Handel: Wiederauferstehung erst zu Ostern?

Vehemente Kritik an Ergebnissen des Corona-Gipfels vom Einzelhandel: "Eine Katastrophe"

Die Winterware kommt größtenteils in den Keller, begleitet von Gebeten an den Zeitgeist, dass er es gut meint, dass das Hochmodische nur einen kleineren Teil der Ware zum Ladenhüter in der Wintersaison 2021/2022 machen wird.

"Jeden Tag gehen den Textil-, Schuh- und Lederwarengeschäften mehr als 200 Millionen Euro Umsatz verloren", rechnet die Branche. Man hoffte darauf, dass die Läden möglichst bald wieder öffnen können. Das März-Geschäft ist besonders umsatzstark, normalerweise. Jetzt aber eben nicht. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes HDE Stefan Genth drückte dies so aus:

"Wenn jetzt bis Ende März die meisten Händler weiterhin geschlossen bleiben müssen, dann erleben wir eine Pleitewelle, die das Land noch nicht gesehen hat."

Der aktuelle Zeitgeist in Form des Stufenplans der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten von gestern Nacht machte zwar aus Sicht der Besorgten ein paar Schritte Lockerung zu viel, aus Sicht der Händler kommt der Plan einer Katastrophe gleich. Dazu nochmal Stefan Genth:

"Die Ergebnisse des Corona-Gipfels sind für den Einzelhandel eine Katastrophe. Faktisch wird der Lockdown damit trotz aller theoretischen Perspektiven für die große Mehrheit der Nicht-Lebensmittelhändler bis Ende März verlängert."

Die Bedenken, Zahlen und Argumente, die der Vertreter der Einzelhändler dem Beschluss entgegenhält, sehen so aus: Die stabile Inzidenz von unter 50, die als Bedingung für eine Wiedereröffnung gesetzt wird, sei "auf absehbare Zeit wohl nicht flächendeckend zu erreichen".

Der Einkauf nach vereinbartem Termin, die Lockerungsmaßnahme "click and meet", sei ein Verlustgeschäft und kein Rettungsanker. Weil das Terminshopping in der Regel nicht die Personal- und Betriebskosten decke. Indessen würden die Händler die seit Mitte Dezember veranlassten Schließungen wirtschaftlich nicht mehr verkraften.

Nach hausinternen Schätzungen des HDE koste die "faktische Verlängerung" des Lockdowns bis zum 28. März die Handelsunternehmen im Vergleich zum letzten normalen Jahr 2019 rund zehn Milliarden Euro Umsatz.

Zu erkennen ist, dass man sich beim HDE an den Vorgaben der Inzidenz-Werte stört ("Die Politik orientiert sich weiter stur ausschließlich an Inzidenzwerten. Dieses Vorgehen erscheint zunehmend fragwürdig").

Alternatives Konzept

Dagegen hat man ein eigenes Öffnungskonzept mit einer anderen Maßgabe vorgelegt, um möglichst das März-Geschäft noch mitnehmen zu können.

Die Wiedereröffnung sollte sich "nicht nur an den aktuellen Inzidenzzahlen orientieren, sondern auch an der Belegung der Intensivbetten mit Corona-Patienten", soll in einem Plan stehen, den das Manager Magazin bekommen hat. Die Öffnungs-Ideen des Handelsverband Deutschland (HDE) und großer Einzelhandelskonzerne sehen demnach so aus:

Bis zu einer Inzidenz von 100 dürften demnach alle Läden öffnen. Wie viele Kunden gleichzeitig in die Läden dürfen, würde von der Belegung der Intensivstationen abhängen. Sind mehr als 12 Prozent der Betten mit Covid-19-Patienten belegt, dürfte nur eine Person je 40 Quadratmeter Verkaufsfläche in die Läden. Bei 5 bis 12 Prozent eine Person je 20 Quadratmeter. Bei weniger als 5 Prozent gäbe es keine Zugangsbeschränkung mehr.

Sogar bei einer Inzidenz von über 200 sollen nach den Plänen des Handels alle Geschäfte öffnen können, wenn weniger als 5 Prozent der Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt wären. Allerdings dürfte dann nur eine Person je 40 Quadratmeter Verkaufsfläche in die Läden.

Einzelhändler-Konzept, Manager Magazin

Ergänzend sieht das Konzept noch die Einführung einer "Öffnungsstunde" für Senioren über 60 Jahren vor. Konkret vorgeschlagen wird "von Montag bis Freitag in der Zeit zwischen 10 und 11 Uhr".

Auch will man aus Hygiene-Abstandsgründen auf Rabattaktionen verzichten. Generell ist man der Auffassung, dass die Hygiene-Regeln beim Einkaufen auf eine beachtliche Weise zur Öffnung taugen, sogar das RKI wird zur Unterstützung herbeizitiert. ("Der HDE verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, wonach die Infektionsgefahr beim Einkauf unter Beachtung von Hygienemaßnahmen niedrig ist.")

Pointiert kommt die HDE-Argumentation, wonach man beim Schutz gegen die Verbreitung des Virus bestens vorbereitet wäre und gesundheitspolitisch tragfähige Gegenkonzepte habe, in einem Satz zum Ausdruck:

"Dass das funktioniert, stellt der Lebensmitteleinzelhandel jeden Tag unter Beweis."

Klagewelle

Zahlreiche großen Einzelhandelsketten wie C&A, Deichmann, Galeria Karstadt Kaufhof, Kik, Media Markt, Saturn und XXXLutz unterstützen das Alternativ-Konzept des HDE. Einige der Namen tauchen auch in einem Artikel auf, die das andere große Kontra der Einzelhändler gegen die Schließung ausmachen: die Klagen vor Gericht, um Wiedereröffnungen und Entschädigungen zu erreichen:

"Wir haben bislang eine dreistellige Anzahl von Eilanträgen auf Wiederöffnung und Entschädigungsklagen eingereicht", sagt Klaus Nieding, Rechtsanwalt der Kanzlei Nieding und Barth, dem Tagesspiegel. Er geht davon aus, dass bald eine deutliche vierstellige Anzahl an Klagen auf seinem Schreibtisch liegen wird. "Das wird nach unserer Einschätzung definitiv die größte Klagewelle, die Deutschland je gesehen hat." Tagesspiegel

Der Tagesspiegel-Artikel vom 1. März hält fest, dass bislang "bundesweit noch keine Klage auf Entschädigung erfolgreich" gewesen sei. Berichtet wird aber auch von Anwälten, die dazu raten, den Weg in die nächste Instanz zu nehmen. Auch Verwaltungsgerichtshöfe signalisieren den Klägern, dass der Ausgang des Hauptverfahrens offen ist. Einige Unternehmen haben sich zu Sammelklagen zusammengetan.

Auch das Ausmaß dieser Welle wird sich erst noch zeigen.

Die Hoffnung für die Geschäftsöffnungen von Einzelhändlern richten sich nun auf den Monat April und das "Osterfest als Erlösung" (Gabor Steingart). Allerdings gibt es auch hierzu Gegenstimmen, so ist der Zeitgeist nun mal. Der Online-Einkauf sei jetzt derart in Mode gekommen, dass viele Einzelhändler bangen, dass die Kundschaft auf längere Zeit verloren sein könnte.