"Höllische Maschine"

Der politisch verfolgte Schriftsteller und Soziologe Bahadir Musaev hielt den staatlichen Druck gegen Oppositionelle in Usbekistan nicht mehr aus. Derzeit bietet die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte dem Regimekritiker für ein Jahr Obdach

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Es geschah im Januar 1993. Usbekistan war gerade zwei Jahre, seit dem 31. August1991 unabhängig, als der Soziologe Bahadir Musaev unfreiwillig zum Dissidenten wurde. Der neu gewählte Präsident Islam Karimow, der Ende der achtziger Jahre die Unabhängigkeitsbewegung der Unionsrepubliken mit unterstützt hatte, hatte seinen begeisterten Wählern vieles versprochen: Reformen, Meinungs- und Pressefreiheit und die Gesellschaft von Gewalt und Korruption zu befreien, kurz die Demokratie.

Doch Bakhadir Musaev schüttelt in seinem Hamburger Appartement, wo wir ihn treffen, mit ernstem Gesicht den Kopf: „Das waren nur Worte. Nichts als leere Versprechungen. Die Demokratie ist reine Fassade.“ Stattdessen baute Islam Karimow, ehemals kommunistischer Kader, einen zentralistischen, autoritären Überwachungsstaat auf, der auf einem starken Polizei- und Geheimdienstapparat fußt. Dabei geht die gesamte politische Macht vom Präsidenten aus, der seit 1990 die drei Gewalten, Exekutive, Judikative und Legislative, auf sich vereint. Er beruft die Richter des Verfassungsgerichts, ernennt den Minister des Innenministeriums und den Chef des Polizeiapparates und übt gleichzeitig die Funktion des Premierministers aus. Nach Artikel 95 der usbekischen Verfassung, über die am 27. Februar 2002 erneut abgestimmt wurde, ist der Präsident niemandem außer Allah gegenüber verantwortlich.

Bahadir Musaev

„Der usbekische Präsident ist verfassungsrechtlich gesehen mächtiger als George Bush in den USA“, sagt Musaev. Auch aus dem europäischen Ausland drangen nach der Unabhängigkeit kritische Stimmen wegen der Missachtung der Menschenrechte und Pressefreiheit durch die Politik Karimows nach Usbekistan. Der Soziologe Pierre Bourdieu, der seinen Lehrstuhl am College de France in Paris hatte, beurteilte die Scheinrepublik als „höllische Maschine, die auf Gewalt, Lüge und Korruption beruht“. Der Philosoph Michel Foucault sah im usbekischen Präsidenten nur einen „Simulanten, der alle seine Asse, besonders politische Oppositionelle, die ihm gefährlich werden könnten, liquidiert hat“. Bald erkannte Musaev, dass er ein solches, unbequemes Ass in der präsidialen Diktatur war.

Um die Demokratie zu unterstützen, interviewte er im Januar 1993 als stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts für Soziologie in der Hauptstadt Taschkent, die an der Grenze zu Kasachstan am westlichen Rand des Tienschangebirges liegt, den Vorsitzenden der legalen demokratischen Oppositionspartei Erk (usbekisch: Freiheit) Salih Muhammad. Der Dichter und Schriftsteller Salih, der aus der demokratischen Bürgerbewegung Birlik nach dem Zerfall der UDSSR die konservative Partei der Mitte gegründet hatte, um Pluralismus, eine neue Verfassung und ein Mehrheitsparteiensystem zu etablieren, musste bereits 1992 aufgrund von Druck und Verfolgung sein Abgeordnetenmandat niederlegen. Erk wurde als illegal erklärt und Salih und die wichtigsten Parteimitglieder von Erk des Panislamismus angeklagt.

Musaev äußerte seine Regimekritik verdeckter und konnte sich im Vergleich zu Salih besser schützen. „Ich habe gar keine eigene Meinung geäußert, sondern einzig provokative Fragen zur politischen Situation des Landes gestellt“, erinnert sich Musaev. Doch das Interview, das zwei Monate später in einem von der Erk-Partei editierten Buch „Weg zur Freiheit“ erschien, blieb nicht unbemerkt. Nach Veröffentlichung des Buches, in dem Salih die mangelnden Freiheitsrechte wie die Meinungsfreiheit kritisierte, wurde Musaev gesucht und von unbekannten Männern ins Ministerium für innere Angelegenheiten (MWD) zum Verhör gebracht.

Ich denke, es waren Leute von der Polizei und dem usbekischen Geheimdienst, die in zivil gekleidet waren. Ich wurde zehn Tage lang von morgens neun Uhr bis Mitternacht verhört. Die Protokolle der Verhöre sollten bescheinigen, dass ich gemäß des Strafrechts §159 ein Staatsfeind bin und mich durch mein publizistisches Wirken verfassungsfeindlicher Handlungen schuldig gemacht hatte.

Bahadir Musaev
Islam Karimow. Foto: Botschaft von Usbekistan

Er wurde gezwungen, unter diese Protokolle, die in usbekisch verfasst waren, seine Unterschrift zu setzen und deren Wahrheitsgehalt zu bezeugen. Im Unterschied zu anderen Oppositionellen landete er jedoch nicht im Gefängnis, sondern musste seinen Posten im Forschungsinstitut für Soziologie mit einem rückdatieren Schreiben kündigen. So war offiziell nicht mehr nachweisbar, dass Musaev aus politischen Gründen arbeitslos geworden war. Doch als die BBC in Usbekistan und „Stimme der Freiheit“, eine usbekische Radiostation, über die Verfolgung Musaevs berichteten, verlor dieser seine Reputation. Den einst angesehenen Wissenschaftler mieden die Leute nun auf der Straße. Musaev und seine Familie gerieten in vollkommene, soziale Isolation und wurden ständig beschattet.

Acht Monate nach dem Verhör, im September 1993 erhielt er vom Geheimdienst ein Schreiben, in dem ein Treffen zwischen ihm und Geheimdienstvertretern in einer ihm unbekannten Wohnung angesetzt war.

Es wurde mir mitgeteilt, dass Präsident Karimow alle meine Artikel gelesen hatte und mich als sehr guten Autor und Soziologen beurteilte. Sie wollten wissen, ob ich bereit wäre, für den Präsidenten zu arbeiten. Doch ich antwortete, dass mein Rückgrat nicht mehr so weich sei, um mich in diese Richtung zu verbiegen.

Bahadir Musaev

Amnesty International hatte bereits über die Morde an Regimegegnern und Führern der Islamischen Bewegung in Usbekistan berichtet, und die Vereinten Nationen kritisierten das weit verbreitete Mittel der Folter.

Salih begab sich ins Istanbuler Exil und blieb dort bis 1994, bevor er nach Europa auswanderte. Von Istanbul aus bot er Bahadir Musaev an, ihm ebenfalls bei seiner Flucht behilflich zu sein. Doch Musaev lehnte ab, da seine Mutter pflegebedürftig war. Er hielt sich zunächst ohne festen Job mit Artikeln und Vorträgen über Wasser.

Sechs Jahre später erhielt er vom Präsidenten ein erneutes Jobangebot, der ihn als Soziologen im Forschungsbereich Analyse der Gesellschaftsprobleme einzustellen gedachte und Musaev sagte zu.

Ich hatte damals noch die Illusion, ich könnte etwas Positives für das Land tun, das System mit meinen Schriften von unten reformieren und Karimow würde meine Arbeiten ernst nehmen. Die Artikel verschwanden stattdessen ungelesen in einer Schublade.

Bahadir Musaev

Mit den Bombenattentaten 1999 gegen das Regierungsgebäude in Taschkent wurde er sich der explosiven Stimmung im Land und seiner Ohnmacht im „goldenen Käfig“ bewusst. Er kündigte seinen Regierungsjob. Unabhängige Menschenrechtsorganisationen arbeiteten nun mit ihm zusammen und luden ihn zu Vorträgen nach Moskau ein. In einer Vortragsreihe warnte er vor weiteren Anschlägen durch nationalistische Gruppierungen.

Doch diesmal ging das Militär gegen die Einwohner der usbekischen Stadt Andischan vor und richteten ein Blutbad an (Die üblichen Verdächtigen). Vor einem Gerichtsgebäude, in dem Geschäftsleute als islamische Extremisten verurteilt wurden, wurde zunächst friedlich demonstriert. Der Konflikt eskalierte jedoch in der Nacht zum 13., als eine Kaserne, das Gefängnis und das zentrale Regierungsgebäude in Andischan gestürmt wurden. Wie eine Augenzeugin berichtete, hatte sich am Freitag den 13. eine mehrtausendköpfige Menschenmenge auf dem Babur Platz neben dem Regierungsgebäude versammelt, die an dem Abend von vorbeifahrenden Panzerwagen zusammengeschossen wurde. Im Nachhinein bestritt die Regierung, den Schießbefehl auf die Zivilisten erteilt zu haben.

Auch Musaev prangerte das Unrecht, den Mord an den Zivilisten an. Doch vor allem russische Menschenrechtsorganisationen kritisierten ihn als Panikmacher und Provokateur. Schließlich wurden Vertreter der amerikanischen Botschaft in Taschkent, die sich mit Demokratieförderung im Land befassten, durch sein Buch „Unabhängiges Usbekistan: Reformen oder Aufstand?“ auf ihn aufmerksam und machten ihm Hoffnungen, es in 1.500 Exemplaren in Washington zu veröffentlichen. Doch Washington, das in Karimow einen wichtigen Verbündeten sah, wehrte die Bitte Musaevs ab. Als er telefonisch die Begründung nachforschte, erklärte man ihm nüchtern, dass Usbekistan ein wichtiger strategischer Partner in der weltweiten Bekämpfung des Terrorismus sei. Das Interesse an der Förderung der Demokratie trete für die USA auch aufgrund der Uranressourcen in den Hintergrund (Der Fall Usbekistan). Und selbst europäische Länder hofierten Karimow und bezeichneten ihn nur noch als „Politiker mit schlechter Vergangenheit“, kritisiert Musaev.

Vor Beginn des Exils lebte Musaev zurückgezogen und verarmt mit seinem Hund in einem Appartement in Taschkent. Von seiner Familie hatte er sich längst getrennt, damit sie unter seinen kritischen Schriften nicht leiden muss. Gedanken tauschte er vor allem mit zwei Freunden aus, einem Professor aus Moskau und dem Maler Ahunov Vjatschelav. Offizielle Zeitschriften sind nicht bereit, seine Artikel zu drucken. Er gilt in der öffentlichen Presse als Unruhestifter und wird telefonisch bedroht. So veröffentlicht er seine Arbeiten unter einem Pseudonym auf Internetforen wie uznews.net, die von der usbekischen Journalistin Galima Bukharbaeva, die im Exil lebt, eingerichtet wurde. Seine Hoffnung ist, den Menschen in Usbekistan mit seinen Schriften „über den verbrecherischen Staat“ die Augen zu öffnen, und sie selbst denken zu lehren.

Im Interview übersetzte Alexei Ivanov, freier Übersetzer für die Stiftung für politisch Verfolgte in Hamburg.