Hamas-Angriff auf Israel: Schwierige Suche nach der richtigen Antwort

Blick auf den Gaza-Streifen von Israel aus. Archivbild (Oktober 2009): David Berkowitz/ CC BY 2.0 Deed

Regierung in Jerusalem ruft Kriegszustand aus. Weitere Eskalation droht durch Hisbollah. Wie wird das israelische Militär mit den 100 Geiseln in Gaza umgehen?

Bis zum frühen Sonntagabend stieg die Zahl der Todesopfer auf der israelischen Seite auf mindestens 700, so viele wie nie zuvor innerhalb von weniger als zwei Tagen. Längst nähert sich die Zahl der Toten den israelischen Opfern während der gesamten zweiten Intifada inklusive der damit einhergehenden Militäroperationen an.

Mehr Raketen wurden bisher abgefeuert, als während des gesamten 38-tägigen Gaza-Krieges 2014. Und der Angriff dauerte am Sonntagabend weiter an.

Auf der palästinensischen Seite wurden nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums bis zum Abend über 500 Menschen getötet.

Immer noch trafen die israelischen Sicherheitskräfte weit vom Gazastreifen entfernt auf Terroristen, immer noch wurden Raketen abgefeuert. Am Nachmittag hatte das israelische Kabinett den Kriegszustand erklärt; die größte Mobilmachung seit Jahrzehnten war im Gange.

Hisbollah und militante Gruppen auf dem Sinai

Denn im Raum steht nicht nur die Frage, wie man die Terroristen, die noch in Israel unterwegs sind, möglichst schnell findet. Sondern auch, ob das der Höhepunkt ist. Oder nur der Anfang. Schon seit Wochen hatte die Hisbollah an der Grenze zu Israel immer wieder das Militär provoziert. Wird sie sich nun der Hamas anschließen, Israel angreifen?

Und dann ist da die lange Grenze zur Sinai-Habinsel. Jenseits der Küstenstreifen haben sich dort viele kleine und große gewaltbereite Gruppen niedergelassen, liefern sich seit Jahren einen blutigen Krieg mit dem ägyptischen Militär, das die Lage nicht in den Griff bekommt.

Dort verlaufen auch, mit Unterstützung dieser Gruppen, die Schmuggelwege der Hamas. Dort sind wahrscheinlich die vielen Tonnen an Waffen und Material hindurch transportiert worden, die für den Überraschungsangriff gebraucht wurden.

Unangenehme Fragen

Womit jetzt nicht nur Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, sondern auch der ägyptische Staatschef Abdelfattah al-Sisi und deren Geheimdienste auf unangenehme Fragen gefasst sein müssen. Al-Sisi regiert mit diktatorischen Mitteln. Aber eben auch von Gnaden des Militärs.

Und die Möglichkeit ist da, dass die Muslimbruderschaft, die mit der Hamas gut kann und gleichzeitig al-Sisis großer Nemesis ist, von der Hamas lernt und beide den Sinai als weiteres Basis für Angriffe in beide Richtungen nutzen.

Denkbar ist in diesen Stunden alles. Und Antworten sind rar. Denn die akute Frage ist in Israel, wie man mit den etwa 150 Geiseln umgehen soll, die in den Gazastreifen verschleppt wurden.

Klar ist den Entscheidungsträgern in Israel, dass es keine Zukunft mit der Hamas mehr gibt, dass die vielen Militäroperationen, die alle das Ziel hatten, die Hamas und den kleineren, noch radikaleren Islamischen Dschihad zu schwächen, abzuschrecken, dieses Ziel komplett verfehlt haben.

Doch nun steht im Raum, dass die Geiseln entweder von der Hamas ermordet oder bei einem Militäreinsatz getötet werden.

Vermittlung: Mit fruchtbaren Ergebnissen rechnet niemand mehr

Und nicht nur die Sicherheitslage ist dramatisch, auch die innen- und außenpolitische Situation ist es: Bisher war es stets so, dass ziemlich schnell die ägyptischen Geheimdienstler im Flugzeug saßen, um zwischen beiden Seiten zu vermitteln.

Auch dieses Mal gibt es solche Versuche. Doch mit fruchtbaren Ergebnissen rechnet niemand mehr: Zu weit ist die Lage eskaliert. Und der Hamas irgendein Zugeständnis zu machen, würde bedeuten, sie zu stärken, vor allem in den Augen der Palästinenser.

Im Endeffekt könnte das dazu führen, dass die palästinensische Regierung im Westjordanland fällt und auch dort die Hamas übernimmt. Unbeliebt genug ist die Regierung von Präsident Mahmud Abbas.

In der israelischen Politik mehren sich die Forderungen nach einer "Zerstörung der Hamas". So machte Avigdor Lieberman, Chef der rechtspopulistischen Partei Jisrael Beitenu, den Eintritt in eine Notstandsregierung davon abhängig.