Haus "Kommune Nr. 1": Leben im Offenen
Seite 3: Die Schlafzellen im Studentenhei waren nur 2,3 mal 2,7 Meter groß
- Haus "Kommune Nr. 1": Leben im Offenen
- Nur das Schlafzimmer war privat
- Die Schlafzellen im Studentenhei waren nur 2,3 mal 2,7 Meter groß
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Mit dem Architekten Wsjewolod Kulisch gehe ich durch einen Korridor im Studentenwohnheim "Haus der Kommune". Rechts und links sieht man durch Glasfenster ein paar der alten "Schlafzellen" für die Studenten, 2,3 mal 2,7 Meter große Räume in denen nur zwei Betten Platz hatten, sonst nichts.
Die Schlafzelle kann man vom Korridor her durch eine Schiebetüre betreten. Zum Korridor hin ist der Raum mit Glasfenstern abgegrenzt. "Die Glasfenster gab es damals natürlich nicht", sage ich zu Kulisch. "Doch die gab es", antwortet der Architekt und lacht. Um sich vor Blicken abzuschirmen, seien die Glasfenster von den Studenten mit Zeitungen beklebt worden, erzählt der Architekt, der mit Zeitzeugen gesprochen hat. Das Glas war nötig, weil man den 200 Meter langen, dunklen Korridor beleuchten musste, mit Strom damals aber gespart wurde. Der Korridor wurde also über das Tageslicht aus den Schlafkabinen beleuchtet.
Iwan Nikolajew hat das Studentenwohnheim an der Ordschonikidse-Straße Ende der 1920er Jahre entworfen. Der gesamte Komplex, der in Form eines "U" gebaut wurde, unterteilt sich in die Sektionen "Schlaf", "Lernen" und "Alltag" und erfüllte damit die bei einem Architekten-Wettbewerb aufgestellten Kriterien, erklärt Wsjewolod Kulisch. Die gesamte Anlage war so konstruiert, dass die Studenten morgens von ihren Schlafkabinen über Korridore zum Waschen, zur Gymnastik, zum Umkleideraum, zur Mensa und schließlich in die Bibliothek gingen.
Waren die Menschen nicht zu eingeengt?
Ob die Bewohner sich durch die kleinen Schlafzellen und die strikte Abfolge ihres Weges von der Schlafzelle bis zur Mensa nicht zu eingeengt fühlten, frage ich Kulisch. Nein, meint der Architekt. "Die Studenten hatten alle Freiheiten." Das wisse er von Studenten, die damals in dem Gebäude wohnten. Man müsse auch bedenken, dass die Studentenwohnheime vor der Oktoberrevolution wesentlich archaischer waren. Da hätten viele Studenten in einem Zimmer gelebt und es gab nicht genug Waschgelegenheiten. Die Oktoberrevolution aber habe mit dem Bau von Speisesälen, Schwitzbädern und modernen Wohnheimen auch die hygienischen Bedingungen verbessert und damit eine "Kultur des Alltags" geschaffen, sagt Architekt Kulisch.
Was ist eigentlich das Wesen des Konstruktivismus?, will ich von Wsjewolod Kulisch wissen. "Der Unterschied des Konstruktivismus von allen anderen Richtungen in der modernen Architektur liegt nicht im Äußeren, in den Linien, Formen, dem Umfang, einem Haus auf Stelzen oder einem Flachdach. Nein. Das ist Mainstream. Aber der in diesem Mainstream organisierte Raum, das ist Konstruktivismus."
Während der Renovierung wurde das Studentenwohnheim komplett nach modernen Gesichtspunkten umgestaltet. Die Studenten haben jetzt normale Zimmer und kleine Küchen, wie es sie auch in Europa und den USA gibt. Die berühmten Schrägrampen im Innern des Gebäudes, welche Treppenstufen ersetzen, blieben erhalten, wurden aber durch einen Lift ergänzt. "Dafür musste ich Kritik einstecken", erzählt Kulisch. Einigen Liebhabern des Konstruktivismus ging diese Modernisierung zu weit.
Die russischen Medien berichten fast gar nicht über das Schicksal der konstruktivistischen Bauwerke. Das Interesse für diese Stilrichtung hält sich bei den Russen in Grenzen. Sie legen vor allem Wert auf intakte und große Wohnungen.
Nein, es stimmt nicht. Die Russen lieben nicht nur Prunk und Kitsch. Vor allem die Leute unter 60 kaufen auch gerne bei Ikea ein. Am ehesten interessiert an der revolutionären Phase der russischen Architektur ist noch die russische Mittelschicht. Und die größten romantischen Gefühle zum Konstruktivismus haben die Fans in westlichen Ländern.
Sonder-Ausstellung im Avantgarde-Museum: "Surrealismus im Land der Bolschewisten". 26. Mai bis 23. Juli 2017, Moskau, Serpuchowski Wal 24, Korpus 2, Tel. +7 495 954 30 09