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Historische Anklage gegen Trump birgt Gefahr des Bürgerkriegs

Wahlen 2024: Donald Trump tritt erneut als Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner an. Bild: Jon Tyson / Unsplash Licence

Der Ex-Präsident spricht von politischer Verfolgung, Progressive feiern die Entscheidung als Sieg des Rechtsstaats. Droht Trump Gefängnis? Über einen Stresstest und schmutzige Geheimnisse.

Der Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg von Manhattan hat in New York Anklage gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump erhoben [1]. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten, dass sich ein Ex-Präsident einem Strafverfahren stellen muss.

Die Anklage dreht sich um Schweigegeld [2] in Höhe von 130.000 Dollar, das der damalige Präsidentschaftskandidat für die Republikaner Trump der Porno-Filmschauspielerin Stormy Daniels 2016 zahlte. Schweigegeldzahlungen sind in den USA zwar nicht verboten. Jedoch wurden die Ausgaben als Rechtskosten verschleiert. Damit sei das Wahlkampfgesetz gebrochen worden.

Die Anklageschrift der Grand Jury listet nach CNN-Angaben zudem insgesamt 30 Punkte wegen Unternehmensbetrug [3] auf, dessen Trump beschuldigt wird.

Trumps Anwältin Susan Necheles sagte, er werde voraussichtlich am Dienstag zu der Anklageerhebung vor Gericht erscheinen [4]. Dann werde er sich zu den Vorwürfen äußern. Die New Yorker Polizei wurde angewiesen, sich am heutige Freitag zum Dienst zu melden und auf "ungewöhnliche Unruhen" vorbereitet zu sein, wie aus einem Memo hervorgeht, das NBC vorliegt [5].

Es ist unklar, ob Trump bei seinem Erscheinen Handschellen angelegt werden. Sicher ist, dass man ihn erkennungsdienstlich erfasst (u.a. werden Fingerabdrücke genommen) und seine Daten für eine Verhaftung wegen einer Straftat verarbeiten wird.

Trump griff Bragg und die Demokraten nach der Bekanntgabe scharf an und sprach von einer "politischen Anklage" [6]. Sein Wahlkampfteam teilte mit, dass es sich um das "schwärzeste Kapitel in der Geschichte der Vereinigten Staaten" handele. Trump sagte weiter:

Ich glaube, dass diese Hexenjagd massiv auf Joe Biden zurückschlagen wird. Unsere Bewegung und unsere Partei – vereint und stark – werden zuerst Alvin Bragg besiegen, und dann werden wir Joe Biden besiegen.

Von seinen Anhänger:innen in der Republikaner-Partei wurde Trump, der erneut für die Präsidentschaftswahlen 2024 antreten möchte, verteidigt [7]. Selbst sein innerparteilicher Konkurrent Ron DeSantis, Gouverneur von Florida, zeigte sich empört [8] über den Gerichtsbeschluss.

Von progressiver Seite wurde die Entscheidung des Gerichts hingegen als Sieg für den Rechtsstaat begrüßt. Noah Bookbinder, Präsident der Watchdog-Gruppe Citizens for Responsibility and Ethics in Washington (CREW) twitterte [9]:

Wir wissen von Dutzenden Verbrechen, die Donald Trump als Präsident oder als Kandidat begangen haben soll und für die substanzielle Anschuldigungen vorliegen, ohne dass Anklage erhoben wurde. Bis jetzt. Wir können diese Anklagen noch nicht bewerten, aber es ist bereits klar, dass es ein Meilenstein in Bezug auf Rechenschaftspflicht sein wird.

Und Bookbinder fügt hinzu [10]: "Donald Trump hat seine gesamte politische Karriere damit verbracht, sich vor der Verantwortung für seine schamlose Missachtung des Gesetzes zu drücken. Das holt ihn jetzt endlich ein. Die Anklage in New York ist die Erste, die gegen ihn erhoben wird, aber sie wird nicht die letzte sein."

Mögliche Folgen eines Schuldspruchs

Dem 76-jährigen Trump drohen diverse andere Verfahren [11], u.a. wegen Behinderung von Wahlen und Anstiftung zum Angriff auf den Kongress am 6. Januar 2021, Versuchen, das Wahlergebnis 2020 im Bundesstaat Georgia zu kippen, Aufbewahrung geheimer Unterlagen, wegen unterschiedlicher geschäftlicher Aktivitäten und einer Verleumdungsklage der Schriftstellerin Elizabeth Jean Carroll hinsichtlich einer angeblichen Vergewaltigung, die Trump bestreitet.

Es gibt aber durchaus auch Bedenken von Trump-Kritikern, die auf die Folgen eines Schuldspruchs hinweisen. So sei zwar zweifelsfrei aus rechtlichen Gründen geboten, den Ex-Präsidenten vor Gericht zu stellen, so Linguist, politischer Kommentator und Dissident Noam Chomsky im Interview mit Telepolis [12] vor einigen Monaten. Doch die Auswirkungen müssten bedacht werden:

Beim derzeitigen Zustand, dem gesellschaftlichen Kollaps und der chaotischen Verhältnisse, der nicht zuletzt auf den neoliberalen Angriff zurückzuführen ist, könnte ein Schuldspruch durchaus zu einem verheerenden Bürgerkrieg führen. Die Optionen – Verurteilung ja oder nein – sind beide schlecht. Die Frage, die man sich stellen muss, ist, welche die weniger schlechte ist.

Auch der ehemalige Arbeitsminister in der Regierung von Bill Clinton, Robert Reich, sieht diese Gefahren. So sagte Trump [13] in seiner ersten Wahlkampfrede im texanischen Waco letzten Samstag vor Tausenden von Anhänger:innen:

Sie sind nicht hinter mir her, sondern hinter Euch. Aber Ihr werdet Recht bekommen und stolz sein.

Trump arbeite, so Reich [14], zunehmend daran, sich und seine Fans zu einer "Wir"-Einheit zusammenzuschweißen – und jeden, der dagegen sei, als "Die" zu brandmarken.

Aber Trump lässt sich auf diese Fusion nicht ein, um als Präsident wiedergewählt zu werden. Selbst wenn es ihm helfen sollte, die Nominierung der Republikaner zu gewinnen, wird er damit die Parlamentswahlen verlieren, denn es wird alle Republikaner, die sich auf reale Themen konzentrieren oder die befürchten, dass er verrückt ist, abschrecken, und es wird die Unabhängigen zur Flucht bewegen.

Es ginge ihm um etwas anderes: "Das schmutzige kleine Geheimnis von Trumps dritter Präsidentschaftskampagne – das die Medien bisher ignoriert haben – ist, dass er nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden will, zumindest nicht der Vereinigten Staaten, wie sie jetzt organisiert sind."

Vielmehr wolle er Führer einer faschistischen Nation werden. Solange aber die US-Ökonomie nicht in tiefe Rezession falle oder Joe Biden wegen Gesundheitsproblemen nicht antreten könne, werde ihm das nicht gelingen, glaubt Reich.

Trump will und erwartet einen Bürgerkrieg um seine Person, einen endgültigen Zusammenstoß zwischen Amerikanern, die ihn lieben, und Amerikanern, die ihn verabscheuen – zwischen seinen egomanischen Ansichten von Gut und Böse. Ein Bürgerkrieg ist zwar unwahrscheinlich, aber die nächsten anderthalb Jahre werden angespannt sein – ein weiterer Stresstest für die amerikanische Demokratie.

Ex-Staatsanwältin Annemarie McAvoy sagte dem ARD-Studio New York [15], dass Trump für die laufende Anklage für vier Jahre ins Gefängnis kommen könnte. Aber, auch wenn das sehr unwahrscheinlich ist und von den Republikanern wohl nicht geduldet würde, könnte er theoretisch von dort aus für das Präsidentenamt kandidieren.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-trump-anklage-103.html
[2] https://www.nytimes.com/live/2023/03/30/nyregion/trump-indictment-news
[3] https://edition.cnn.com/politics/live-news/trump-indictment-hush-money-stormy-daniels-03-31-23/index.html
[4] https://www.theguardian.com/us-news/2023/mar/30/donald-trump-indicted-stormy-daniels-hush-money
[5] https://www.nbcnews.com/politics/donald-trump/live-blog/live-updates-manhattan-grand-jury-indicted-donald-trump-rcna75172
[6] https://edition.cnn.com/politics/live-news/trump-indictment-hush-money-stormy-daniels-03-31-23/index.html
[7] https://edition.cnn.com/videos/politics/2023/03/31/mike-pence-trump-grand-jury-indictment-reaction-sot-vpx.cnn
[8] https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-03/donald-trump-anklage-reaktionen-ron-de-santis-michael-cohen-kevin-mc-carthy
[9] https://twitter.com/NoahBookbinder/status/1641557132578369538
[10] https://twitter.com/NoahBookbinder/status/1641559676482383877
[11] https://www.theguardian.com/us-news/2023/mar/30/donald-trump-indicted-stormy-daniels-hush-money
[12] https://www.telepolis.de/features/Chomsky-Massenverehrung-fuer-Trump-erinnert-an-Reichsparteitage-unter-Hitler-7185978.html?seite=all
[13] https://www.nytimes.com/2023/03/25/us/politics/trump-waco-texas-speech.html
[14] https://www.commondreams.org/opinion/trump-fascist-campaign
[15] https://www.tagesschau.de/ausland/amerika/usa-trump-anklage-103.html