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Hells Angels fliegen aus der Kurve

Screenshot aus YouTube-Video

Großputz im kriminellen Milieu: NRW zeigt Entschlossenheit, Ankara benutzt deutsche Rocker als Aufpasser und Denunzianten

Die neue schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen demonstriert Stärke. In einer großangelegten Aktion gingen Polizeikräfte diese Woche gegen Rockergruppen vor. Innenminister Herbert Reul erklärt den Einsatz: "Der Rechtsstaat nimmt es nicht hin, dass Parallelgesellschaften wuchern, in denen seine Autorität und das Gewaltmonopol missachtet werden."

Erst kürzlich waren NRW-Einsatzkräfte an einer Razzia gegen die italienische Mafia im Bundesland an Rhein und Ruhr beteiligt, bei der es zu Festnahmen und beschlagnahmtem Vermögen kam (La Mafia in Germania [1]).

NRW-Innenminister: "Null Toleranz"

Nun also trifft es die "Hells Angels MC Concrete City", kurz gesagt Hells Angels, und den "Clan 81 Germany", eine Teilorganisation. Wie das Innenministerium mitteilt, sind die Hells Angels in NRW mit rund 300 Mitgliedern in 15 Chartern die viertstärkste Rocker-Gang, davor liegen noch die Bandidos, Gremium MC und die Freeway Riders.

Seit Jahren schon gerieten die Aktivitäten der NRW-Motorcycle Gangs in den Fokus der Behörden. Streit um Einflusszonen unter den Gruppierungen eskalierte des Öfteren, im Herbst vergangenen Jahres alarmierten Massenschlägereien der Angels mit rivalisierenden libanesischen Clans die NRW-Polizei und versetzten die Bürger in Angst und Schrecken.

Damit soll bald Schluss ein. Innenminister Reul ruft die "Null-Toleranz-Strategie" aus, in der Sitzung des Innenausschusses im NRW-Landtag diese Woche ein TOP-Thema. Mit der Razzia am vergangenen Mittwoch, einen Tag vor dem Sitzungstermin, will die Landesregierung deutlich Flagge zeigen und Entschlossenheit im Kampf gegen die kriminellen Milieus demonstrieren. 700 Beamte waren dabei im Einsatz, darunter schwer bewaffnete Spezialeinheiten und "szenekundige Ermittler". Die Statistik ansehnlich: In 16 NRW-Städten wurden 55 Wohnungen und Geschäftsräume der Erkrather Hells Angels und ihrer Untergruppe gestürmt und auf den Kopf gestellt. Die Aktion war gut vorbereitet, bereits Mittwochmorgen war ein Verbot beider Gruppen in Kraft getreten.

Weit gediehen: Die Gangs und ihre Strukturen

"Die Hells Angels versuchen, Macht- und Gebietsansprüche gegen verfeindete Gruppen durchzusetzen", so Innenminister Reul in einer Stellungnahme. Es gehe dabei auch um Waffen, Drogenhandel und Zwangsprostitution. Bei den Razzien in Erkrath, Wuppertal, Köln, Düsseldorf, Ratingen, Leverkusen, Bergheim, Neuss, Pulheim, Rösrath, Krefeld, Heiligenhaus, Warendorf sowie am Niederrhein beschlagnahmte die Polizei Vereinsvermögen, darunter 88.000 Euro Bargeld, sowie elf Motorräder, Schusswaffen, darunter ein Gewehr und eine Armbrust, Drogen und 45 Vereinskutten.

Im Erkrather Stadtteil Hochdahl hatten die Rocker über Jahre illegale Strukturen aufgebaut, Frauen zur Prostitution gezwungen, Zeugen eingeschüchtert und Drogenküchen betrieben. Gegen 39 der Rocker läuft aktuell ein Verfahren, die Liste der Delikte ist beachtlich: Bedrohung, Landfriedensbruch, räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung sowie Verstöße gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz. Das NRW-Innenministerium spricht von einer skrupellosen Gebiets- und Machtentfaltung der "Outlaw Motorcycle Gangs".

Politischer Sprengstoff: Ankara mischt mit!

Und die Sache enthält brisanten politischen Sprengstoff: Ankara mischt in den kriminellen Milieus offensichtlich mit. Was auf den ersten Blick abenteuerlich anmutet, wird von der NRW-Landesregierung bestätigt. Demnach arbeitet die Rockergruppe "Osmanen Germania BC" mit türkischen Sicherheitsbehörden zusammen. Ankara stuft demzufolge die Aktivitäten der "germanischen Osmanen" als "Hilfe bei der Terrorbekämpfung" ein, mit den Terroristen meinen die türkischen Behörden wie gewohnt die PKK, sogenannte "linke" Türken und pauschal die Gülen-Bewegung.

In dem Zusammenhang gab es bei der genannten NRW-Ausschusssitzung am Donnerstag eine Vorlage des Innenministers [2] zu aktuellen Erkenntnissen der Landesregierung "über Art und Umfang der Aktivitäten türkischer Nachrichtendienste in Nordrhein-Westfalen".

Zur Situation: Im Dezember 2016 war bekannt geworden, dass Generalkonsulate der türkischen Republik auf Anweisung der türkischen Religionsbehörde DIYANET Informationen von Imamen der DITIB (des islamischen Dachverbandes) über in Deutschland lebende mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung gesammelt und in die Türkei übermittelt hatten. In Nordrhein-Westfalen befinden sich vier von insgesamt 15 türkischen Generalkonsulaten auf deutschem Boden, und zwar in Düsseldorf, Essen, Hürth und Münster.

Wie der Bericht der Landesregierung feststellt, würden erfahrungsgemäß offizielle Repräsentanzen genutzt, um nachrichtendienstlich tätig zu werden; es sei davon auszugehen, dass türkischnationalistische Gruppierungen bzw. Einzelpersonen Informationen über Oppositionelle, und zwar auch unaufgefordert, an Repräsentanzen im In- und Ausland weitergäben.

Keine Satire: Erdogans Chefberater empfängt deutsche Rocker

Auch in den sozialen Netzwerken wird dazu aufgerufen, "Staatsfeinde" zu melden. Dies geschieht der Vorlage zufolge aus Reihen der Erdogan-Anhängerschaft, insbesondere aber auch aus den Reihen der nationalistischen "Ülkücü-Bewegung".

NRW-behördlich festgestellt ist eine Verbindung des türkischen Staates zur Rockergruppe "Osmanen Germania", es bestünden Kontakte zwischen den Führern der Rocker und Vertretern der AKP sowie Beratern von Staatspräsident Erdogan. Dem Bericht des Innenministeriums zufolge wurde der Präsident der Osmanen Germania BC im Oktober 2016 in Ankara von Ilnur Cevik, einem der wichtigsten Berater Erdogans, empfangen.

Dazu gab es einen höchst aufschlussreichen offiziellen Kommentar von türkischer Seite: "Unser verehrter (…) Chefberater des Staatspräsidenten, Ilnur Cevik, hat die Osmanen Germania BC im Präsidialamt empfangen. Er hatte ein T-Shirt mit ihren Symbolen angezogen und erklärte, als Präsidialamt werde man stets hinter den türkischen Staatsbürgern stehen, die im Ausland Terrororganisationen bekämpfen."

Die Sachverhalte lassen nach offizieller Einschätzung der NRW-Landesregierung erkennen, "dass türkische Behörden die Aktivitäten der Osmanen Germania BC in Deutschland als "Terrorbekämpfung" bewerten (…)". Mehrfach in der Vergangenheit war es in diesem Zusammenhang zu Zusammenstößen der Osmanen Germania mit türkisch "linksgerichteten" Gruppierungen gekommen. So zum Beispiel traten die Osmanen bei diversen Veranstaltungen in Erscheinung, die von regierungsnahen Organisationen der Türkei hier in Deutschland durchgeführt wurden, und leisteten bei derartigen Gelegenheiten "Veranstaltungsschutz".


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/La-Mafia-in-Germania-3853719.html
[2] https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/GB_I/I.1/Tagesordnungen/WP17/001/E17-70.jsp