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Hizbollah-Chef droht Israel mit dem "Anfang vom Ende"

Hassan Nasralla und der oberste Führer Irans, Seyyed Ali Khamenei, 2005. Foto: Khamenei.ir/ CC BY 4.0

Nasrallah unterstützt die Intifada. Mit der Unterstützung radikaler Sunniten durch die USA und Verbündete wie Saudi-Arabien wurde die Zugkraft des iranischen Blocks gefördert

Die Reaktionen, die in Deutschland im Zuge des Jerusalem-Politikums zu sehen waren, sind hierzulande mit einer besonderen Geschichte verwoben. Die Lehre dieser Geschichte heißt: Antisemitismus führt in Deutschland zu Mord und Totschlag.

Die Konsequenz ist absolute Nulltoleranz für Fahnenverbrenner, für Israel-Hass-Rufer und für Hamas-oder Hizbollah-Anhänger, die hierzulande Krawall machen und fanatische Gefühlsbäder nehmen. Sie müssen sich in Deutschland in einer anderen Form äußern. Der Mund ist nicht nur zum Brüllen da. Es spielt schon eine Rolle, wo man mit welcher Art von "Protest" auftritt. Es ist nicht alles gleich.

Der Hamas-Aufruf zur Intifada und Nasrallahs Verstärkung

Hamas-Politbürochef Ismael Haniyya reagierte auf Trumps Erklärung, die in Israel große Freude, aber bei manchen auch Skepsis auslöste, mit dem Aufruf zu einer neuen Intifada. Aus dem Gazastreifen wurden prompt Raketen auf Israel abgefeuert, die Luftwaffe reagierte vehement [1]. Zwar fürchten manche Beobachter in Israel eine mögliche Eskalation [2], aber angesichts der Zersplitterungen innerhalb der Palästinenserorganisationen und "Gefolgschafts"-Problemen wird der Intifada-Aufruf auch nicht besonders hochgefährlich eingestuft.

Es könnte sich auch um eine Drohung ohne bemerkenswerten Rückhalt unter der palästinensischen Bevölkerung handeln, die zur einen Hälfte einen quasi-rituellen Charakter hat und zum anderen das ziemlich ramponierte Image Haniyyas wieder aufmöbeln sollte.

Bedrohlicher erscheint dagegen die Reaktion von Nasrallah, dem Chef der libanesischen Hizbollah. Er rief [3] zu einer großen Mobilisierung gegen Israel [4] auf und kündete ebenfalls von einer Intifada. Der Unterschied zu Haniyya ist, dass Nasrallah im Syrienkrieg nicht Boden und Standing verloren hat, sondern nur gewonnen hat. Wie es aussieht, nutzt er die Gelegenheit, die ihm Trump durch die Jerusalem-Erklärung bietet, dazu, seine Machtposition und die der Hizbollah zu demonstrieren. Wie weit er damit gehen wird, ist nicht absehbar.

Zu hoffen ist, dass es bei der Aufforderung zum Schuhewerfen [5] bleiben wird. Manche Beobachter erwarten aber Schlimmeres [6]. Laut Times of Israel [7] machte er am Montag in Beirut eine laute Kampfansage Richtung Israel: "Trump’s decision on al-Quds will be the beginning of the end of Israel."

Ein "legitimer" Grund zum Angriff

Kürzlich tauchten in Medien Bilder [8] des Führers der schiitischen Miliz Asaib Ahl al-Haq auf, die zeigen, wie er zusammen mit Hizbollah-Vertretern und iranischen Revolutionswächtern die Golanhöhen aus nächster Nähe [9] an der libanesisch-syrischen Grenze in Augenschein nimmt.

Die Miliz, die im Irak wie in Syrien operiert, ist eng mit Harakat Hezbollah al-Nujaba verbunden [10]und vor allem mit Iran. Letztere Miliz erklärte [11] kurz nach Trumps "Jerusalem-Moment", dass man nun einen "legitimen Grund" habe, um US-Streitkräfte im Irak anzugreifen.

Das ist etwas fadenscheinig. Denn die Führungsfigur von Harakat Hezbollah al-Nujaba, Ahmad al-Asadi, befindet sich schon seit einem Jahrzehnt, seit den Zeiten des Aufstands gegen die US-Besatzung im Irak, im Krieg gegen amerikanische Truppen. Er steht seit 2008 auf der US-Terrorliste. Der Krieg hatte eigentlich nie aufgehört, um ihn wieder aufleben zu lassen, kam Trumps Erklärung gerade recht.

Spannungen mit den schiitischen Milizen

Deren gefährliche Wirkung besteht darin, dass sie den Effekt eines Katalysators in einem spannungsgeladenen Gemisch haben kann. Seit dem Sommer haben sich Spannungen zwischen den schiitischen Milizen in Syrien und US-Streitkräften aufgestaut. Es gab Flugzeugangriffe und Scharmützel auf dem Boden, begleitet von Auseinandersetzungen in den Medien.

Dabei ging es um die Frage, wer den "Wettlauf" zur syrisch-irakischen Grenze gewinnen wird, ob es die schiitischen Milizen oder Verbündete der USA sein würden. Oder um die Frage, wie es um den Anspruch der USA auf eine "Sicherheitszone" auf syrischem Boden, im Süden des Landes, bestellt ist - ungeachtet völkerrechtlicher Maßgaben. Es ging um Einflusszonen und strategische Vorteile. Die schiitischen Milizen gewannen.

Der geopolitische Anspruch dahinter ist, dass die USA und ihre beiden Verbündeten Israel und Jordanien in der Nähe ihrer Grenzen zu Syrien Zonen auf syrischem Boden haben wollten, die frei von schiitischen Milizen sein sollten. Man versuchte dies mit Russland abzusprechen. Über die genauen Vereinbarungen gibt es keine verlässlichen Berichte.Kein Geheimnis ist, dass der Wunsch nach Schutzzonen in einen größeren strategischen Rahmen gehört.

Dessen Ziel ist es, einen sogenannten "iranischen Korridor zu vermeiden", gemeint ist die Verbindung zwischen Bagdad und Damaskus. Das ist die letzte wichtige Linie in einer großen Karte, die ein zusammenhängendes großes Gebiet im Zentrum des Nahen Ostens bezeichnet, in dem Iran nicht nur politisch über beträchtlichen Einfluss verfügt, sondern wo die Regionalmacht auch mit Kommandeuren und Militärfunktionären präsent ist und auf engstens verbündete Milizen bauen kann.

Der Block: die libanesische Hizbollah, die syrische und die irakische

Im Irak kann die iranische Führung auf die Badr-Milizen bauen und auf einen Großteil einer ganzen Menge anderer PMU-Gruppen [12]. Auch die genannte Harakat Hezbollah al-Nujaba ist Teil der PMU und damit Teil der irakischen Streitkräfte. Diese Miliz operiert aber auch in Syrien, wo es neben der bekannten libanesischen Hizbollah auch eine sogenannte "syrische Hizbollah" gibt.

Dazu zählen Beobachter [13] auswärtige Gruppen wie die afghanische Schiiten-Miliz Fatemijun Brigade [14] wie auch genuin syrische schiitische Milizen wie z.B. das 313 Battalion [15].

Je näher man hinschaut, desto unübersichtlicher wird das Bild der verschiedenen Formationen, sie haben aber meist enge Verbindungen zu Iran als Gemeinsamkeit, wenn auch in unterschiedlichen Färbungen und Abstufungen. So besteht natürlich ein Unterschied zwischen der relativ kleinen Harakat Hezbollah al-Nujaba und der libanesischen Hizbollah unter Führung Nasrallahs.

Aber sie sind beide Teile eines größeren Blocks, der sich gegen die USA und Israel und Saudi-Arabien formiert. Das ist die Brisanz hinter Nasrallahs Aufruf, der mit einer ungleich größeren Hebelwirkung und Rückendeckung agieren kann als Haniyya.

Den Auslöser dazu gab nun die Erklärung Trumps. Allerdings: Erwartet wurde eine Zuspitzung zwischen den Blöcken schon länger. Sie deutete sich mit den sukzessiven Niederlagen des IS an und - nicht zu vergessen - der Niederlagen der vom Westen und arabischen Staaten unterstützten dschihadistischen Gegner Baschar al-Assads. An deren Ende steht das Faktum des sogenannten iranischen Korridors "zwischen Beirut und Teheran, via Bagdad und Damaskus".

Die Ortskoordinaten des Korridors sind einem Beitrag von Fabrice Balanche entnommen. Der Franzose ist ein "politischer Geograph", spezialisiert auf Syrien und den Libanon. In seinem historisch unterfütterten, dicht geschriebenen, aber kurzen Beitrag [16] für die US-Denkfabrik Hoover-Institution macht er anschaulich, wie vertrackt die Lage ist.

Der Zulauf des iranischen Lagers aus einem Schutzbedürfnis heraus

Vertrackt ist sie deshalb, weil Balanche in seiner Darstellung den Machtanspruch der Sunniten im Nahen Osten als Schlüssel zum Verständnis der Dynamiken begreift. Da bekanntlich Saudi-Arabien (zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten) der starke arabische Partner ist, auf den die USA und Israel Hoffnungen setzen, wird die Sache kompliziert.

Denn, so erklärt es Balanche, der Zulauf, den das iranische Lager in den letzten Jahren bekommen hat, verdanke sich zu einem wesentlichen Teil einem Schutzbedürfnis vor dem hegemonialen Machtanspruch von Sunniten.

Im Irak, in Syrien und im Libanon dominieren iranische Verbündete; die Leute unterstützen sie aus Angst, weil sie so eingestellt sind, oder aus Sympathie. Wenn der Westen den Einfluss der Islamischen Republik (Iran, Einf. d. Verf) bekämpfen will, so muss er die grundlegenden Ursachen kennen, die mehr und mehr libanesische Christen, irakische Schiiten und syrische sunnitische Araber in das iranische Lager treibt.

Fabrice Balanche [17]

Paradoxerweise sei der theokratische Iran zu einem Beschützer von Nicht-Sunniten und säkularen Sunniten gegen den Dschihad geworden. Das gelte auch für Christen und andere Minderheiten in den Teilen des Nahen Ostens, in dem radikale Sunniten dominieren. Nach dem Versagen des arabischen Nationalismus, wie ihn Nasser oder die Baathpartei in Syrien und im Irak entwickelt hatten, habe mit dem Aufstieg Saudi-Arabiens eine "Re-Islamisierung" der Gesellschaften im Nahen Osten begonnen, dessen "oberste Stufe" Balanche im IS sieht.

Für die Minderheiten - Schiiten und Christen - ist die Entwicklung des politischen Islam besorgniserregend. Der Säkularismus des syrischen Regimes, selbst wenn es von Alawiten dominiert ist, war eine Schutzgarantie für Minderheiten und sogar für säkulare Sunniten.

Das erklärt, warum Baschar al-Assad noch immer Unterstützung in der syrischen Bevölkerung hat, Sunniten eingeschlossen. Im Libanon kam die Gefahr vom Islamischen Staat. Dazu kam, dass syrische islamistische Rebellen die meisten Christen, auch wenn sie anti-syrisch waren, auf die Seite der Hizbollah drängten, was dazu beitrug, dass Michel Aoun 2016 zum Präsidenten im Libanon gewählt wurde.

Konfessionelle Minoritäten und säkulare Sunniten kommen Iran näher, weil sie Schutz vor einer sunnitischen Agenda oder vom radikalen Islam brauchen. Unglücklicherweise war der Westen nicht dazu in der Lage, sie zu beschützen. Wir sind noch immer sehr naiv, wenn es um die Politik des sunnitischen Islams geht.

Fabrice Balanche [18]

Iran würde von der Misere und der Unsicherheit und der Furcht vor der sunnitischen Hegemonie profitieren. Dagegen zu arbeiten, sei ein langer Prozess für den Westen. Er müsste damit anfangen, die Vertreter des sunnitischen Islam dazu zu ermutigen, "ihren auf Dominanz ausgerichteten Charakter aufzugeben und muslimische Staaten, dass sie religiöse Referenzen aus ihrer Gesetzgebung streichen.

Konsequenter Säkularismus als langer Lösungsweg

Ebenso müssten Auflagen gestrichen werden, die notwendig machen, dass der Islam Staatsreligion ist und der Staatschef ein Muslim sein muss, zivile Ehen müssen gestattet werden. Der Staat müsse wieder als Schutzgarant verstanden und empfunden werden, so dass nicht-staatliche Akteure ihre Anziehungskraft verlieren, so der weite Lösungsweg, den Balanche sieht.

Seine Geographie der Blöcke und der Entwicklungen Im Nahen Osten hat den Vorzug, dass sie sich nicht mit Hass allein als Erklärung für die Situation begnügt. Balanche ignoriert nicht, dass der Aufruf zum Dschihad von al-Qaida und anderen Extremisten und die "Achse des Widerstands" wesentlich mit anti-israelischer Rhetorik verstrickt ist - Vernichtungsdrohungen gibt es von diesen Seiten auch genug.

Damit allein die Anziehungskraft, der sich die USA und Verbündete auf Seiten Irans und der schiitischen Milizen gegenübersehen, zu erklären, ist zu wenig. Da zählen schon auch die eigenen Fehler gegenüber der Bevölkerung, soziale Ignoranz und die Unterstützung und Instrumentalisierung von Extremisten wie im Fall Syrien dazu.


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https://www.heise.de/-3916844

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.jpost.com/Arab-Israeli-Conflict/Palestinian-media-IDF-forces-kill-two-militants-in-Gaza-Strip-517819
[2] https://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-5055918,00.html
[3] http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2017/Dec-11/429746-nasrallah-calls-for-a-third-intifada-in-palestine.ashx
[4] https://twitter.com/HezbollahWatch/status/940215231455858689
[5] https://twitter.com/HezbollahWatch/status/940223852428365831
[6] https://twitter.com/ejmalrai/status/940224921040490497
[7] https://www.timesofisrael.com/at-massive-rally-hezbollah-chief-calls-for-intifada-over-jerusalem/
[8] http://www.jpost.com/Middle-East/Commander-of-Iranian-backed-Iraqi-militia-seen-in-south-Lebanon-517513
[9] https://www.washingtontimes.com/news/2017/dec/12/qais-al-khazali-asaib-ahl-al-haq-militia-leader-ta/
[10] http://www.rudaw.net/english/kurdistan/021220172
[11] https://www.heise.de/tp/features/Trumps-Freundschaftsdienst-an-Netanjahu-und-an-religioese-Eiferer-in-den-USA-3913481.html
[12] http://www.aymennjawad.org/2017/10/hashd-brigade-numbers-index
[13] http://www.aymennjawad.org/19745/the-syrian-civil-war-demographic-change
[14] http://jihadintel.meforum.org/group/180/liwa-al-fatemiyoun
[15] http://www.aymennjawad.org/2017/03/the-313-battalion-a-syrian-islamic-resistance
[16] https://www.hoover.org/research/iranian-corridor-middle-east-geopolitics-sectarianism-and-economic-integration#disqus_thread
[17] https://www.hoover.org/research/iranian-corridor-middle-east-geopolitics-sectarianism-and-economic-integration#disqus_thread
[18] https://www.hoover.org/research/iranian-corridor-middle-east-geopolitics-sectarianism-and-economic-integration#disqus_thread