Hiroshima: "Der Asphalt wird brennen. Chaos wird herrschen."
Grave of the Fireflies. Bild: Toho / StudioCanal
- Hiroshima: "Der Asphalt wird brennen. Chaos wird herrschen."
- Es gibt keine präatomare Normalität, kein Zurück in ein Vor-Hiroshima
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Das Trauma von Hiroshima: Wie Japans Kino die Atombombe als Zivilisationsbruch erinnert – anders als mit politischen Phrasen.
Am 6. August 1945 warfen die USA eine Atombombe auf Hiroshima ab und drei Tage später auf Nagasaki. Die Zeugenaussagen von Überlebenden erzählen von einem nicht fassbaren, entsetzlichen, apokalyptischen Ereignis.
An diesem Tag war es furchtbar heiß. Kaum zu glauben, wie heiß es war. Nicht die kleinste Wolke war zu sehen, es war ein strahlend klarer Himmel. (…) Plötzlich um Viertel nach acht erschienen drei Bomber über Hiroshima. Einer sollte die Bombe werfen, ein anderer sollte fotografieren. Aus dem einen Flugzeug fiel irgendetwas an einem Fallschirm heraus. Perfekt sah das aus.
Wir beobachteten den weißen Fallschirm, der hinten aus dem Flugzeug herausfiel. Ich blickte hoch zu dem Flugzeug, aus dem die Atombombe fiel, und hielt die Hand schützend über die Augen, weil die Sonne so blendete. (...) Und plötzlich war da ein großer, riesiger Feuerball, der sich donnernd in alle Richtungen ausdehnte –pschsch bong.
Im ersten Moment dachte ich, sie hätten direkt auf mich gezielt. Ich warf mich auf den Boden. Im selben Moment war ein ohrenbetäubendes Brüllen in der Luft, das bis in die Eingeweide der Erde hinunterreichte. Ich weiß nicht, wie lange ich dort bewusstlos lag, aber als ich wieder zu mir kam, war aus dem sonnigen Morgen eine dunkle Nacht geworden. Meine Kamaradin Takiko Hunaoka, die neben mir gestanden hatte, war wie vom Erdboden verschwunden. Alle waren weg. Und ich lag am Boden, mit dem rechten Bein und dem rechten Arm nach oben.
Das war, als hätte die Bombe die Erde selbst zerrissen. Tatsächlich aber explodierte sie 580 Meter über dem Shima-Krankenhaus, ganz in der Nähe von dem Ort, wo man heute noch die Ruine des "Atomic Domes" sehen kann.
Da oben über dem Krankenhaus explodierte sie, aber ich dachte, sie wäre heruntergefallen und hätte die Eingeweide der Erde zerrissen. Denn die Erde bebte. Und als ich wieder zu mir kam, stellte ich fest, dass mich die Druckwelle mitgerissen hatte und ich gut fünf Meter von dem Platz entfernt lag, an dem ich vor der Explosion gestanden hatte.
Als ich meine Hände ansah, waren sie wie Pranken. Die Haut löste sich ab und Teile hingen in Fetzen herunter. Meine beiden Hände waren auf ihre doppelte Größe angeschwollen. Weil mein Gesicht so schmerzte und brannte und auch weil es so furchtbar roch, griff ich nach meinem Tuch und hielt es vor mein Gesicht, aus dem kleine gelbe Tropfen fielen.
Als ich sie abtupfen wollte, löste sich die Haut in meinem Gesicht ab. Oh, also war auch mein Gesicht verbrannt. Dann schaute ich hinunter auf meine Füße. Auch an den Beinen waren Verbrennungen und die Haut löste sich ab.
Miyoko Matsubara, Überlebende, Zeitpunkt.ch
Was Miyoko Matsubara hier erzählt, ist vielleicht eindringlicher, als es die vielen Analysen zum diesjährigen Gedenktag schaffen. Für ganz Japan war es ein Trauma. Rüdiger Suchsland stellte vor zwei Jahren die Frage, wie das japanische Kino mit dem Ultra-Horror-Zivilisationsbruch umgegangen ist. Eben anders als mit politischen Phrasen, so sein Ansatz. Der ist noch immer aktuell. Die Red.
Die Atombombe im japanischen Kino
Einen noch wichtigeren Platz als im US-Kino nimmt die Atombombe im japanischen Kino ein – aus naheliegenden Gründen. Wie andere Kulturträger wirkt das Kino als zentrales Medium der Verarbeitung des Unfassbaren der Erfahrung von Hiroshima und Nagasaki sowie ihrer Folgen. Zugleich waren in Japan frühe Reaktionen auf diese Erfahrung kaum möglich, weil das Land bis 1952 unter massiver Militärzensur litt.
Mehr als in den USA, in der die militärische Logik und das Verhältnis zwischen einzelnen Menschen und staatlichen Institutionen im Zentrum stehen, versuchen sich japanische Filme von Anfang an an tiefgründigem Nachdenken über das Leiden und die Folgen von Hiroshima.
Die Kinder Hiroshimas: "Hibakusha cinema"
Bereits unmittelbar nach Ende der US-Militärzensur, die das Behandeln des Kriegs, des japanischen Militärs und der zivilen Opfer in Japan verbot, entstanden zwei wichtige Filme zum Thema: Kaneto Shindos Children of Hiroshima (1952) ist ein eindringliches Drama, das sich mit den langfristigen Auswirkungen der Atombombe beschäftigt.
Im Zentrum steht eine Lehrerin, der vier Jahre nach dem Krieg in ihren Ferien nach Hiroshima zurückkehrt. Sie begegnet einem elternlosen Jungen, der sie begleitet und im Gegensatz zu ihr Unschuld und Zukunft verkörpert.
Zurückhaltend und undramatisch zeigt der Film die überwältigende Zerstörung der Stadt, aber noch mehr die physischen und die emotionalen Folgen für die Überlebenden, die "Hibakusha".
Es sind stille und im ersten Anschein banale Szenen, die hier die stärkste Wirkung haben: Als sie ein silber-strahlendes Flugzeug am Himmel sieht, hält die Hauptfigur Takako kurz erstarrt inne, während der Junge begeistert zum Himmel blickt.
Das ist eine herzzerreißende Reminiszenz an die "Enola Gay", die die Bewohner Hiroshimas am Morgen des 6. August 1945 ähnlich staunend am wolkenlosen Himmel betrachteten: Es war äußert ungewöhnlich, dass amerikanische Flugzeuge nicht in großen Bomberverbänden, sondern einzeln auftauchten.
Der bemerkenswerte Hiroshima (1953) von Hideo Sekigawa ist ein Dokumentarfilm der stärker auf realistische Schilderung der Ereignisse und ihrer Folgen setzt.
Hiroshima stellt das Leiden der Opfer und die langfristigen gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Verstrahlung ins Zentrum und zeigt etwas, das im Westen bis heute nicht wirklich verstanden wurde: Die Bombe erscheint in Japan nicht als Kriegsfolge und Konsequenz eigener Handlungen oder moralischer Schuld. Im Gegensatz zu Krieg und Tod ist sie etwas, über das niemand irgendeine Kontrolle hatte, etwas gegen das man nichts tun konnte. Wie ein Akt Gottes.
Wer sind die Verrückten?
Am ehesten sträubt sich gegen diese Haltung der Schicksalergebenheit der Regisseur Akira Kurosawa: Nach einer eher vorsichtigen Annäherung in Report of a Living Beeing (1953) erzählt er in Ein Leben in Furcht von einem Einzelnen.
Der von Toshiro Mifune gespielte ältere Patriarch soll von seiner Familie für unzurechnungsfähig erklärt werden, weil sie fürchtet, durch seine "wahnhaften Ängste" in den Ruin getrieben zu werden. Er will seine Gießereifabrik gegen eine Farm in Brasilien eintauschen. Hinter der Maske des mürrischen, wütenden Alten ist Mifunes Figur von Angst getrieben.
Das Thema ist klar umrissen: "Sind wir, die wir in einer verrückten Welt unbeirrt bleiben können, die Verrückten?", fragt eine Figur. Spöttisch beschreibt der junge Schwiegersohn die nukleare Zerstörung und kann als Vertreter der Jugend die Erfahrung bereits nicht nachvollziehen:
"Vater, wenn du so viel Angst hast, warum ziehst du nicht auf einen anderen Planeten?"
Zweimal noch kehrte Kurosawa direkt zu diesem Lebensthema zurück: So etwa In Träume und Rhapsodie im August.
An Kurosawas Zugang knüpft auch Jahrzehnte später der preisgekrönte Black Rain (1989) von Shohei Imamura an.
Der Film erzählt die Geschichte einer Familie, die den Atombombenabwurf auf Hiroshima überlebt hat, aber mit den gesundheitlichen und sozialen Folgen der Strahlung konfrontiert ist.