Hat die westliche Entkopplungsoffensive Chinas globalem Einfluss geschadet?
Seite 2: Komplexe Gemengelage
Außerdem wird befürchtet, dass in den USA bis 2030 2,1 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte im verarbeitenden Gewerbe fehlen werden. Indien steht vor Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Wettbewerb durch billigere Importe, hohen Inputkosten, Steuern und regulatorischen Hürden, während Mexiko mit Korruption und Instabilität durch Kartelle zu kämpfen hat, während sich Vietnam mit Stromausfällen und bürokratischen Hürden herumschlagen muss.
Demgegenüber haben sich viele Konkurrenten Chinas im verarbeitenden Gewerbe für eine Zusammenarbeit mit Beijing entschieden und damit die traditionellen Abhängigkeiten in der Lieferkette verstärkt, die Washington zu durchbrechen versucht. Am deutlichsten zeigt sich das in Mexiko, wo die vorteilhaften Bedingungen für US-Unternehmen das Land auch zu einem attraktiven Ziel für chinesische Unternehmen gemacht haben, die einen guten Zugang zum US-Markt suchen.
Bemerkenswerterweise sind 80 Prozent der an ausländische Unternehmen verpachteten Grundstücke in mexikanischen Industrieparks inzwischen in der Hand chinesischer Unternehmen (im Vergleich zu 15 Prozent für US-Unternehmen), sodass chinesische Waren zur Endmontage geliefert werden können, bevor sie in die USA exportiert werden. Dieses Phänomen geht über Mexiko hinaus. Ende 2022 entdeckte das US-Handelsministerium, dass große Solarzulieferer in Südostasien chinesische Produkte kaum veränderten, bevor sie in die USA geliefert wurden. In der gesamten Region dringen chinesische Green-Tech-Unternehmen tief in die Produktionsinfrastruktur ein.
Sogar Vietnam hat sich trotz seiner anhaltenden und historischen Spannungen mit China Schritt für Schritt auf chinesische Unternehmen eingelassen, die ihre Präsenz im Land sehr stark ausweiten wollen.
Nachdem man viele Milliarden Dollar in den Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen mit chinesischen Partnern investiert hat, sträuben sich auch US-Unternehmen, die Beziehungen zu ihnen zu kappen. Ein Forschungsbericht der US-Notenbank aus dem Jahr 2021 legt nahe, dass viele ihre Importe aus China zu niedrig angeben, um die von Washington verhängten Zölle zu umgehen.
Andere ermutigen ihre chinesischen Partner, Fabriken in Nordamerika zu errichten. Ferner könnte die Aufhebung von Programmen (bzw. das Auslaufen von Programmen in den nächsten Jahren), die es Waren aus vielen Entwicklungsländern ermöglichen, zollfrei in die USA zu gelangen, Raum für China als bevorzugte Quelle für US-Händler schaffen.
Trotz der Einschränkungen westlicher Entkopplungsmaßnahmen ist es erwähnenswert, dass China ebenfalls an einer Form der Entkopplung arbeitet, um seine Abhängigkeit vom Westen zu verringern. Die 2015 angekündigte Initiative Made in China (MIC25) zielt darauf ab, die Abhängigkeit chinesischer Unternehmen vom Ausland bei wichtigen Technologien und Produkten zu verringern. Es werden auch weiterhin Maßnahmen zur Ausweitung des chinesischen Binnenmarkts ergriffen, um die Beschränkungen auf den Überseemärkten zu kompensieren.
Chinas Wirtschaft wird auch in Zukunft von Stärken und Schwächen geprägt sein. Die steigenden Löhne der chinesischen Arbeitnehmer haben die internationale Wettbewerbsfähigkeit des schrumpfenden Arbeitskräftepools des Landes kontinuierlich untergraben, während die anhaltende Immobilienkrise das Vertrauen in die chinesische Binnenwirtschaft erschüttert hat.
Außerdem beginnt Beijing weniger großzügig mit Kapital umzugehen. Man hat sich stattdessen dafür entschieden, ausstehende Kredite aus der BRI zurückzuholen.
Allerdings betreiben chinesische Offizielle und Unternehmen zunehmend Lobbyarbeit bei lokalen Regierungen mit "kleinen, aber feinen Projekten", die eine Konsultation mit misstrauischen nationalen Parteiverantwortlichen überflüssig machen. Auch in Bereichen wie den seltenen Erden ist China nach wie vor von entscheidender Bedeutung und baut seine Rolle bei der Herstellung höherwertiger Produkte von der Luftfahrt bis zur grünen Technologie aus, um mit westlichen Hightech-Unternehmen zu konkurrieren.
Chinesische Bestrebungen in Lateinamerika und Südostasien, sich in chinesische Lieferketten einzuordnen, positionieren das Land ebenfalls für den Verkauf auf diesen Märkten.
Auch wenn es den Anschein haben mag, dass der "höchste Anteil Chinas an der weltweiten Produktion bereits erreicht oder überschritten" worden ist, kann kein anderes Land mit Chinas Produktionskraft und Exportnetzwerken mithalten – und wird das voraussichtlich auch in Zukunft nicht können. Außerdem sind weder China noch der Westen in der Lage oder willens, ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu kappen.
Trotz des Zusammenbruchs der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland seit 2022 ist russische Energie weiterhin in westliche Länder geflossen, westliche Technologie gelangt immer noch nach Russland und westliche Unternehmen, die angekündigt hatten, Russland zu verlassen, sind geblieben.
Die massiven Verwerfungen, die für eine echte wirtschaftliche Abkopplung von China erforderlich wären, sind für die Öffentlichkeit und den Privatsektor inakzeptabel. Diese Realität spiegelt sich in der veränderten Sprache der US- und EU-Beamten wider, die nun die Risikominderung anstelle der Abkopplung von China betonen.
Chinesische und westliche Unternehmen wollen stattdessen weiterhin Beschränkungen umgehen und Geschäfte machen, was die Widerstandsfähigkeit des chinesischen Produktionssektors widerspiegelt und deutlich macht, dass die wirtschaftliche Ko-Abhängigkeit von den USA und dem Westen ein starkes Band ist, das nicht so leicht durchnitten werden kann.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit der Medienplattform Globetrotter. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
John P. Ruehl ist ein australisch-amerikanischer Journalist, der in Washington D.C. lebt. Er ist Redakteur bei Strategic Policy und schreibt für verschiedene andere außenpolitische Publikationen. Sein Buch "Budget Superpower: How Russia Challenges the West with an Economy Smaller than Texas" wurde im Dezember 2022 veröffentlicht.