"High-Tech heißt, daß die Technik verschwindet"
Peter Krieg über die Zukunft des Kinos im virtuellen Zeitalter
Statt von defensiven Strategien der Verteidigung seines analogen Status hängt das Überleben des Kinos gewiß eher davon ab, "das Filmemachen im digitalen Zeitalter neu zu erfinden". So Peter Krieg, der nach einer erfolgreichen Karriere als politisch engagierter Dokumentarfilmer nun dem jüngst gegründeten High Tech Center Babelsberg als Geschäftsführer vorsteht. Krieg, der u. a. das Festival "interActiva" initiert und organisiert hat, setzt sich seit Jahren mit Visionen der digitalen Zukunft des Kinos auseinander. Sein Film "Maschinenträume" von 1988 oder das interaktive Kinoprojekt aus dem Jahre 1991, bei dem bis zu 199 Zuschauer eine Laserdiskprojektion steuern konnten, sind konkrete Beispiele dieser Auseinandersetzung. Der Ausbau des High Tech Centers auf dem Gelände der ehemaligen UFA Studios der Filmstadt Babelsberg zum Produktions- und Dienstleistungszentrum für audiovisuelle Medien - in dem derzeit das erste komplett virtuelle Studios Europas eingerichtet wird - ist ein weiterer Schritt zur experimentellen Realisierung dieser Visionen. Im Gespräch mit Stefan Münker äußerte sich Peter Krieg über seine Einschätzung der weiteren Entwicklung der digitalen Zukunft des Kinos.
Welchen Weg wird der Film in der digitalen Zukunft einschlagen?
PETER KRIEG: Man muß, glaube ich, mehrere Pfade unterscheiden, die in die digitale Zukunft führen. Ein Pfad kommt von ganz weit hinten aus der Vergangenheit und der wird sicher noch ganz weit nach vorne gehen, das ist der Pfad des linearen Geschichtenerzählens. Dieser Pfad hat sich verzweigt vom Geschichtenerzähler am Lagerfeuer zu den Märchenerzählern, zum Theater, zum Kino, zur Oper u. s. w. Die Erzähler haben sich immer der jeweils möglichen Technologien bedient, um ihre Geschichten schöner und besser erzählen oder produzieren und schließlich immer weiter verteilen zu können, wie dies mit den modernen Massenmedien erst möglich wurde. Die Digitalisierung, die wir im Moment in Hollywood sehen, ist im Prinzip nichts anderes als ein Weg, die Medien des Erzählens komplexer, vielleicht mit besseren Special Effects zu gestalten, bis dahin, daß in Zukunft die Filme überhaupt nur noch zu einem geringen Teil mit der Kamera produziert und immer mehr im Computer aus verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzt werden.
Diese Geschichte wird sich auch nicht in dem Sinne ändern, wie manche Leute immer befürchtet haben: Das Ende der linearen Geschichten - daß die Zuschauer zum Beispiel massenweise darüber abstimmen, wie die Geschichte weitergeht - das halte ich für eine Sackgasse. Das lineare Geschichtenerzählen hat den großen Vorteil, daß alles, was passiert, in meiner Gegenwart passiert. Damit ist es ein großer Antipode zur Lebenserfahrung, wo immer das, was interessant ist, dann passiert, wenn ich gerade nicht dabei bin; d. h. ich verpasse immer etwas. Und in einer globalen Medienwelt, wo wir von den Medien Berichte kriegen aus der ganzen Welt und nicht nur aus unserem Dorf, verpasse ich natürlich um so mehr. Das Kino hebt dieses Gefühl auf. Wenn ich ins Kino gehe, weiß ich, daß alles, was passiert, in meiner Anwesenheit geschieht und ich nichts verpasse.
Das interaktive Kino mit den Abstimmungsmodi bringt genau diesen Alltagsfrust wieder, daß ich, weil die anderen Leute anders abstimmen als ich, immer etwas verpasse. Ich weiß auch gar nicht, was ich verpasse, ich weiß nur, am Ende komme ich 'raus und sage, Mensch, wären andere Leute im Kino gewesen und hätten besser abgestimmt, so wie ich abgestimmt habe, dann hätte ich vielleicht alles wichtige gesehen. Aber so kann ich das nicht wissen und bin auf jeden Fall frustriert.
Versuche in dieser Richtung hat es ja gegeben - ich habe selber in Deutschland einen gemacht, die Amerikaner, Sony haben welche gemacht, und die Versuche wurden eingestellt, weil alle gemerkt haben, das ist eine Frustrationsmaschine. Wenn man aber digitales Kino begreift als ein Gruppenerlebnis mit Hilfe von Bildern, die erzeugt werden und nicht nur als Ort für lineare Geschichten, dann könnte ich mir denken, daß es auch eine interaktive Zukunft gibt, und die sieht eher so aus, daß Leute miteinander spielen, die vielleicht sonst gar nicht miteinander spielen würden, weil sie sich nicht kennen. Spiele sind ja etwas, was nicht so sehr auf Abstimmung basiert. Spiele haben eher etwas mit Koordination, mit einem Wettstreit zu tun, bei dem sich Mannschaften koordinieren müssen. Und ich glaube, daß solche Gesellschaftsspiele sich durch die neuen elektronischen Medien wieder als eine gesellschaftliche Tätigkeit etablieren können, die ja auch eine ganz lange Geschichte hat, und die man aber zugleich in letzter Zeit ein bißchen aus dem Auge verloren hat. Das werden aber eben keine Abstimmungsspiele sein, sondern Koordinationsspiele.
Mein Lieblingsbeispiel ist immer, daß man auf die Leinwand ein Raster in Form eines Labyrinths projizieren würde, auf der haben Sie einen Lichtpunkt, und jeder Zuschauer oder Teilnehmer hat einen Joystick und muß nun mit diesem Joystick den Lichtpunkt durch das Labyrinth bewegen. Der Punkt bewegt sich aber nur im Durchschnitt aller Eingaben. Alle Zuschauer müssen sich also koordinieren, um dieses Ding durchzuschieben. Wenn das überhaupt möglich ist - leider hat es noch keiner probiert und ich hatte bisher nicht die Zeit, das zu machen -, dann ist das natürlich ein sehr spannendes Medium, dann kann ich Mannschaften bilden, Autorennen fahren, Labyrinthe bauen - und was man sich alles noch vorstellen kann. Spiele in dieser Richtung, die mit Koordination zu tun haben, können, glaube ich, sehr spannend sein. Wenn ich das machen kann, mit hoher Auflösung, in Computern mit großen Netzwerken, auch über das Internet - und ich weiß nicht, ob man das noch Kino nennen sollte - dann könnte ich mir denken, daß Interaktivität als ein Entertainment-Medium für Gruppen sich durchsetzen wird.
Das Kino der Zukunft
Ob das Ergebnis einer solchen Entwicklung sich noch mit dem Titel 'Kino' bezeichnen lassen wird, hängt ja sicherlich auch davon ab, wie das Kino seinen eigenen Ort innerhalb der Landschaft digitalisierter Medien definieren und verteidigen kann - und inwieweit und wie spezifisch das Medium Film sich mit anderen Medien wie der CD-ROM, dem Netz, u. s. w. überschneiden wird?
PETER KRIEG: Ja eben. Ich würde sagen, man muß unterscheiden zwischen einem reinen Transportmedium, was das Netz ja auch ist, und einem Kommunikationsmedium, in dem tatsächlich auch eine Kommunikation stattfindet. Das Kino der Zukunft wird sicher ein Kino sein, das elektronisch zentral oder auch dezentral programmiert wird, und nicht mehr eines, wo Filmrollen physisch transportiert werden. Man wird Server haben, man wird das Kino speziell und sehr flexibel programmieren können, und die Filme werden elektronisch produziert werden. Dem Film als Distributionsmedium gebe ich keine zehn Jahre mehr. Dann wird das Netz ein reines Transportmedium für Großdatenmengen. Das kann ich natürlich auch auf eine CD-ROM pressen - Sie wissen, es sind CD-ROMs in der Entwicklung, die mehrere Terrabyte fassen, und ein Spielfilm hat in hoher Auflösung etwa 1,5-2 Terrabyte - und wenn ich das auf eine CD-ROM bringe, ist es vielleicht sogar billiger, die CD-ROMs mit der Post an die Kinos zu verschicken und sie dort zu projizieren.
Das Kino wird sich überhaupt etwas einfallen lassen müssen - man wird vielleicht auf Großformate gehen; mehr auf IMEX-Eindrücke, wo der sensorische Eindruck stärker ist als im bisherigen Kino, das ja eine Guckgastenbühne ist. Das Kino ist ja immer noch eine Fortschreibung des Theaters, während IMEX zum Beispiel zum ersten Mal Kino als etwas begreift, das mich körperlich total besetzt. Sie kennen das Erlebnis im IMEX-Kino: Mein Bauch weiß, daß ich fliege, und ich kann mit meinem Kopf meinem Bauch versuchen zu sagen, nein, Du fliegst nicht, Du sitzt im Kinosessel. Mein Bauch glaubt's einfach nicht; es ist vom Kopf her nicht möglich, den Bauch zu überzeugen, es sei denn, ich guck wirklich auf den Boden oder in die Ecke, aber ich muß das Gesichtsfeld des Bildes verlassen.
Diese totale körperliche Besetzung schafft das Theater nicht, die schafft das Kino nicht, die schafft im Moment nur IMEX - oder eben die immersiven Medien, der Cyberspace. Aber da ist die Auflösung natürlich noch nicht das, was man haben möchte. Ich könnte mir vorstellen, daß sich das klassische Kino mehr in diese Richtung entwickelt - einfach um den Vorsprung zu halten, den ich gegenüber einem verteilbaren Medium wie dem Fernsehen oder in Zukunft auch dem Internet haben muß, das mir zuhause in Filmauflösung und einer entsprechenden Leinwandgröße alles das - einschließlich Sense Around und Toneffekten - auch bieten kann. Ich glaube, da wird das Kino in gewisse Beweisnöte kommen, seinen Vorsprung zu halten.
Nun leben wir in einer Zeit eines gerade zu atemberaubenden technischen Fortschritts, in dem es zumindest schwierig wird, zu glauben, daß ein Medium einen technischen Vorsprung über längere Zeit halten kann. Wenn die kleinen Maschinen zuhause demnächst die gleiche Leistung bringen werden wie die großen Geräte in den Studios und den Filmsälen - kommt dann das Kino, verstanden als das Massenmedium, das es doch heute noch ist - nicht doch in arge Bedrängnis?
PETER KRIEG: Ich glaube, daß das Kino als Kino nicht direkt ein Problem kriegt, nur indirekt: es muß seine Präsentation verändern. Aber Sie müssen immer daran denken: das Kino ist ein soziales Medium. Die Leute möchten 'rausgehen. Das Restaurant kommt nicht deswegen in Gefahr, weil die Fertigküche genauso gut wird wie im Restaurant; ich gehe ins Restaurant aus anderen Gründen. Shopping ist in vielen Bereichen nicht in Gefahr durch Teleshopping. Ich gehe gerne flanieren, ich treffe gerne Leute, ich gehe gerne aus dem Haus 'raus. Zu glauben, daß man alle sozialen Bedürfnisse zurückführen kann auf die heimische Höhle, und dort elektronisch und digital abarbeiten kann, halte ich für einen Irrtum. Der Mensch ist in erster Linie ein soziales Wesen, und er wird sozialen Kontakt suchen, koste es, was es wolle.
Wenn das Kino ihm das nicht mehr gibt, dieses soziale Erlebnis, dann wird er was anderes machen, vielleicht Shopping oder Fußball, es gibt viele Möglichkeiten, was zu tun. Ich glaube, das Kino wird sich verändern, indem es diese soziale Bedürfnisse verbindet mit einem Medienereignis. Ob das dann mehr in die IMEX-Richtung geht oder mehr gen interaktives Spielen und weg vielleicht vom klassischen Erzählkino, oder ob dieses als eine dritte Säule weiterentwickelt wird - das Theater ist ja auch nicht ausgestorben durch das Kino -, das entscheidet sich daran, wie flexibel das Kino auf eine sich verändernde Medienlandschaft reagiert. Aber ums Kino selbst ist mir nicht bange; ich sehe auch lieber einen Film im Kino.
Wenn Sie tatsächlich Kinoleinwände zuhause haben, dann tritt etwas ein, was die meisten Leute nicht bedacht haben: Wenn ich eine Großleinwand habe, ist meine physische und psychische Inanspruchnahme wesentlich größer. Ich kann z.B. stundenlang vor dem Fernseher sitzen, aber ich könnte nicht genauso lang jeden Tag im Kino sitzen. Der durchschnittliche Fernsehkonsum liegt bei vielen Leuten zwischen 4 und 6 Stunden am Tag, das würden sie im Kino physisch nicht schaffen, weil sie einfach viel zu sehr beansprucht werden. Wenn ich eine Großleinwand zuhause habe, wird diese Leinwand mich aus dem Hause treiben. Ich werde vielleicht selektiver sehen, aber ich werde es nicht lange aushalten. Entweder ich kann dieser Leinwand widerstehen und mache nicht an - oder ich kann ihr nicht widerstehen, dann wird sie mich hinaustreiben. Wenn das auch noch mit Sense Around und all diesen optischen und akustischen Reizen geschieht - und dann vielleicht auch noch mit mehreren Personen in einer Wohnung, die vielleicht auch andere Bedürfnisse haben, die sich vielleicht unterhalten wollen - dann wäre die Hölle los.
Wir wissen aber doch auch, daß der technologische Fortschritt die biologische Weiterentwicklung der Menschen zumindest auf eine gewisse Weise beeinflußt. So gehen wir heute ja etwa davon aus, daß Goethe es in einem Wagen auf der Autobahn nicht aushalten könnte, weil er die Geschwindigkeit physisch nicht verkraftet hätte. Es gibt, so scheint es, evolutionäre Fortschritte, die in relativ kurzer Zeit mit unseren Wahrnehmungsapparaten geschehen, deren weitere Entwicklung wir heute noch gar nicht absehen können.
PETER KRIEG: Richtig. Doch ich glaube nicht, daß die Effekte beliebig steigerbar sind, weil unser Wahrnehmungsapparat schon sehr lange Zeit relativ konstant funktioniert. Unsere Gene werden sich wahrscheinlich nicht so schnell ändern wie die Technik. Ich will gar nicht prophezeien, was da passiert, ich denke nur, daß man nicht glauben sollte, daß bei einer Veränderung der Medien der Konsum, wie wir ihn jetzt haben, einfach linear fortschreiten wird. Wir werden ganz anders mit Medien umgehen. Fernsehen, zum Beispiel, wie wir es jetzt kennen, wird sich auflösen in ganz unterschiedliche Tätigkeiten. Eine Tätigkeit wird sein, Filme zu gucken auf großer Leinwand und in hoher Auflösung; eine andere Tätigkeit wird sein, auf kleinen Panels die Nachrichten zu holen, zu arbeiten oder vielleicht auch mal ein Spiel zu spielen. Das heißt, das Ganze wird sich sehr zerfasern, weil ja auch durch die neuen Medien viele verschiedene Anwendungen möglich sind, die alle eins vereint, nämlich das Netzwerk und der Schirm, vielleicht noch der Computer, den ich dazu brauche. Fernsehen wird nicht länger einfach ein Unterhaltungsmedium sein, mit dem ich nur eines machen kann, nämlich davor sitzen und glotzen.
Trennung zwischen Kreativität und Technik
Ich möchte gerne noch einmal zurückkommen auf die veränderte oder sich verändernde Produktionsweise von Filmen. Das hat ja auch sehr viel mit Ihrem Hause zu tun - dem High Tech Center mit dem geplanten breitbandigen Anschluß an die Infobahn, an dem Sie arbeiten. Sehen Sie in diesen und anderen Entwicklungen eine zukünftige Alternative zur Produktionsweise der Major Companies in Hollywood - eine Alternative, die es auch kleineren und niedriger budgetierten Produktionen möglich macht, technisch ausgereifte Filme herzustellen?
PETER KRIEG: Hollywood arbeitet bereits heute so, wenn auch ohne Netz. Wie bei allen großen Institutionen lagert sich mit der Zeit der kreative Bereich in kleinere Einheiten aus. Wir nennen das hier die Trennung von Infrastruktur und Anwendung. Das klingt ein wenig neutral, ist aber eigentlich die Trennung zwischen Kreativität und Technik oder Kreativität und Verwaltung. Die großen Studios genau wie die Fernsehanstalten bei uns produzieren immer weniger kreative Inhalte. Je kreativer etwas sein soll, desto eher und desto mehr müssen sie es auslagern, weil die Apparate dazu nicht mehr in der Lage sind. Deswegen sind die amerikanischen Filmstudios eigentlich nur noch Servicestudios. Dort werden Stoffe entwickelt, für die werden dann weitgehend von außen Produzenten gesucht, Schauspieler, kreative Teams, und dann hat das Studio einen Servicebereich, wo Hallen vermietet werden, Post-Production-Facilities und so weiter. Wie das früher in der Anfangszeit der Studios war, daß die Regisseure angestellt waren, die Schauspieler 5-Jahres-Verträge hatten, die Cutter festangestellt waren, das gibt es heute nicht mehr. Was wir machen, ist genau dieses im digitalen Bereich auch anzuwenden und noch ein bißchen voranzutreiben.
Diese Trennung von Infrastruktur und Anwendung ist eigentlich ein typisches Merkmal dessen, was ich die "zweite Generation" in der Entwicklung einer Industrie nenne. In der ersten Generation sitzen die Leute, die das erfunden haben und entwickeln, die müssen Infrastruktur und Anwendung zusammen haben. Gutenberg war Verleger, er hatte eine eigene Druckerei und hat den Buchdruck erfunden, und noch viele Verleger danach mußten eigene Druckereien haben. Heute ist es so, daß kein Verleger, der einen Verlag gründet, überhaupt daran denkt, sich eine Druckerei ans Bein zu binden. Die ersten Filmproduzenten hatten nicht nur eigene Kopierwerke, die hatten auch eigene Kamerawerke und Projektorwerke und mußten ihren Film selber zuschneiden, weil es gar keinen Standard gab, und haben dann auch noch die Filme dafür produziert. Heute würde doch keiner, der einen Film produziert, daran denken, ein Kopierwerk aufzumachen. Pioniere im digitalen Bereich wie die Computer Film Company in London zum Beispiel, die als erste damit angefangen haben, Filme in Filmauflösung zu digitalisieren und zu bearbeiten, mußten sich die Software selber schreiben, teilweise die Rechner bauen, die Scanner, die Filmbelichter bauen. Heute sagen die genauso wie alle anderen: Wir nehmen das Zeug von der Stange. Wir benutzen zwar noch unsere Software, in dem Fall sogar noch die alten Rechner, aber ansonsten trennen wir das auch. Wir wollen hier gar nicht investieren, weil die Entwicklung ja so schnell geht, daß sich das gar nicht amortisieren könnte.
Genau dieser Prozeß ist das, was wir hier unterstützen wollen. Wir wollen eine Art Brüter sein, denn in Deutschland ist die Industrie ja noch so jung. Wir wollen kleine Firmen ausgründen - in Hollywood nennt man sie Boutiquen, denn da ist dieser Trend schon im vollen Gang -, wo ein paar Kreative sich zusammenschließen und sagen: Unsere Kreativität ist eigentlich unser Kapital, nicht die Maschinen. Die Maschinen holen wir uns bei Support-Centern wie dem High Tech Center. Vielleicht haben wir selber noch einen PC und Workstations, aber wir haben keine Renderingrechner mehr, keine Großrechner, keine Motion-Control oder was immer ich an Peripherie, die gut und teuer ist, heute brauche. Wissen Sie, es ist ja so: Nicht nur die Computer werden billiger und die Softwarepakete, sondern damit wird auch die Zahl der Benutzer größer und die Ansprüche an das, was ich damit realisieren kann. Das heißt auch, der kreative Wettbewerb wird größer. Um heute einen Film zu berechnen, der digital entsteht, brauche ich mehr Zeit als vor drei Jahren, obwohl die Computer viel schneller geworden sind. Die Anforderungen wachsen wesentlich schneller, als die Technik sich entwickelt.
Die Vorstellung, daß der Fortschritt von der Technik getrieben wird, ist ein vollkommener Irrtum; er wird eindeutig von der Anwendung gezogen, während die Technik meilenweit hinterher hinkt. Wir könnten hier die größten Rechner der Welt installieren, das wäre für große Projekte immer noch zu klein. Denken Sie an Firmen wie Pixar, die Toy Story hergestellt haben. Die schaffen sich zur Zeit Rechner oder Cluster von Rechnern in der Größenordnung von 700 bis 1000 Prozessoren an. Solche Dinger stehen vielleicht in ein Paar Forschungsinstituten der Armee, aber sonst kann sich das kein Schwein leisten. Und selbst das erlaubt noch lange nicht Echtzeit; noch nicht einmal digitale Haare können sie dort in halbwegs passabler Zeit berechnen, so drastisch sind da die Anforderungen.
High-Tech heißt, die Technik verschwinden zu lassen
Wenn nun die Kreativität einerseits scheinbar keine Grenzen kennt, die angelegt wäre in den technologischen Möglichkeiten, so hat sich doch andererseits die künstlerische Kreativität zumeist erst entfaltet an den Grenzen des Möglichen. Die Frage wäre dann heute beispielsweise, ob es noch eine künstlerische, avantgardistische Sprache im Film geben kann, die sich unterscheidet von dem, was wir z.B. bei MTV oder von anderen kommerziellen Formaten geboten bekommen.
PETER KRIEG: Die Frage ist natürlich immer, wer definiert, was Avantgarde heißt. Avantgarde ist ja in der Regel selbst ernannt. Wenn man danach geht, ist, glaube ich, das, was in MTV oder im Internet oder Gamebereich läuft die Avantgarde. Das ist heute sehr schwer festzustellen. Mein Begriff von Avantgarde kommt aus der analogen Zeit, in der die Technik bei der Avantgarde keine große Rolle mehr spielte. Heute wird Avantgarde eher darüber definiert, wer neue Techniken am kreativsten oder am komplexesten benutzt. Dieser gegenwärtige Avantgardebegriff entspricht einer Zeit, die sehr stark technophil ist - und wir kommen wieder in eine technophobere Phase, wo man Avantgarde wieder anders definierten kann: wer braucht am wenigsten Technik, um irgendwas zu sagen. Ich glaube, das ist ein Schweinezyklus.
Für mich im High Tech Center ist High-Tech eigentlich etwas, was die Grenzen, an die ich als Filmemacher immer stoße, verschwinden lassen sollte. Sie sagen zurecht, Kino ist immer ein technisches Medium; bis hin zum Dokumentarfilm muß ich mich immer mit Technik herumschlagen, und meistens ist sie zu schwer und zu groß und zu unempfindlich, was Licht oder Geräusche angeht. Wir empfinden Technik immer als eine Einschränkung. High-Tech heißt für mich, daß die Technik uns von den Einschränkungen befreit und damit verschwindet.
Ich versuche den Leuten hier - auch den Architekten, die High-Tech immer verstehen als einen architektonischen Stil - zu sagen: Im High Tech Center heißt High-Tech, daß die Technik verschwindet; daß der Kreative befreit ist von den Einschränkungen der Technik und sich direkt mit seinem Gegenstand, nämlich daß er ein künstlerisches Werk schaffen will, beschäftigen kann. Es wird auch in unseren Suiten keine Rechner geben. Da steht vielleicht ein Monitor, das ist schon ein Flachbildschirm, da steht vielleicht eine Tastatur, vielleicht zwei Lautsprecher und eine Maus, alles andere ist da gar nicht mehr drin; da brummt es auch nicht mehr.
Aber war es nicht immer so, daß die spannendsten und auch irritierendsten künstlerischen Aussagen sich durch die Auseinandersetzung mit der Grenze des jeweiligen Mediums ergeben haben? Heißt das, wir müssen heute unser traditionelles Verständnis von Kunst und künstlerischer Tätigkeit vollkommen neu definieren?
A. Ja, die Avantgarde hat sich ja oft darin verstanden, daß sie sagt, wir wollen die technischen Möglichkeiten, die wir haben, nicht nur ausreizen, sondern wir wollen sie auch überschreiten. Das würde ich als eine technokratische Avantgarde bezeichnen, oder freundlicher gesagt, als eine technizistische. Aber man kann natürlich auch sagen: die Technik ist ein bestimmtes Werkzeug, und ich benutze es, um Dinge zu tun, denen man nicht unbedingt die Technik oder ihre Grenzen mehr ansieht. Ich glaube, Maler, die ja mit einem relativ geringen technischen Aufwand umgehen, haben nicht dieses Problem, daß sie sagen, wir wollen die Technik, die wir zur Verfügung haben, ausreizen und möglichst ihre Grenzen überschreiten, denn die haben eigentlich diese Grenzen nicht; die haben höchstens die Grenzen der Leinwand, und da gab und gibt es natürlich Bemühungen, sie zu überschreiten.
Ich glaube, das ist ja auch ein Phänomen der technischen Medien selber, daß sich die Leute, weil sich ihnen soviel Hindernisse in den Weg stellen, auch sehr fixieren auf ihre Möglichkeiten. Aber ich glaube eben auch, daß es sicher wieder eine Zeit geben wird, in der - so wie bei den High-Fi-Freaks, die wieder Röhrenverstärker benutzen - es in manchen Filmen sozusagen ein Gütezeichen sein wird, sagen zu können, jedes Bild ist noch in einer richtigen Kamera entstanden; da sind keine technischen Präservationsmittel drin, das ist unverändert analog. Ich glaube, das gehört auch zu den Pendelausschwüngen, die in dieser ganzen Geschichte drin sind: sich abzukehren von diesem ganzen Hype darüber, was alles mit der Technik möglich ist.
Wir leiden natürlich selber darunter, weil wir diesen Hype mit schüren, der dann auch wieder auf uns zurückschlägt. Ich versuche, dieses Projekt als ein nicht-technokratisches zu verstehen. Für mich ist das Spannende hier nicht der Umgang mit der Technik sondern mit Hilfe der Technik neue Produktions- und kreative Arbeitsmöglichkeiten zu entwickeln, neue Methoden zu entwickeln, wie ich mit Hilfe von Netzen, von Computern ganz anders Medien produzieren kann.
Ein Schwerpunkt dafür bei uns ist das, was wir das "Editing Theater" nennen. Man hat beispielsweise einen Raum, in dem es eine Großprojektion in sehr hoher Auflösung gibt und in dem an vier verschiedenen Workstations Leute, die verschiedene Abteilungen in der Filmproduktion betreuen, zum Beispiel Cutter, Special Effects, Sound, mit dem Regisseur und seinen Assistenten zusammensitzen und sagen: Nun laßt uns mal die vorgefertigen Teile aus dem Dreh oder dem Rohschnitt interaktiv in Echtzeit zusammenfügen. Wenn wir hier nun eine Änderung machen in einem Bereich, beispielsweise im Schnitt - die ja früher immer sequentiell nachvollzogen werden mußte, bevor man wieder zusammenkam -, dann zieht man die im Ton sofort nach und die Frau im Special Effect macht sofort den nötigen Effekt dazu, und ich habe gleich das Ergebnis. Diese Parallelisierung von Produktion und Postproduktion ist gegenüber der alten sequentiellen Arbeitsweise zum Beispiel eine neue kreative Möglichkeit.
Man kann so etwas auch einsetzen um Prototypen herzustellen. Ein virtuelles Studio etwa eignet sich doch dafür, ein Drehbuch innerhalb von einer Woche mit speziell trainierten Schauspielern - die auch keine Drehbücher mehr lernen sondern einfach einen Knopf im Ohr haben -, in Kulissen, die aus der Datenbank kommen, in einen 1-1 Prototyp umzusetzen. Dann kann ich Feintuning machen, kann das Script verändern, kann das solange anfassen und testen, wie ich will, denn ich habe ja ein wirkliches lineares Medium erstellt. Ich kann das mit Publikum testen, mit meinem Produzenten, und wenn ich dann nach einer bestimmten Zeit das Gefühl habe, das funktioniert, der Film trägt das, was wir von ihm erwarten - ein Film muß ja funktionieren, die Leute müssen ja an den richtigen Stellen lachen oder weinen -, dann sage ich, OK, jetzt ist er fertig zum Drehen, jetzt dreh' ich ihn. Bei Produktionen, die fünfzig oder siebzig oder hundert Millionen Dollar kosten, die am Drehtag 100.000 Mark kosten, kann man sich vorstellen, was für enorme Verluste entstehen, wenn ich halb in der Produktion plötzlich merke, da ist eine Schwäche im Drehbuch. Bei "Waterworld" zum Beispiel hat man nach der Hälfte der Drehzeit gemerkt, daß es gar keinen Bösewicht im Film gibt, den man aber notwendigerweise braucht, um die Helden zu stärken. Und dann hat man unheimlich viel nachdrehen und neu entwickeln und Drehbuch schreiben müssen. Und nicht zuletzt deswegen ist diese Produktion dann im Budget auf über 250 Millionen Dollar davongelaufen - und die sind noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen, weil der Film relativ erfolgreich war. Aber viele Filme waren letztlich dann auch ein Flop, weil sie einfach nicht funktioniert haben.
Eine letzte Frage an den Dokumentarfilmer Peter Krieg: Glauben Sie noch an die Möglichkeit authentischer Bilder?
PETER KRIEG: Das ist natürlich eine Reizfrage, auf die ich immer gleich zurückfrage: Was halten Sie denn für authentisch? Authentizität ist für mich eine Frage von Inszenierung. Authentisch ist ja immer das, was der Betrachter als authentisch akzeptiert. Und jeder hat ja auch eine andere Vorstellung von Authentizität. Authentisch im Sinne von echt ist das, was die Nachrichten jeden Abend inszenieren; und dazu gehört auch die Haarfarbe des Nachrichtensprechers und das gelbe Blatt Papier, das er in der Hand hält, obwohl er vom Teleprompter abliest - aber keiner darf wissen, daß er vom Teleprompter abliest, weil die Leute meinen, wenn etwas auf dem Papier steht, ist es authentischer und zuverlässiger. Authentizität ist für mich eine Inszenierung. Denken Sie an Woody Allen, der, wenn er etwas Dokumentarisches ausdrücken will in einem Film, die Kamera wackeln läßt. Man weiß, daß die Leute Wackelbilder als authentischer einschätzen als Nicht-Wackelbilder, weil sie aus ihrem Vorwissen über das Kino wissen, wenn es nicht wackelt, ist die Kamera auf einem Stativ, und Stativ heißt Spielfilm; wenn es wackelt, dann ist das ein Kameramann, der da rumrennt und das ist dann authentisch.
Ich glaube an unser Bedürfnis nach Authentischem. Und ich glaube auch an eine große Herstellungsindustrie für das Authentische. Aber ich bin etwas geschädigt, vielleicht auch als Dokumentarfilmer berufsgeschädigt, mit diesem Begriff so arglos umzugehen, als daß ich nicht wüßte, Authentizität ist eine der Fiktionen, die wir uns selber machen, um an Dinge zu glauben, die wir für beweisbar halten, die es aber gar nicht sind. Und Bilder gehören zu den Dingen, die absolut nicht beweisbar sind - und auch nichts beweisen. Bilder sind eben Bilder.
Aber da Bilder für uns so wichtig sind, weil wir die Welt durch Bilder erfahren, möchten wir natürlich auch das Gefühl haben, daß das, was wir gesehen haben, echt ist, beweiskräftig, weil wir unsere Orientierung daher beziehen, unser lokales Handeln. Was wissen wir denn vom Krieg in Bosnien oder in Somalia oder sonstwo, wenn nicht durch Bilder aus den Medien. Wir erfahren vielleicht neunzig Prozent dessen, was wir zu wissen glauben, aus Medien und aus Bildern, und darauf gründen wir unsere Orientierung. Wenn wir da nicht zumindest die Vorstellung entwickeln können, daß wir diesen Bildern glauben dürfen, wenn wir sie nicht als authentisch akzeptieren würden, hätten wir enorme Probleme, uns überhaupt zu orientieren und zu handeln.