"Heute hängen Menschen- und Erdgeschichte zusammen"

Warum die Natur in die Geschichtsbetrachtung einbezogen werden muss. Künftige Generationen müssen eine Chance haben. Interview mit dem Philosophen von Pechmann.

Mit den unterschiedlichen (und neuen) Perspektiven auf die Geschichte befasst sich die neue Ausgabe der Philosophie-Zeitschrift Widerspruch.

Nachdem diese traditionell aus der Perspektive der jeweiligen Sieger geschrieben wurde, rücken heutzutage die Unterlegenen und Opfer des Geschichtsprozesses in den Vordergrund.

Und da die weitere Geschichte des Planeten Erde mutmaßlich davon abhängt, ob der menschenproduzierte Wandel des planetaren Klimasystems gestoppt werden kann oder aber nicht, wird auch die Natur als Grundlage der von Menschen gemachten Geschichte einbezogen.

Diesem Thema widmet sich Alexander von Pechmann, Philosophie-Professor an der LMU-München, mit dem Artikel "Geschichte im Anthropozän". Telepolis sprach mit dem Autor.

Notwendiger Perspektivenwechsel

Herr von Pechmann, wie lässt sich die Natur in die Geschichtsschreibung einbeziehen und wie unterscheidet sie sich von der um den Menschen zentrierte?

Alexander von Pechmann: Das Erste ist, dass wir überhaupt erst einmal anerkennen müssen, dass die Natur nicht einfach ohne Geschichte da ist, um von uns Menschen für unsere Zwecke immer besser gebraucht und ausgebeutet zu werden.

Sondern dass auch der Planet Erde, auf dem wir leben, eine zusammenhängende und bewegte Geschichte hat, die, wie die Menschengeschichte, aus Phasen der Stabilität und der Katastrophen und Revolutionen besteht.

Die Einsicht in diese einheitliche Geschichte des Planeten ist erst in jüngster Zeit durch die Beobachtungen von Satelliten und durch neue High-Tech-Analyseverfahren der Geologen möglich geworden.

Den großen Unterschied der beiden Geschichten sehe vor allem darin, dass die Geschichte des menschlichen Handelns sich in Zeiträumen von Jahrhunderten, die Geschichte unseres Planeten sich hingegen – für uns unvorstellbar – von Jahrmillionen bewegt.

Welche Umstände machen den Perspektivwechsel in der Geschichte notwendig?

Alexander von Pechmann: Meines Erachtens sind es zwei Umstände, die aber zusammenhängen. Der erste ist, dass die menschliche Gattung auf diesem Planeten durch all ihre global vernetzten ökonomischen Aktivitäten in den letzten Jahrzehnten zu einer, wie es heißt, "geologischen Kraft" geworden ist, die – historisch erstmalig – den weiteren Verlauf der Erdgeschichte bestimmen wird.

Der andere Umstand ist, dass wir ja selbst tagtäglich erleben, wie der gegenwärtige Wandel des Erdklimas, das rasche Aussterben der Arten et cetera massive Auswirkungen auf das Leiden und auf das Handeln der Menschen hat und erst recht haben wird.

Ob das Pariser Klima-Abkommen etwa eingehalten wird oder nicht, hat Folgen für die weitere Erd- wie Menschengeschichte.

Die gesellschaftspolitischen Alternativen

Welche praktischen Konsequenzen müssten aus dieser neuen Geschichtskonzeption gezogen werden?

Alexander von Pechmann: Ich würde darauf sagen: wenn es uns, den heute lebenden Generationen, gelingt, den Wandel des Erdklimas zu stoppen, dann haben künftige Generationen eine Chance. Wenn es uns nicht gelingt, dann schaut es mit der künftigen Bewohnbarkeit des Planeten Erde düster aus.

Konkret bedeutet das, dass wir heute gesellschaftspolitisch vor der Alternative stehen: Entweder wir folgen weiterhin den geltenden Regeln des kapitalistischen Weltmarkts, auf dem das erste Motiv und das letzte Ziel jeglicher Produktion die Kapitalvermehrung oder der private Profit ist – je höher, desto besser –, dann ist, nach allem, was wir wissen, absehbar, dass die natürlichen Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen zerrüttet und zerstört werden.

Oder aber wir folgen der Einsicht, dass es menschengeschichtlich – jenseits des Marktes – für alle verbindliche Regeln der globalen und internationalen Kooperation wird geben müssen, um den erdgeschichtlichen Wandel des Klimas zu stoppen. Wie man sieht: heute hängen die weitere Menschen- und die Erdgeschichte eben unauflöslich zusammen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.