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High-Tech-Spekulation auf Kosten von Umwelt und Rechtsstaatlichkeit

Die schmutzige Gier nach Bitcoins

"Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst von falschen Versprechungen ", so würden Karl Marx und Friedrich Engels vielleicht heute ihr "Kommunistisches Manifest" beginnen lassen und dabei auf ein so absurdes wie erschreckendes Phänomen des globalen Finanzkapitalismus verweisen: die Kryptowährung Bitcoin (und andere ihrer Art).

Intermediäre Einrichtungen wie Banken, Börsen, Notare, sowie diverse staatliche Institutionen (z.B. Zentralbanken, Steuerbehörden und Regulatoren) steuern einen großen Teil unseres Wirtschaftslebens. Mit ihnen verbunden ist eine zentrale Bedingung für reibungsloses wirtschaftliches Handeln: Vertrauen.

Banken garantieren das eingezahlte Geld, ein Notar die Rechtsicherheit einer vertraglichen Vereinbarung, Notenbanken, dass die Papierscheine in unseren Händen in der Zukunft weiterhin einen Wert besitzen, d.h. mit einer "Banknote" besitzt man einen Wertspeicher, der (zumeist) zuverlässig ist; staatliche Behörden sorgen dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Sie alle sind "Agenten des Vertrauens".

Dass diese Agenten selbst in die Krise geraten können, zeigen die massiven Banken-, Finanz-, Wirtschafts- und staatlichen Krisen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, die zu Hyperinflationen, Bankpleiten, Kreditkrisen bis hin zu dysfunktionalen Staaten (so genannte "failed states") geführt haben.

Digitale Technologien versprechen hier neue Lösungsmodelle. Die grösste Aufmerksamkeit erhält zur Zeit eine neue, sich als transparent und dezentral erklärende Art und Weise, die zentrale Einheit des wirtschaftlichen Austauschs zu definieren, das Geld.

Anstatt in einer staatlich regulierten Währung können wirtschaftliche Austauschsprozesse auch in dezentral verwalteten Netzwerken stattfinden. Das ist die Kernidee der so genannten "Blockchain"-Technologie. Mit ihr lassen sich Zahlungen abwickeln, ohne dass es einer zentralen Bank oder Währung bedarf. Während beim gewöhnlichen (bargeldlosen) Zahlungsverkehr die Teilnehmer einer Bank oder einer ähnlichen vermittelnden Instanz (z.B. einer Kreditkartengesellschaft) vertrauen müssen, die die Sicherheit der Transaktion garantiert, ist dies bei Blockchain die Aufgabe der Gemeinschaft aller Beteiligten.

Eine Zahlung wird bei Vorlegen der korrekten digitale Schlüssel von der Mehrheit der Teilnehmer abgesegnet. Korrekturen am System sind nur möglich, wenn die Mehrheit der Beteiligten diesen zustimmt, was nach einer Weile aufgrund der wachsenden Teilnehmerzahl kaum mehr möglich ist.

Die Blockchain-Technologie ersetzt also Intermediäre wie Geld, Banken und Behörden durch die Gemeinschaft vieler Nutzer. Die Versprechen, die damit verbunden sind, sind nichts geringeres als der Umsturz des traditionell intransparenten, korruptionsanfälligen und völlig überteuerten Geschäftsmodell der Banken, mehr Demokratie in Unternehmen und im Staat, Fairness im globalen Handel, die Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit, bis hin zu einem Wohlstands-Turbo-Booster für die Ärmsten der Welt.

Die Realität sieht leider ganz anders aus. Betrachten wir die vier Kriterien genauer, die Bitcoin für sich in Anspruch nimmt in seinem Bestreben, mit der Blockchain-Technologie die konventionellen Währungen abzulösen:

Der neue Goldrausch

Es ist kein politischer Idealismus oder die Aussicht auf eine gerechtere Gesellschaft, was den momentanen Hype um Bitcoin antreibt und seinen Wert auf immer absurderen Höhen bringt.

Vielmehr ist es der gleiche Ausruf, der in demselben Jahr, in dem Marx und Engels das Kommen des Kommunismus ankündigten, aus San Francisco erscholl: "Gold! Gold! Gold from the American River!". Wer kann schon ignorieren, dass hier schnell mal Millionen gescheffelt werden können? Nur dass man heute nicht mehr beschwerliche Tausende von Kilometern reisen muss, um das neue Gold zu "schürfen", sondern nur ins Internet zu gehen braucht.

Leider kommt dieser neue Goldrausch mit immensen ökologischen Kosten. Für das Mining von Bitcoins, das für dessen zugrundeliegende Blockchain-Infrastruktur notwendig ist, wird enorm viel Rechenleistung benötigt, und damit Strom. Von Oktober 2020 bis Februar 2021 hat sich der Strombedarf für die Kryptowährung nahezu verdoppelt.

Die High-Tech Computer der Bitcoin-Minder verbrauchen schon sehr bald mehr Strom als ganz Holland, Tendenz stark steigend. 65 Prozent der Mining-Aktivitäten finden heute in China statt, denn dort ist der Preis für Strom besonders niedrig – und kommt hauptsächlich aus Kohlekraftwerken.

Der renommierte Computer-Sicherheitsexperte Felix von Leitner bezeichnet Bitcoin daher als "organisierte Umweltverschmutzung". Es wird Zeit, dass dieser Absurdität ein Ende bereitet wird.

Der Artikel ist zuerst in Lars Jaegers neuen Blog [1] erschienen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-5058926

Links in diesem Artikel:
[1] https://larsjaeger.ch/