Harte Arbeit: Deutschland baut auf dem Rücken derer ohne deutschen Pass

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Auf den Baustellen dieses Landes werden viele Sprachen gesprochen. Vor allem aus Mittel- und Osteuropa. Warum die Lage der migrantischen Beschäftigten oft prekär ist.

In Berlin – und anderswo sicher auch – schweigen zwischen den Jahren die Baustellen. Tun sie das nicht, ist deren Kakophonie eine Mischung aus schwerem Gerät und Sprachengewirr. Auf den Baustellen dieses Landes werden viele Sprachen gesprochen. Vor allem solche aus Mittel- und Osteuropa.

Wer wie die Autorin seit mehr als einem Jahrzehnt einer Baustelle vor dem Haus dabei zuschauen und zuhören kann, wie sie nicht fertig wird, übt sich manchmal im Rätselraten. Rumänisch? Polnisch? Kroatisch? Bulgarisch? Eine Sprache des Westbalkans?

Im Dezember 2023 veröffentlichte das Institut für nachhaltige Regionalentwicklung in Europa (Peco-Institut e.V.) gemeinsam mit dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen (EVW/EMWU e.V.) eine Studie erschienen mit dem Titel "Harte Arbeit. Bauarbeiter aus Mittel- und Osteuropa und das Werkvertragssystem in Deutschland."

Migrantische Bauarbeiter: "Mit anderen Realitäten konfrontiert"

Seit 2009 wird fast der gesamte Zuwachs an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten im Baugewerbe durch Migranten und Migrantinnen erreicht. Die Zahl der sogenannten Entsendungen hat sich verdoppelt. Im Fazit der Studie heißt es:

Migrantische Beschäftigte sind dabei häufig mit anderen Realitäten konfrontiert als inländische Bauarbeiter. Arbeitgeber nutzen insbesondere falsche Angaben zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit, um die Mindestlöhne zu umgehen.

Hinzu kommen meist überlange Arbeitszeiten zwischen 200 und 300 Stunden pro Monat, die nur zum Teil korrekt abgerechnet werden, während der andere Teil entweder in bar oder gar nicht bezahlt wird.

Die Vorenthaltung von Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, die Einbehaltung des Urlaubsgeldes oder Lohnabzüge für vermeintliche Schlechtarbeit sind ebenfalls übliche Verstöße gegen die Mindestarbeitsbedingungen.

Studie Harte Arbeit, Peco-Institut

Deutschland baut auf dem Rücken derer ohne deutschen Pass. Vielleicht kann sich noch die eine oder andere an die Pandemie erinnern, als uns plötzlich die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen (besser auf den Schlachtfeldern) dieses Landes aufstießen.

Kurzer Aufschrei, viel medientaugliche Empörung, aber nun zum Wetter und zu den Fußballergebnissen.

Dass die Lage der migrantischen Beschäftigten auf deutschen Baustellen so oft prekär sind, hat seine Ursachen darin, dass die Politik ausreichend Möglichkeiten geschaffen und Lücken gelassen hat, um solcherart Ausbeutung und Ungleichbehandlung straflos begehen zu können.

Baustellen sind "wandernde" Fabriken

Weshalb sich die Studie auch in Kapitel 2 mit den strukturellen Rahmenbedingungen des Baugewerbes beschäftigt. Baustellen sind "wandernde" Fabriken.

Mittlere und größere Bauunternehmen hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten zu Generalunternehmen und Baudienstleistern entwickelt, die wiederum mit Sub- und Subsubunternehmen arbeiten.

Preisdrückerei

Ausländische Subunternehmen können die Preise oft ordentlich drücken. Inzwischen liegt hierzulande der Anteil der Kosten von "Nachunternehmerleistungen" bei rund 33 Prozent (Stand 2020).

Manche Hochbauunternehmen wiesen einen Kostenanteil von mehr als 60 Prozent für externe Lohnarbeit aus.

Die starke Ausweitung der Subunternehmerketten in der deutschen Bauwirtschaft wäre ohne die schrittweise EU-Osterweiterung, die den Zugang zu einem großen Pool billiger Arbeitskräfte eröffnete, nicht möglich gewesen.

Studie Harte Arbeit, Peco-Institut

Die Art und Weise der öffentlichen Auftragsvergabe (rund 14 Prozent des gesamten Bauvolumens) trägt zu dem Kostendruck bei, der Zuschlag geht an das günstigste Angebot, da sind die Arbeitsbedingungen für migrantische Beschäftigte nicht von Interesse.

2022 arbeiteten auf deutschen Baustellen 93.191 entsandte Beschäftigte. Zu klein für eine große Lobby und es wäre störend (wie bei den Schlachthöfen), sich dem Thema zu widmen. Trübt auch irgendwie die gute Stimmung. Schließlich muss und soll gebaut werden.

Werkverträge sind das Zauberwort

Werkverträge sind das Zauberwort: Werkverträge ermöglichen, die Ungleichbehandlung und Prekarisierung ausländischer Beschäftigter festzuschreiben. Die auf dieser Basis Beschäftigten haben häufig nicht die gleichen sozialen Rechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten wie Angehörige der Stammbelegschaften.

Mit dem Werkvertragssystem wurde letztlich eine lohnpolitische Parallelwelt geschaffen, in der nicht die Tätigkeiten oder Qualifikation die Lohnhöhe bestimmen, sondern der vertragliche Beschäftigungsstatus.

Studie Harte Arbeit, Peco-Institut

Wie "Regime Shopping" funktioniert

Die Studie beschreibt das Vorgehen der Unternehmen, u.a. das sogenannte "Regime Shopping", bei dem sich Unternehmen die jeweils günstigste Rechtsform aussuchen, um die Bauarbeiter und Bauarbeiterinnen (es sind fast nur Männer) entweder direkt anzustellen, zu entsenden oder als Soloselbstständige anzumelden.

Staatliche Kontrolle, selbst wenn sie gewollt ist, ist schwierig, denn die Lohnunterlagen sehen meist ziemlich schick aus. 180 bezahlte Stunden, gearbeitet wurden jedoch 240 Stunden.

Untermauert werden die Studienergebnisse durch zahlreiche Interviews mit Betroffenen. Untergebracht in erbärmlichen Unterkünften, oft abgeschottet in irgendwelchen Gewerbegebieten und ohne irgendwelche Teilhabemöglichkeiten, glauben viele Beschäftigte, der Mindestlohn hierzulande läge bei sieben oder acht Euro.

Der große Anteil von Schwarzarbeit

Hinzu kommt der große Bereich der Schwarzarbeit, selbst die Bundesagentur für Arbeit und deren Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätze, so die Studie, dass 30-40 Prozent des erbrachten Bauvolumens durch unversteuerte Arbeit und Sozialleistungshinterziehung erbracht würden.

Zwischen den Jahren werden sich die so Ausgebeuteten und Misshandelten in ihren Heimatländern kurz erholen können, bevor sie wieder das deutsche Bruttoinlandsprodukt steigern dürfen.

Die Baustellen schweigen. Über die fundierte und deprimierende Studie des Peco-Instituts wird ganz sicher nur wenig geredet. Wenn überhaupt.