Hamas gegen Israel: Die falsche Spur nach Russland
Abbas, Putin. Bild: kremlin.ru
Viele Journalisten mutmaßen über Mitschuld Moskaus an der Eskalation in Nahost. Sie ignorieren, dass Fachleute dafür keine Indizien sehen. Hier deren Argumente.
Durch die deutsche und westliche Presselandschaft geistert die These, Russland sei in irgendeiner Weise an der blutigen Eskalation im Nahen Osten zwischen der palästinensischen Hamas und Israel beteiligt.
Doch diese These, die in radikal proukrainischen Kreisen der sozialen Netzwerke viele Anhänger hat, wird auch auf beharrliche Nachfrage deutscher Journalisten von keinem außenpolitischen Experten ernsthaft geteilt.
Gerade diejenigen, die einen tieferen Einblick in die russische Außenpolitik haben, weisen den Verdacht sogar explizit zurück, auch wenn radikale russische TV-Propagandisten angesichts der Hamas-Angriffe mitunter eine unangemessene Schadenfreude an den Tag legen.
Experten in Moskau verurteilen Hamas
Aber Propagandisten bestimmen nicht die russische Regierungspolitik. Näher an den Schalthebeln der Macht sitzen Moskauer Experten wie Jewgeni Primakow, Enkel des legendären russischen Außenministers und Chef der staatlichen Agentur Rostrudnitschestwo. In einer Analyse bezeichnet er den Angriff der Hamas von Gaza aus unmissverständlich als Terrorakt.
Ein wichtiges Element des Angriffs sei es, "Angst zu erzeugen, was eines der Hauptprobleme des Terrors überhaupt ist". Der kremlnahe Politologe Fjodor Lukjanow spricht in der Rossiskaja Gaseta sogar von "völliger Barbarei, die die Hamas bei ihrer Invasion an den Tag gelegt hat".
Der armenische Experte für russische Nahostpolitik, Sergej Melkonjan, früher selbst Dozent für russische Diplomaten in Moskau, sieht in einem Interview mit der Berliner Zeitung keinen Zusammenhang zwischen Kontakten zwischen Russland und der Hamas und der aktuellen Eskalation. Er glaubt vielmehr an eine aktive Unterstützung der Hamas durch die Türkei.
Aktive Unterstützung eher durch Türkei, Iran und Katar
Ankara, so seine Analyse, habe auch bei der letzten blutigen Eskalation zwischen Palästinensern und Israelis 2021 versucht, "eine islamische Koalition gegen Israel aufzubauen, was damals nicht funktioniert hat".
Zudem sei eine große Ladung Sprengstoff auf dem Weg von der Türkei in den Gazastreifen vom israelischen Zoll beschlagnahmt worden. Neben der Türkei seien auch Katar und der Iran "wichtige Unterstützer der Hamas".
Die israelische Knesset-Abgeordnete und Arabistin Xenia Swetlowa sieht gegenüber der russischen Exil-Onlinezeitung Meduza hausgemachte Ursachen für die aktuellen Kämpfe, vor allem den islamistischen Hintergrund der Hamas.
Daneben gebe es "definitiv eine iranische Spur". Denn abgesehen von der Finanzierung gebe es auch iranische Ausbilder in Gaza, das von der Hamas wie ein eigenes Staatsgebiet kontrolliert werde. Hauptunterstützer der Hamas sei aber Katar: "Die Hamas-Führer leben in Katar, sind dort willkommen und steuern von dort aus alles."
Keine Feindschaft zwischen Russland und Israel
Auch das Verhältnis Russlands zu Israel ist nach Meinung der Experten nicht so feindselig wie zum "kollektiven Westen". "In Moskau ist man sich einig, dass Israel eigene Interessen hat. Die stimmen nicht immer mit denen in Washington oder Brüssel überein", meint Sergej Melkonjan gegenüber der Berliner Zeitung. Russland und Israel stünden in einem "recht engen Dialog über Syrien, um dort eine Eskalation zu vermeiden".
Zwischen der Hamas und dem Kreml hingegen herrscht trotz der Kontakte kein besonders gutes Verhältnis. Im Jahr 2011 unterstützte die Hamas die bewaffnete Opposition in Syrien, die gegen Wladimir Putins Protegé Baschar al-Assad kämpfte. Die Hamas beteiligte sich mit bewaffneten Einheiten am dortigen Revolutionsversuch.
Auch hier sieht das Onlineportal Meduza eine Ursache im weitaus größeren Einfluss Katars auf die Hamas, die auf den Sturz des Diktators in Damaskus gesetzt habe.
Doch gerade russische regierungsnahe Experten wie Primakow kritisieren naturgemäß den Westen scharf, der versucht habe, die "Palästinafrage" ohne die Palästinenser zu lösen.
Lukjanow sieht sogar die Möglichkeit, dass die politische Dominanz Washingtons zur Eskalation führt: "Die scharfe Polarisierung (in den USA) wirkt sich auch auf den Nahen Osten aus und kann sich nun zu einer Krise um Israel ausweiten."
Doch selbst Lukjanow plädiert dafür, dass Russland seine "engen Beziehungen" zur Türkei, zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, zum Iran und zu Saudi-Arabien für eine "komplexe Diplomatie" nutzt, um langfristig wieder Stabilität herzustellen, auch wenn derzeit noch niemand "irgendjemandes Vermittlung und Friedensstiftung" brauche.
Denn derzeit stünden die Zeichen auf Krieg.