"Henry Fonda for President": Männlichkeit im amerikanischen Jahrhundert

Mann mit Donald-Trump-Maske und Anzug auf dem Fußgänger-Zebrastreifen einer Straße in einer US-amerikanischen Großstadt

Copyright Real Fiction Filmverleih

Lynchen, Töten, Sterben: Über Männerfiguren, Früchte des Zorns und die USA – Alexander Horwaths nüchterne, liebevolle, aufschlussreiche Annäherung im Film. Außergewöhnlich.

Der Film beginnt ganz persönlich und scheinbar als Schauspielbiografie Henry Fondas (1905 - 1982). Ihn entdeckte Alexander Horwath als Teenager auf einem Familienausflug nach Paris in einigen Filmen.

Ursprünglich wollte dies der Regisseur gar nicht im Film erzählen, sondern allein auf der Basis von Archivmaterial arbeiten. Doch es sagt einiges über die derzeitigen kulturellen Verhältnisse und die damit einhergehenden Finanzierungsbedingungen, dass der Film erst durch das Einbeziehen von Alexander Horwaths persönlichem Zugang überhaupt realisierbar geworden ist.

Ein purer Essayfilm, ein Bildungsgang, eine theoretische Analyse für sich ist dem zeitgenössischen kulturindustrieellen Komplex nichts wert.

Doch schnell wird deutlich, dass dieser Film etwas anderes will, und über die Biografie Fondas hinweg eine viel längere Zeitspanne abdeckt, indem er in die Geschichte Amerikas eintaucht und von den ersten nordeuropäischen Einwanderern im 17. Jahrhundert erzählt, auf die Kolonialzeit und die Indianerkriege zu sprechen kommt.

Härte und Selbstversklavung

Er war einer der großen Charakterdarsteller des klassischen Hollywood: Zwischen dem frühen Tonfilm der Dreißigerjahre und seinem letzten Film, "On Golden Pond" (1981) spielte Henry Fonda in weit über 100 Kinowerken, bald Hauptrollen und oft prototypische und zugleich verhärtete, nicht selten innerlich gebrochene US-amerikanische Männerfiguren.

Fonda sei "ein reiches Forschungsgebiet für die Masculinity Studies", sagt der österreichische Filmhistoriker und langjährige Leiter des Wiener Filmmuseums, Alexander Horwath, an einer Stelle seines außergewöhnlichen, herausragenden Dokumentarfilmessays "Henry Fonda for President".

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Was damit gemeint ist, drückte sehr präzise der Schriftsteller John Steinbeck aus, der Fonda kennenlernte, als sein Roman "Früchte des Zorns" mit Fonda in der Hauptrolle 1940 von John Ford verfilmt wurde:

Offen aber unerreichbar; sanft, aber zu plötzlicher wilder und gefährlicher Gewalt fähig; scharf kritisch gegenüber den Dingen, aber ebenso selbstkritisch; in sich gefangen und gegen Gitterstäbe ankämpfend, aber schüchtern im Licht; böse zurückhaltend gegenüber Äußerlichkeiten und sich selbst eine eiserne Sklaverei auferlegend.

Sein Gesicht ist ein Bild von Gegensätzen im Konflikt.

Fonda war ein offenkundig verschlossener, mit sich selbst hadernder Mensch, der das Handeln dem Reden über Gefühle vorzog:

Wortkarg, perfektionistisch, in sich gekehrt, verlässlich, aber mit einer Neigung zum Zorn.

Und unfähig, den emotionalen Abstand noch zu seinen nächsten Familienmitgliedern zu überwinden.

Der soldatisch gepanzerte "nicht zuende geborene" Mann

In ruhigen, weit ausholenden Schritten, gesäumt von zahlreichen Exkursen und Windungen, aber nie sein Sujet aus den Augen verlierend, erzählt Horwaths dreistündiger Film Henry Fondas Karriere, blickt aufs Privatleben und analysiert den Charakter.

Dabei arbeitet er hauptsächlich mit Archivmaterial und bedient sich der Tonaufnahmen eines der letzten ausführlichen Interviews, die der Schauspieler im Sommer vor seinem Tod gegeben hat.

Letztendlich dient diese individuelle Geschichte aber auch dazu, ganz Amerika auf die Couch seiner psychoanalytischen Betrachtungsweise zu legen, das "Amerikanische Jahrhundert" und selbstverständlich auch Hollywood. Für dessen klassische Periode ist Fondas Geschichte prototypisch.

Schließlich geht es auch um Männlichkeit an sich, um den "Theweleit-Komplex" der "Männerphantasien" des soldatisch gepanzerten "nicht zuende geborenen Mannes". Solche Figuren stellte Fonda dar, in unterschiedlichen Variationen, etwa in Fords "Fort Apache" oder "Lady Eve" von Preston Sturges.

Er konnte das so gut, weil er sie in sich trug.

Selbstreflexion und Experiment vor dem Spiegel

Es ist bemerkenswert, wie oft dieser Schauspieler in seinen Filmen in eine Rolle schlüpft, sich Eigenschaften aneignet, Dinge an sich ausprobiert: Kleidungsstücke, Hüte, aber auch Haltungen.

Und wie oft er vor einem Spiegel steht, sich betrachtet und überprüft. Fonda spielt auch fürs Publikum erkennbar etwas vor, seine Figuren verschmelzen mit den sozialen Rollen, die sie spielen, und stellen sich dabei infrage.

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Diese Beobachtung der Auftritte überträgt Horwath auf die Person und beschreibt etwa, wie Fonda in den Filmen vor allem von John Ford seine Persona ausformt, Haltungen einübt, Körperbeherrschung, Tanzen. Aber auch Horwath bildet hier eine Persona namens "Henry Fonda".

Brüche: Lynchmord, Krieg, falsche Helden

Den ersten großen Bruch in diesem Leben markiert der Abend, an dem der vierzehnjährige Fonda mit seinem Vater Augenzeuge des "Oxbow-Incident", eines Lynchsmords an einem Schwarzen wird: "Es kehrt immer wieder zurück."

Der zweite Bruch ist der Zweite Weltkrieg, in dem Fonda kämpft und als verwandelter Mann zurückkehrt. Kurz nach seiner Rückkehr begeht seine zweite Ehefrau Suizid, und Fonda kehrt der Filmindustrie über Jahre den Rücken und konzentriert sich aufs Theater.

Alfred Hitchcock holt ihn zurück auf die Leinwand und besetzt ihn in der Titelrolle seines ungewöhnlich naturalistischen "The Wrong Man", wobei er, so legt Horwath nahe, Fondas persönliche Traumata bewusst einsetzt. Es sollte die einzige Zusammenarbeit dieser eigenwilligen Künstler bleiben.

Allerdings: "Fondas Kino kreist immer um die Figur des wrong man und um die Gesellschaft, die ihn hervorbringt."

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Den dritten Bruch vollzieht Fonda selbst: In der Darstellung des Schurken in Sergio Leones "Spiel mir das Lied vom Tod" und deren offenen Parallelen zur realen gesellschaftlichen Erfahrung von Vietnam, dekonstruiert und widerlegt Fonda auch all die "amerikanischen Helden", die er über drei Jahrzehnte, insbesondere in Western von John Ford gespielt hatte.

Das Kino als Medium der Ideologie und der Desillusionierung

Auf das Kino als Ganzes bezogen zeigt Howath die Selbstverzauberung und -entzauberung Amerikas und erinnert daran, was Kino einmal bedeutete: ein Selbstgespräch der Gesellschaft.

"Das Kino ist der Superkleber der 1930er-Jahre."

Draußen herrscht die große Depression, die Anziehungskraft der Stars hält dagegen. Sie sind Prototypen, robuste Vorbilder für die Bewältigung der Wirklichkeit. Aber im Typischen muss auch ihr Eigenes durchscheinen.

Es verspricht eine Wahrheit hinter der Leinwand. So erzählt Hollywood den Amerikanern auch ihre Geschichte, von der Kolonisierung über die Indianerkriege bis zu der Gegenwart der Sechzigerjahre des Kalten Kriegs und den Desillusionierungen im Zuge der Bürgerrechtsbewegung.

Der Titel des Films ist vor allem ein Witz: Fonda hat im Laufe seiner Karriere sehr viele US-Präsidenten gespielt. Reale Personen wie in John Fords "Der junge Lincoln" und fiktive wie in "Angriffsziel Moskau", einer bitterbösen Satire von Sidney Lumet, wo er New York opfert, um die Weltvernichtung im Atomkrieg zu vermeiden, oder in "The Candidate", wo er wie in der wirklichen Welt Joe Biden auf die Wiederwahl verzichtet, um einen Populisten zu verhindern – ein heute erstaunlich aktueller Film.

Vielleicht hätte Fonda sogar selbst mal US-Präsident werden können. Mitte der 1970er-Jahregab es Menschen, die ihn gerne in der Rolle gesehen hätten – und den lustigen Auftritt in einer Comedy-Show, wo er sich dem Drängen, als Gegenkandidat zu seinem konservativen Kollegen Ronald Reagan anzutreten, verweigert.

Die Realität nimmt Maß am Kino

Eine letzte Schleife ist die sehr interessante Frage, die dieser Film am Ende auslöst: Ist auch der Schauspieler ein Autor?

Horwath spricht das Wort französisch aus, also offen bezogen auf die französische Autorentheorie. Er überlegt, was Schauspielerei überhaupt ausmacht, wie einer eine Schauspieler-Persona durch über 100 Filme tragen und gestalten kann?

Horwath lässt die Antwort offen, legt aber nahe, dass es möglich ist.

Von Horwath selbst gesprochen ist dies auch eine persönliche Geschichte: Der Film beginnt mit dieser persönlichen Ebene einer Reise nach Paris im Sommer 1980 und der ersten Begegnung mit Fonda in dreien seiner Filme. Fonda ist für den Filmliebhaber auch ein Lebensbegleiter.

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Der Film fasziniert in seiner klugen Lektüre der Filme, aber auch in zahlreichen kleinen aufschlussreichen Beobachtungen – etwa dem Verweis auf die Bezüge des "Taxi Driver" auf die Indianerkriege, die "Glücksversprechen der Celebrity" und das Attentat auf Ronald Reagan 1981: "Die Realität nimmt Maß an 'Taxi Driver'."

Als Ganzes bietet er neben der liebevollen Annäherung an eine ambivalente Persönlichkeit das aufschlussreiche Panorama eines Landes und des auch für Europa tonangebenden Kinos.