Hartz an der Grenze

Der Einzug der NPD in den Schweriner Landtag hat die Debatte um ein NPD-Verbot neu aufflammen lassen. Warum ein Verbot wenig hilfreich ist

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Natürlich musste das so kommen. SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck hatte sich bereits vor dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern dafür stark gemacht, ein neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei ihres Vorsitzenden zu prüfen. Seiner Meinung nach gäbe es durchaus Möglichkeiten, der NPD "Verfassungsfeindlichkeit" nachzuweisen. Das mag wenig verwundern, die NPD ist keine an Verfassungsprinzipien gekoppelte Partei, auch wenn sie ihre neonazistische Grundhaltung bisweilen mit ethnopluralistischen Argumentationsrhythmen wie "Völkerverständigung durch Gleichberechtigung" unterlegt. Gleichzeitig versucht sie den Blick somit auf für sie inhumanes und undemokratisches Handeln von Seiten der Regierung zu lenken, um sich gleichermaßen ein kleines demokratisches Lichtchen am Rande der Republik anzuzünden.

Der Ruf nach einem NPD-Verbot von Teilen der Koalition verwundert derzeit kaum. Gerade darum nicht, da man mittlerweile nicht nur statistische Zahlen von rechten Gewalttaten und sonstigen Gesetzesverletzungen vermehrt summieren muss - rechte Gewalt hat sich seit Anfang der 90er Jahre auf einem hohen Niveau eingependelt. Auch Wahlerfolge von Rechtsaußen haben seitdem zugenommen, nachdem nach dem Beinah-Einzug der NPD mit 4,3 Prozent der Zweitstimmen bei der Bundestagswahl 1969 die Gefahr knappe zwei Jahrzehnte relativ gebannt schien.

Vielleicht ist dann das Einzige, was noch hilft, alles komplett abzudichten. Denn wo nichts mehr durchsickern kann, da kann dann auch nichts sein. Die Debatte um ein NPD-Verbotsverfahren kam vor den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gerade darum erneut auf, da schon zuvor klar zu sein schien, dass die NPD den Sprung über die 5 Prozent-Hürde in den Schweriner Landtag schafft. Dann müssen sich die demokratischen Kräfte des Landes immer etwas einfallen lassen. Das kann etwas mühselig sein. Gäbe es die NPD dann künftig nicht mehr, dann gibt es auch keinen NPD-Wahlerfolg und darum auch keine Diskussionen mehr um die NPD. Dann wird vielleicht eines Tages alles wunderbar.

Für einen neuen Anlauf eines NPD-Verbotsverfahrens in Karlsruhe hat sich neben SPD-Fraktionschef Peter Struck vor allem Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit ausgesprochen. Andere, so Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU), der stellvertretende Unionsfraktionschef Wolfgang Bosbach und der Grünen-Rechtsexperte Volker Beck, sprachen sich wiederum gegen ein Verbot aus. Einig ist man sich da keineswegs.

Nur Kosmetik

Aber wenn man die NPD verbieten würde, wem wäre damit geholfen? Zunächst würde es sicherlich zu Verwirrungen in der rechten Szene kommen, und die NPD stünde in gewisser Hinsicht erstmals hilflos da. Parteiarbeit ist schließlich immer auch eine Geldfrage und die Option eines legitimen Handlungsspielraums. Diese Spielräume würden weg brechen. Gleichzeitig würde eine gründliche Beobachtung der Rechtsextremen durch ein Verbot jedoch erschwert werden, wenn Mitglieder der rechtsextremen Szene im Untergrund agieren müssen. Und das werden sie.

Das sind nun aber die eigentlichen Erscheinungsformen des modernen Rechtsextremismus, die zentralen Basisnetzwerke, die Kameradschaften, ihre Aktionsfronten, ihre Bündnisse. Die blieben von einem NPD-Verbot weitgehend unberührt. Darum ist ein Verbotsverfahren nur Kosmetik für eine vermeintlich gestärkte demokratische Republik.

Ein NPD-Verbot wäre dennoch ein Zeichen dafür, was als demokratisch und undemokratisch gelten soll. Es fragt sich nur, wer sich das dann wie zurechtbiegt. Denn ein NPD-Verbot wird vor allem den großen Parteien helfen, ihre Behauptungen zu stützen, etwas gegen Rechts unternommen zu haben. Damit ist aber sonst keinem geholfen. Und Parteienverbote konnten in der Vergangenheit auch nicht irgendein Gesellschaftsproblem lösen.

Die Verbotsdebatte packt das Problem nicht an den Wurzeln

Seit Bestehen der Bundesrepublik hat es bislang zwei Verbote politischer Parteien gegeben - das Verbot der neofaschistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952, das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1956. Doch nach 1952 kam 1964, also die Gründung der NPD, nach 1956 folgte 1968, eine Terrorwelle in Form der Gründung der Roten Armee Fraktion 1970. Vielleicht ist es aber mal wieder an der Zeit, ein Exempel im Sinne stetig "wehrhafter Demokratie" zu statuieren.

Doch die Debatte um ein NPD-Verbotsverfahren ist sinnlos. Das ist sie nicht grundsätzlich, aber das ist sie unter den momentanen Umständen. Eine Debatte um ein Verbot würde Sinn machen, wenn sie dem Zwecke dienen würde, das Problem an seinen Wurzeln zu packen. Das tut es aber nicht.

Hätte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern nicht mit aussagekräftigen 7,3 Prozent der Zweitstimmen gepunktet, dann hätte es eine Debatte um die Einfrierung der von Civitas oder Entimon geförderten Projekte vor Ort gegen Rechts nicht einmal gegeben. Genauso kam die Diskussion um die Weiterfinanzierung jener vom Bundesfamilienministerium geförderten 19 Millionen Euro jährlich gegen "Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus" erst auf, als der Potsdamer Ermyas M. nach einem rassistischen Übergriff am Ostersonntag vor wenigen Monaten beinah ums Leben kam. Denn das heißt schließlich: schlechte Schlagzeilen in der Außenwelt, womöglich kein Tourismus-Boom in der jeweiligen Region.

Diesmal war es der aggressiv geführte Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo Rechtsextremisten gegen Wahlkämpfer anderer vor allem linker Parteien vorgingen und gezielt politische Veranstaltung im Sinne ihrer "Wortergreifungsstrategie" störten. Jetzt sitzt die NPD in einem zweiten Landtag. Jetzt will die SPD die 19 Millionen sogar um fünf weitere aufstocken.

Das ist gut. Doch die Debatte um ein NPD-Verbotsverfahren heißt schließlich auch: Kontraproduktivität wenn die Flanke in den falschen Strafraum kommt. Und das tut sie ohnehin, wenn es nur bei einer Debatte bleibt. Eine Debatte ohne Konsequenz bleibt ein Hauch von Hilflosigkeit, wenn sich der Gegner als resistent erweist, wenn sich die NPD nicht verbieten lässt. Und sollte ein NPD-Verbot gelingen, die NPD könnte sich folglich bestens als Märtyrerin gerieren, die Opfer eines Systems sei, das Meinungsfreiheit nicht gewähre und das sich nicht anders zu helfen wisse, als mit Verboten zu operieren.

Nachweis der Demokratiefeindlichkeit ist nicht das Problem

Obwohl ein Verbot der NPD durchaus möglich wäre. So viel hat man mittlerweile aus Weimarer Überdemokratiezeiten gelernt, dass Demokratie heute "wehrhaft" oder "streitbar" sein muss, Gleichheit und Freiheit nicht völlig uneingeschränkt für alle gelten kann. Der Ausspruch des Sozialdemokraten Carlo Schmid nach Ende des Zweiten Weltkrieges, nachdem es nicht zum Begriff der Demokratie gehören könne, dass Demokratie "selber die Voraussetzungen für ihre Beseitigung schafft", hat sich breitwillig durchgesetzt. Der Staat kann sich seitdem gegen seine Gegner vor allem durch den Artikel 18 GG (Verwirkung von Grundrechten), Artikel 9 Abs. 2 GG (Verbot von Vereinen) sowie durch den Artikel 21 Abs. 2 GG (Verbot politischer Parteien) wehren.

Im SRP-Urteil von 1952 hatte das Bundesverfassungsgericht dann erstmals den Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" definiert. Der Pfeil sollte schließlich nicht wie einst durch den Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung wie ein Bumerang in die demokratische Planung fliegen. Das Urteil ist nun aber ein paar Tage alt. Damals stellte das Bundesverfassungsgericht im Falle der SRP fest, dass die innere Ordnung der SRP nach dem Führerprinzip aufgebaut sei und die programmatische Konzeption teilweise nationalsozialistischen Ideen und Forderungen entspräche.

Der NPD heute wiederum Demokratiefeindlichkeit nachzuweisen, das wäre nicht einmal das Problem. Die NPD ist, im Gegensatz zu den 60er Jahren, keine nationalistisch-konservative Partei mehr, sondern eine mit neonazistischer Stoßrichtung, die es dennoch gelernt hat, Wege der Legitimität, so etwa durch die Zurückhaltung revisionistischer Parolen, zu finden.

NPD weiß, die Situation für sich zu instrumentalisieren

Man muss sich im Falle der NPD-Verbotsdebatte vor allem auch fragen, was ein Verbotsverfahren für die NPD bringt, wenn es erneut scheitert? Vor drei Jahren ging die NPD gestärkt aus der Partie. Und das ist wohl eher das Problem. Der Bundestag und Bundesrat hatte zunächst im Jahre 2001 Anträge beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, um die Verfassungswidrigkeit der NPD festzustellen. Das Verbotsverfahren schlug nur völlig fehl. Der Verfassungsschutz selbst schien schließlich mit Teilen der NPD bestens klar zu kommen. Darum hatte das Bundesverfassungsgericht im März 2003 geurteilt, ein NPD-Verbot sei nicht möglich, wenn Beweise für ein Verbot herangezogen würden, die von verdeckten Ermittlern - so genannten V-Leuten - selbst erbracht worden sind. Damit stand damals fest: Wen man verbieten will, mit dem kann man nicht auch noch zusammen arbeiten.

Die drei Richter, die damals dafür sorgten, dass das NPD-Verbotsverfahren nicht zum Abschluss gebracht wurde, werden auch überwiegend bis 2010 im Amt bleiben. SPD-Innenexperte Sebastian Edathy folgert darum, dass ein neues NPD-Verbotsverfahren frühestens im Jahre 2010 sinnvoll sei. Auch könnte die Situation zwischen Verfassungshütern und NPD-Kadern noch immer ähnlich virulent sein. Gleichzeitig lassen sich Beweise für ein Verbot jedoch bestens erbringen, wenn man an der Quelle sitzt. Das klingt ein wenig verworbelt.

Die NPD hingegen hat einfache Antworten parat, weiß wie damals, die Situation für sich zu instrumentalisieren. Sie konterte schnell mit einer "Medien-Offensive", um sich im NPD-Meinungsgewimmel vom "Meinungsdiktat der Systemmedien", wie sie es nennt, unabhängig zu machen: "Wenn Maischberger, Christiansen oder Pattberg nicht den Mut zum offenen Diskurs haben, müssen wir neben dem geschriebenen Wort neue Formen finden, um unsere Positionen den Menschen im Land zu erläutern", kommentierte NPD-Pressesprecher Klaus Beier jüngst die Situation.

Verstehen die Leute in Postlow ein NPD-Verbot überhaupt?

Immerhin, ihr Propaganda-Video um ihren hessischen Landesvorsitzenden Marcel Wöll auf YouTube wurde genauso ruck zuck wieder aus dem Netz genommen, wie es drin stand. Wenn es schon kein Verbot gibt, hier bleibt man konsequent. Konsequenz wäre von Seiten der Politik ebenfalls keine schlechte Idee. Konsequenz heißt dann nicht einmal, dass es ein Verbot der NPD geben muss, es heißt vielmehr: Was sollte man vor Ort in jenen Regionen tun, in denen die NPD erstarkt?

Anders gefragt: Wenn es die NPD in Gegenden wie Postlow, wo sie ganze 38 Prozent der Stimmen erhielt, nicht mehr gibt, verstehen die Leute dort ein NPD-Verbot überhaupt? Und was passiert dann? Soll man Teile Ostdeutschlands vielleicht einfach vergessen, schließlich gibt es mit Blick auf die große Spielfläche, die Bundestagswahl, hier eh kaum Wählerpotenzial. Nicht mal mehr 20 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt heute im Osten der Republik.

Und was soll man den Leuten vor Ort erzählen, wo man Hartz an der Grenze lebt, wo die Arbeitslosigkeit überproportional hoch ist? Die NPD weiß es. Sie plant mit ihrem Parlamentarier Michael Andrejewski ein Bürgerbüro in Anklam, um Hartz-IV-Beratungen anzubieten. Soll das dann künftig etwa die CDU, die SPD oder sollen das die Grünen übernehmen, die Parteien, die Hartz-IV zu verantworten haben? Das macht wenig Sinn. Dann könnte die NPD auch gleich Integrationskurse in Kreuzberg anbieten.

Wenn man was nimmt, muss man auch was geben

Ein NPD-Verbot ist wenig sinnvoll, wenn dann zwar keine Kreuze mehr auf Stimmzetteln wären, dafür aber vielerorts keine Alternative in Sicht ist. Heißt: wenn man was nimmt, muss man auch was geben. Das ist dann vorrangig eine konjunkturelle Angelegenheit. Sicher: Rechtsextremismus ist weder ein ausschließliches Phänomen Ostdeutschlands, noch ist es nur eines von Arbeitslosen und Entwurzelten.

Das hatten Studien immer wieder gezeigt, so beispielsweise von den Münsteranern Soziologen Oliver Sill und Dieter Hoffmeister, die aufzeigten, dass gerade Jugendliche aus wohlhabenden Elternhäusern Versagensängste hätten, darum Minderheiten abwerten. Der Soziologe Johann Bacher kam zudem in seiner umfangreichen Studie "Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus" mit 3.290 Befragten an der Universität Erlangen-Nürnberg zu dem Ergebnis, dass mit einer aktiven Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik Rechtsextremismus nicht zu bekämpfen sei.

Das mag richtig sein. Dennoch ist Arbeitslosigkeit und die Angst vor dem sozialen Abrutsch - und beides ist unmittelbar wenn auch nicht zwangsläufig miteinander verbunden - ein Indikator, wenn auch nicht der Indikator. Andere Studien kamen wiederum zu dem Ergebnis, dass es in Ostdeutschland gerade die Arbeitslosen, auch die Rentner, die Arbeiter und einfachen Angestellten sind, die zu rechtsextremen Einstellungen neigen. Der Berliner Parteienforscher Richard Stöss spricht darum von einem "Unterschichtenphänomen". Und vielleicht sollte man sich um diese Problematik ein wenig mehr kümmern, wenn man schon die NPD als Station fern der Demokratie verbieten will.

Bleibt die Frage: Was passiert eigentlich mit den Rechtsextremen nach einem Parteienverbot? Das Verbot der SRP zeigte, dass sich rechtsextreme Kräfte neue Nischen suchen, sich neu formieren. Ihre Mitglieder versuchten mitunter andere Parteien zu unterwandern, so etwa die DP oder sogar die FDP, oder sie versuchten in anderen rechtsextremen Parteien wie der DRP, einer Vorläuferin der NPD, Einfluss zu gewinnen. Ähnliches offenbarte sich auch nach den Verboten von Organisationen und Vereinen in zweistelliger Höhe Anfang der 90er Jahre wie der Deutsche Alternative (DA) oder der Nationale Offensive (NO). Parteien und Vereine lassen sich verbieten, nicht jedoch Einstellungen und auch kein Aktionswille. Und das wird auch nach einem NPD-Verbot so bleiben.