Heimspiel für die Iconophilen
Rundumschlag über Bilderkriege und den Stellenwert von Bildern in der ZKM-Ausstellung 'Iconoclash'
Sokrates befand allein die Farbe Weiß einer Erwähnung würdig, soweit uns seine Aussagen überliefert sind. Einen Bilderkrieg kannte er nicht, und sein Gespräch mit Phaedrus kreiste noch um die Frage, ob eine Rhetorik auf der Basis von Geschriebenem bestehen könne oder nicht der Unmittelbarkeit des direkten Vortrags bedürfe. Nicht der Widerspruch von Bild und Gedanken ist es, der Bilderkriege hervorrief, sondern der Streit von geschriebenen oder gedruckten Texten und gemalten, gezeichneten oder ebenfalls gedruckten Bildern. Wenn es also eine Position vor der Auseinandersetzung zwischen Bild und Wort gegeben hat, wird es - allem historischen Anschein nach - auch eine danach geben.
Nichts anderes wollten die Kuratoren der Ausstellung Iconoclash im ZKM Karlsruhe, allen voran Bruno Latour und Peter Weibel, darstellen, und wie zur Bestätigung dieser These hängt eine Studie von Josef Albers im Zentrum der Ausstellung: White Signal heißt es, stammt von 1961 und ist sicher das unscheinbarste Stück dieser großen und teilweise recht lauten Vorführung - immerhin hat es seinen Weg auf die Website der Ausstellung gemacht.
'Iconoclash' sprengt zunächst alle Ketten und Zusammenhänge: Mehr als 350 Werke hängen in den Lichthöfen 8 und 9 der alten Munitionsfabrik, und mehr als ein Mal hat man den Eindruck, diese Werke schießen auf einander. Jenseits aller Kategorien von Genialität, Werktreue, Würde und auch Qualität sind Kunstwerke und Installationen aus allen Erdteilen und Zeitaltern versammelt, ein kritischer und - in weiten Teilen - überaus gelungener Kommentar zum weltweiten wie politisch korrekten Anspruch der documenta XI. Denn vor allem anderen macht die Ausstellung eines wirklich klar: Kriege um Bilder sind reale Kriege. Es sterben Menschen für Bilder, und es werden Bilder für Menschen zerstört, die wiederum die Geschichte von Menschen, also ihre Identität bedrohen und angreifen. Kunst bedeutet mehr als nur ästhetisches, womöglich interesseloses Wohlgefallen, und wo diese Ausstellung provozieren will, tut sie es auch. Das beginnt bei der Inszenierung des Ganzen, und das endet im schweren Katalog.
Einfach hineingehen geht hier nicht: Besucher/innen müssen eine Treppe hinauf, durch einen Sound-Korridor - wer hätte es gedacht: Musicoclash geheißen - und durch eine Einführung in die Struktur des Universums hindurch, dann steht das Défilée die große Treppe herab vor einem, und man landet vor den drei Grundformen des schwarzen Quadrats, Kreuzes und Kreises von Kasimir Malewitsch. Der eingangs erwähnte Albers hängt in Sichtweite davon, doch der will ja gar kein Bild sein, ganz im Gegensatz zu den vielen ambitionierten Werken im näheren und weiteren Umkreis, die nichts als Kunst sein wollten und wollen.
Lustvoll entlarven die fünf Kuratoren unter Latours und Weibels Leitung über weite Teile die Proklamation vom Ende der Kunst, die ja nichts Anderes sollte als die Pfründe der Künstler/innen weiter sichern. Andere sichern Material aus dem Prozess der Vernichtung von Kunst durch Künstler - meist andere als die ursprünglichen Verfertiger. Ein Höhepunkt der ganzen Ausstellung ist sicher die Rekonstruktion jener Installation von Arata Isozaki aus dem Jahre 1968, die rund 100 Mailänder Künstler und Architekten als so bedrohlich empfanden, dass sie sie besetzten und nachhaltig zerstörten. Ebenso deutlich wie erzählerisch spannend sind die Reportagen von der Zerstörung religiöser Kunstwerke im Zusammenhang von Umwidmungen, Verfolgungen und schlicht stilistischen Erneuerungen. Ironisch kommentieren eine Reihe photographischer Serien aus dem 19. Jahrhundert die veränderte Rolle der Wirklichkeit in der Malerei, da die reine Mimesis dem technischen Bildmittel überlassen worden war - nur kann man jede Photoserie, wie auch jede Filmsequenz, vorwärts wie rückwärts lesen, und damit geht dem Bildsturm jede Basis seines Kampfes verloren.
Merkwürdig unbestimmt bleibt denn auch die von Joseph Leo Körner betreute Abteilung zur christlichen Ikonographie und deren Veränderung durch die Bilderstürme um 1500; drei kleine Zellen präsentieren zwar schöne, doch arg gesuchte Beispiele aus der Kunstgeschichte ohne inneren Zusammenhang. Film und Skulptur sind in ihrer Ambivalenz gegenüber Bildersturm und Bilderlust nicht immer zureichend dargestellt, auch ist die Ambivalenz des funktionalen Gebrauchs von Bildern in den (vorzugsweise Natur-)Wissenschaften wenig pointiert vorgetragen - manchmal scheint es, als seien für die Mathematik und Physik genau jene Darstellungen ausgesucht worden, die ohnehin umfangreicher Erläuterung bedürfen. Auch bei den Kunstwerken auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Erkenntnis scheinen genau jene Arbeiten ausgesucht worden zu sein, die besonders unanschaulich daherkommen.
Natürlich markiert exakt diese Erklärungsbedürftigkeit die Grenzlinie zwischen Bilderfeinden und Bilderfreunden, um die es bei jedem clash geht. Und ob der iconoclash ein cultural clash à la Samuel Huntington ist oder nicht doch nur ein missbräuchliches Kompositum aus griechischen und englischen Teilen, wie es Bruno Latour schilderte, kann selbst eine so umfangreiche Ausstellung nicht klären. Erläutert wird überall und viel, vor allem im absolut lesenswerten Katalog mit seinen über 700 Seiten - Peter Weibel ist halt der größte Enzyklopädist im weltweiten Museumswesen. Selbstverständlich wimmelt es von Texten und Bildern von Ikonoklasten (Bilderstürmern) und Ikonphilen (Bilderfreunden), und am Ende müssen auch die radikalsten Puristen unter mathematischen und philosophischen Denkern zugeben, nicht ohne Bilder arbeiten und leben zu können.
Unbestreitbar am besten ist die Ausstellung dort, wo Kuratoren wie Peter Weibel selbst ins Geschehen der Zeit involviert waren: vom Wiener Aktionismus über Joseph Beuys und seine vielen symbolischen Handlungen - zu denen immerhin die auch gezeigte, malerische Auslöschung der WTC-Türme aus dem Jahr 1974 gehörte - bis zur Arte Povera etwa eines Robert Barry oder den radikal ikonoklastischen Konzeptkünstlern wird ein dichtes Feld vernetzten Denkens markiert, das auf alle anderen Bereiche des Vorgeführten positiv ausstrahlt. Diese Kunst und ihre Künstler/innen waren es denn auch, denen als erste der hermeneutische Zirkel ihrer Bemühungen deutlich wurde: So radikal in ihren Statements sie auch immer sein mögen, am Ende bleiben von ihrer Arbeit Bilder übrig, Kunstwerke, manchmal gar Meisterwerke, oft in ihrer Grenzziehung zu Wahrnehmungsschwellen ganz besonders intensiv erlebbar. Genau diese Arbeiten und ihre jeweilige Wirkungsgeschichten führen aber auch vor, dass eine Zensur bildlichen Denkens unausweichlich den gegenteiligen Effekt ihrer Intention hat. In dieser Hinsicht ist das Unternehmen ein drastisches Lehrstück für alle die Politiker/innen, die nach dem Erfurter Amoklauf ein Verbot von Computerspielen fordern.
Ein Ende der Kunst gibt es also ebenso wenig wie ein Ende des Denkens über Bilder und in Bildern - diese tröstliche Botschaft lässt sich nach intensiver Besuchsarbeit sicher mitnehmen. Eine Verbildlichung allerdings wird im ambitionierten Unternehmen an keiner Stelle thematisiert, obwohl in der Ausstellung selbst ein wunderbares Leitbild dazu hängt: eine kleine Radierung von Rembrandt aus dem Jahr 1652, die Dr. Faustus in seinem Studierzimmer zeigt. Statt einer Erleuchtung drängt durch das Fenster ein Strahlenkreis aus Buchstaben - ein typographisches Spiel, wie es in England und Frankreich seit dem hohen Mittelalter mit Freude und Effektivität unter Philosophen als Darstellung des Lebens gespielt wurde. Der Text selbst ist ein Bild, wenn er nicht als Gedanke im Kopf bleibt - hier lassen sich wunderbare Fortsetzungen des Ausstellungsthemas vorstellen. Bis dahin aber sollte man diese Präsentation im ZKM wenigstens ein Mal gesehen haben, unbedingt. Und wer nicht nach Karlsruhe kommen kann, muss sich mit der einigermaßen umfangreichen Website begnügen.
iconoclash. Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst, Ausstellung im ZKM, Karlsruhe, Lorenzstr.19, 76135 Karlsruhe, 4.Mai bis 4.August 2002, geöffnet mittwochs bis sonntags . Katalog herausgegeben von Bruno Latour und Peter Weibel, MIT Press, 704 S., in der Ausstellung ( 35,00 Euro).