High Life
Haben winzige Tröpfchen in der Atmosphäre die ersten lebendigen Zellen gebildet?
Möglicherweise muss man den Ursprung des Lebens nicht im Meer suchen, sondern in kleinen Wassertröpfchen, welche am Himmel herumflirren. Von Ozeanbrechern in die Luft geschleudert, könnten diese fliegenden Tröpfchen die Bedingungen geschaffen haben, unter denen sich komplexe Moleküle bilden konnten.
Die Theorie wurde diese Woche von einem internationalen Forscherteam der Royal Meteorological Society bei einer Konferenz in Cambridge vorgestellt. Sie könnte eventuell große Fragen im Bereich der Forschung zum Ursprung des Lebens beantworten. Wie haben die ersten Zellen ihre Membran entwickelt? Und wie konnten einfache organische Moleküle sich so konzentrieren, dass sie sich zu großen komplexen Molekülen entwickelten?
Entstanden ist die Idee, als Adrian Tuck von der National Oceanic and Atmospheric Administration auf die Arbeit seines Kollegen Daniel Murphy aufmerksam wurde. Murphy hatte herausgefunden, dass die Tropfen in der Luft nicht -wie zu erwarten wäre - nur aus Seewasser bestehen, sondern zur Hälfte aus organischen Bestandteilen. Gemeinsam mit seinen Kollegen Veronica Vaida und Barney Ellison der University of Colorado at Boulder tüftelte Tuck aus, dass die Tröpfchen deshalb so viel organische Bestandteile enthalten, weil sie ein Lipid, ein Fett aufnehmen, welches in der öligen Schicht auf der Oberfläche des Ozeans schwimmt.
"Sie sehen aus wie die Blaupause einer Zelle, wie eine Urzelle mit einem Mantel aus organischem Material," befindet Tuck.
Während die Tröpfchen durch die Sphären der Lüfte driften, reagieren sie oft mit anderen Partikeln, welche Substanzen wie Eisen und Nickel enthalten, Derivate von Meteoriten, die in der Atmosphäre verglühen.
"Diese sprühenden Tropfenpartikel können sich bis zu ein Jahr lang in der Stratosphäre halten. Da haben sie Gelegenheit alles mögliche aufzulesen." so Tuck. Wenn das Wasser in den Tröpfchen verdampft, nehmen die verschiedenen darin enthaltenen Substanzen eine höhere Konzentration an. Im Zusammenspiel mit der Sonnenenergie werden hier chemische Reaktionen geradezu forciert. Vielleicht erklärt das, wie einfache organische Moleküle auf der noch jungen Erde dazu kamen, so etwas wie die DNA und Proteine zu formen.
"Es gibt eigentlich keinen Zweifel darüber, dass die Bausteine vorhanden waren." resümiert Chris Dobson von der Oxford University, Proteinchemiker und Mitglied im Forscherteam. "Die Frage ist, wie es zu der Polymerisation kam."
Stellt man sich vor, dass die Tröpfchen wieder in den Ozean "regnen", dann könnten sie eine zweite Ölschicht ansetzen und mit ihren zwei "Mänteln" letztlich verblüffende Ähnlichkeit mit der Membran aufweisen, welche alle lebenden Zellen umgibt. "Wenn es an einer anderen Stelle wieder in den Ozean fällt, könnte unser Tröpfchen ein zweite, anders beschaffene Schicht annehmen. Hier erkennen wir ein typisches Charakteristikum von Bakterien wieder, das bisher schwer zu erklären war." sagt Tuck. Die Tröpfchen haben auch ungefähr die gleiche Größe wie Bakterien.
Die Theorie sei verführerisch und fruchtbar, bewertet Michael Russel vom Scottish Universities Reserach and Reactor Centre in Glasgow. Aber er hat auch Vorbehalte. Es könne sich genauso um einen Zufall handeln, dass Tucks Tröpfchen aussähen wie eine Zelle. Um ein wenig sicherer zu werden, möchte Tuck einen riesigen Simulator bauen um zu sehen, was in seinen sprühenden Teilchen wirklich vor sich geht. Die Größe eines Tröpfchen ist abhängig von Gravität und atmosphärischem Druck, also könnte man leicht errechnen, welche Größe es auf einem anderen Planeten hätte. Tuck hat ausgerechnet, dass sie auf dem Mars kleiner wären als auf der Erde. Tatsächlich wären sie ungefähr so groß wie die bakterien-ähnliche Struktur, die man auf dem Mars-Meteoriten ALH84001 gefunden hat. Ob das ein Zeichen von Leben ist? "Immer langsam " meint Tuck, "aber ein seltsamer Zufall ist es schon."