Hass und Hetze zu rechtfertigen, wie Voltaire das tat, noch, um das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung vor das auf Leben zu stellen. Auch nicht im Sinne des Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky, der im freigeistigen Sinne mit Blick eines Wissenschaftlers die Meinungsäußerung des Holocaustleugners Robert Faurisson verteidigte, ohne sie zu teilen.
Dass man die Verteidigung der Meinungsfreiheit jedoch als ein Sich-Gemein-Machen mit der inkriminierten und zurecht abgelehnten Meinung interpretiert, wie es Chomsky bis heute passiert, lehne ich ebenso ab. Sonst ist nämlich keine freie Meinungsäußerung mehr möglich, die ich auf jeden Fall auch für mich beanspruche – gerade auch, wenn ich mich rassismuskritisch äußere.
Kritisch-hinterfragende Diskurse brauchen eine Demokratie und Medien, die diese Diskurse ermöglichen und damit verbundenen Bewusstseinsprozesse. Das ist die klassische Aufgabe der vierten Gewalt.
Wer diese Funktion in den etablierten Medien nicht zufriedenstellend ausgefüllt fand, konnte über lange Zeit hinweg auf das Internet ausweichen – mit neuen Herausforderungen für die sachlich-faktische Beurteilung der Fundstücke und die Fragmentierung der Öffentlichkeit(en).
Einige Höhepunkte der Analyse und Recherche gab es, wie beispielhaft die Aufklärung über das gefälschte, weil sinnentstellend gekürzte Putin-Interview der ARD im Jahr 2008 oder die Aufdeckung des gefälschten Twitter-Mädchens aus Syrien, bei dem vielen Medien die Widersprüche nicht aufgefallen waren. Ebenso das Aufdecken von Lücken in der Datensicherheit im Gesundheitsnetzwerk bereits 2019.
Die Freiheit im Internet ist dennoch ambivalent. Nicht gehörte Stimmen finden Möglichkeiten der Artikulation, aber gleichzeitig zeugen die AGB großer Tech-Konzerne von der Bezahlung mit und Kontrolle von Daten. Google, Facebook & Co. etablierten die algorythmisierte Kommunikation. Wie die Film-Doku The Cleaners eindrücklich zeigt, sorgen die aus ökonomischen Gründen programmierten Algorithmen im Politischen für Verzerrungen bis hin zu Wahlfälschung und Völkermord.
Die Struktur im Netz ist nicht auf konstruktiv-kritische Auseinandersetzung ausgelegt - was demokratiefördernd wäre - sondern auf die Belohnung des Schrillwerdens, auf die Stärkung der Ränder. Ob hierin die Verleitung von eventuell einst als kritische "Gegenstimme" gestarteter Plattformen zu immer drastischeren Äußerungen liegt, wäre eine eigene Forschung wert.
Dass der Verweis aufs Internet als Hort von Manipulation und Desinformation ein Trick etablierter Medien ist, von eigenem Versagen abzulenken und sich damit ohne Nachweise selbst zu idealisieren, liegt auf der Hand.
Weder die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Anstalten, noch der Presserat als Selbstkontrollorgan der Presse erreichen eine zufriedenstellende Compliance und keinerlei nachhaltige Korrekturen. Die Nicht-Erfüllung der Sorgfaltspflichten, die nun bei einigen reichweitenstarken Online-Medien abgemahnt wird, bedroht die Mitglieder des Presserates nicht. Bis jetzt.
Der neue Medienstaatsvertrag hat es in sich
Seit dem 7. November 2020 ist der neue Medienstaatsvertrag in Kraft, der erstmalig auch die freien Online-Angebote mit in den Blick nimmt. Dort heißt es unter §19 Absatz 1:
Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben werden, haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen. Gleiches gilt für andere geschäftsmäßig angebotene, journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien, in denen regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen enthalten sind und die nicht unter Satz 1 fallen. Nachrichten sind vom Anbieter vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen.
Weiter heißt es:
Anbieter nach Absatz 1 Satz 2, die nicht der Selbstregulierung durch den Pressekodex und der Beschwerdeordnung des Deutschen Presserates unterliegen, können sich einer nach den Absätzen 4 bis 8 anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anschließen. Anerkannte Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle überprüfen die Einhaltung der Pflichten nach den Absätzen 1 und 2 bei den ihnen angeschlossenen Anbietern. 3Sie sind verpflichtet, gemäß ihrer Verfahrensordnung nach Absatz 4 Nr. 4 Beschwerden über die ihnen angeschlossenen Anbieter unverzüglich nachzugehen.
Im Folgenden werden anerkannte Institutionen oder Möglichkeiten der Selbstregulierung genannt und eine Art Vorbehalt formuliert, der am Schluss des Paragrafen 19 unter Ziffer 8 folgendermaßen lautet:
Die zuständige Landesmedienanstalt kann Entscheidungen einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle, die die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreiten, beanstanden und ihre Aufhebung verlangen. Kommt eine anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle ihren Aufgaben und Pflichten nicht nach, kann die zuständige Landesmedienanstalt verlangen, dass sie diese erfüllt. Eine Entschädigung für hierdurch entstehende Vermögensnachteile wird nicht gewährt.
Das sind weitreichende Kompetenzen für die Landesmedienanstalten, deren Staatsferne immer wieder in Frage steht, etwa durch personelle Verschränkungen mit der Politik (z.B. im Saarland) und auch privaten Rundfunkanbietern (z.B. in NRW und Berlin).
Bisher sieht es so aus, dass die Landesmedienanstalten nicht tätig werden, wenn der Online-Anbieter sich einer Selbstkontrolle angeschlossen hat, was bei den abgemahnten Portalen, wie KenFM oder Blauer Bote, bisher nicht der Fall ist. Auf Anfrage an die Medienanstalt Berlin-Brandenburg, MABB Aufsicht, zur vorangestellten Frage erhielt Telepolis folgende Auskunft:
Sind die Maßstäbe die gleichen, wie bei anderen Presseorganen? Wie schließen die Landesmedienanstalten die Lücke zwischen selbstregulierten Medien (Stichwort: Presserat), die nur auf Beschwerde hin gerügt werden, und nicht regulierten Medien, die statt einer Rüge eine Sperrung (ohne Beschwerde) erhalten können? Auch mit Blick auf Bußgelder.
Medienanstalt Berlin-Brandenburg: Grundsätzlich hat im Bereich der journalistischen Sorgfaltspflichten - wie auch im Bereich der Print-Medien - die Selbstregulierung Vorrang. Die Landesmedienanstalten werden grundsätzlich nur dann tätig, wenn die betreffenden Angebote nicht der Selbstregulierung des Presserats unterliegen oder sich deren Anbieter nicht einer von den Medienanstalten anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle angeschlossen haben.
Eine entsprechende Einrichtung gibt es aktuell allerdings noch nicht. Vorerst ist es damit zunächst Aufgabe der Medienanstalten, die vom Gesetzgeber erkannte Lücke zu schließen und die Anwendung etablierter journalistischer Regeln im Netz zu beaufsichtigen. Bei der Beurteilung journalistischer Sorgfalt orientieren sich die Landesmedienanstalten an den Richtlinien für die publizistische Arbeit nach den Empfehlungen des Deutschen Presserats.
Hierbei kann auf die Spruchpraxis des Presserats sowie auf die zivil- und strafgerichtliche Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Weitere Informationen zur journalistischen Sorgfalt können Sie unserem Merkblatt Journalistische Sorgfalt in Online-Medien entnehmen.
Diese ausführliche Zitation ist wichtig, weil hier betont wird, dass die Landesmedienanstalten eine Lücke füllen sollen, die zwischen regulierten Medien und Selbstkontrolle entstanden sei, sprich: Man wird nicht tätig, wenn sich Online-Medien einem Selbstkontrollorgan anschließen.
Die Möglichkeit des Urteils darüber, ob ergriffene Maßnahmen ausreichend sind, oder die Landesmedienanstalt weiter einschreite, hält aber der Medienstaatsvertrag ausdrücklich vor. Hier werden also die Anstalten zu Kläger und Richter gleichermaßen. Dabei sind sie Partei, denn die Mediennutzung tendiert eindeutig in Richtung Internet, wie die Mediengewichtungsstudie der Medienanstalten belegt – eine klare Konkurrenz-Situation im angespannten Medienmarkt.
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