Hört Bill Gates zu
Die spektakuläre "Rettungsmaßnahme", die Bill Gates durch den Kauf von Aktien des ehemaligen Erbfeindes Apple ausgeführt hat, hat viele wieder einmal aufhorchen und fragen lassen, wohin der reichste Mann der Erde seinen Weltkonzern steuert. Douglas Rushkoff sieht darin kein Geheimnis. Am Beispiel der Konkurrenz zwischen Netscape und dem Explorer von Microsoft glaubt er zeigen zu können, daß das kein Geheimnis ist und man Bill Gates nur genau zuhören muß.
Wenn ein so großes und reiches Unternehmen wie Microsoft sich ganz offensichtlich unsinnig verhält, kann man sich leicht einbilden, daß es ein geheimes Programm verfolgt. Die Einführung, die Neugestaltung und die nächste Umarbeitung von MSN, dem Internetdienst von Microsoft, hat ähnlich phantastische Konspirationstheorien hervorgerufen, wie sie normalerweise gegenüber dem CIA oder den Masons vorgebracht werden.
Alles begann mit dem "Microsoft Network", das nach dem Vorbild von America Online entworfen wurde, dessen atemberaubende Wachstumsraten Bill Gates zur Emulation des AOL-Produkts beeinflußt haben mußten. Die erste Generation des Microsoft Network war ein relativ geschlossenes System von Einwählmöglichkeiten. Die Benutzer klickten auf ein direkt in ihrem "Arbeitsplatz" von Windows 95 eingebautes Icon, um Zugang zu exklusiven Informationen und Diensten des Microsoft Network zu erhalten.
Aber das Internet hat sich zu organisch und über eine zu lange Zeit hinweg entwickelt, um gleich von einem kommerziellen Ersatz überrumpelt werden zu können, auch wenn dieser in dem nahezu monopolartig verbreiteten Windows-Betriebssystem perfekt integriert ist und von ihm bestens mit Geld ausgestattet wird.
Der Spaß am Internet ist das Surfen durch das Web, und Microsoft mußte dieser Suche nach Freiheit begegnen oder würde schnell untergehen. Freilich, nicht das Internet selbst war der Feind, sondern der beherrschende Browser von Netscape. Daher wurde ein Stück Software zum primären Angriffsziel von Microsoft. Und das ist ein Kampf, den sie zu führen verstehen. Ihre eigener Web-Browser "Explorer", der Netscape ähnelt, stellte sich der Herausforderung und erwarb in vielen Publikationen als der "bessere" Browser Auszeichnungen.
Für die meisten Benutzer waren die Unterschiede zwischen den beiden Browsern unerheblich. Um Microsoft in eine beherrschende Lage zu verseten, müßten sie irgendwie ihr Markenprodukt so entwickeln, daß man mit ihm auf einzigartige Weise im Web surfen kann. Um das ging es, als die Strategie eines geschlossenen Systems von MSN sich in Richtung eines offeneren, auf dem Web basierten Modell veränderte.
MSN sollte jetzt eine Reihe von Web Sites darstellen, die einzigartige Dienste und Informationen anboten, aber nur für jene zugänglich waren, die eine monatliche Gebühr zahlten. Die ersten Übersichten der Web Site zeigten öffentliche Bereiche von kostenlosen Angeboten, die von gebührenpflichtigen, nur den zahlenden Mitgliedern zugänglichen Angeboten umgeben waren. Benutzer könnten etwa kostenlos die Aktienkurse abrufen, aber sie müßten beispielsweise für graphische Veranschaulichungen eines Trends oder für die Beratung durch Börsenspezialisten bezahlen. Die meisten Entwickler von Web Sites und die Journalisten machten sich über dieses Konzept lustig. Wer würde für den Zugang zu Webseiten zahlen wollen, wenn man dieselben Informationen auch anderswo kostenlos erhalten kann?
Wir lachten und lachten, bis Microsoft die Computerindustrie in eine Vorführveranstaltung für Entwickler mit Ideen verwandelte. Zur selben Zeit, als das Geld für Online-Projekte versiegte (unter anderem war gerade IPO der Zeitschrift Wired gescheitert), kam Gates mit einem offenen Scheckbuch an. Manche glaubten, daß Microsoft an die 500 Millionen Dollar zur Verfügung stellte. Und jeder konnte einen Versuch machen.
Man mußte jedoch, um Erfolg zu haben, einen ziemlich perfekten Prototypen herstellen. Dazu war ein Verständnis des Microsoft Explorers und der speziellen "Plug-in"-Programme nötig, die für Microsoft und nicht für Netscape entwickelt worden waren. Obgleich die MSN-Manager behaupteten, daß Programmierer jede beliebige Software und jedes gewünschte Plug-in-Programm verwenden könnten, wurde in der Zusammenarbeit mit den Technikern, die die Projekte prüften, deutlich, daß Microsoft-Technologien vorgezogen wurden.
Microsoft begab sich also auf eine Einkaufstour, prüfte Dutzende von Projekten und zahlte Millionen an Programmierer. Bald verkündeten viele Programmierer im kalifornischen Silicon Valley oder in New Yorks Silicon Alley: "Microsoft ist das einzige Unternehmen, das noch im Spiel ist." Deswegen begann dann jeder zu lernen, wie man etwas für den Microsoft Explorer entwickelt. Multimedia-Firmen, die zuvor nur Macs und Netscape benutzt hatten, erwarben jetzt Computer, auf denen Windows laufen konnte, und besuchten kostenlos von Microsoft angebotene Kurse, um "mit Sound für den Explorer 4.0 zu arbeiten".
Die Phase 1 war abgeschlossen: Web-Programmierer verwendeten jetzt die Werkzeuge von Microsoft in dem Gefühl, daß sie nur so online etwas verdienen konnten. Dann erfolgte der nächste Schlag: Mit der Neugestaltung von MSN zu einer Reihe von "Kanälen" wurden die meisten der bestehenden Sites abgeschafft und kam es zu einer strikteren Zuwendung ... Jeder sprach insgeheim von einer Verschwörung. Was ging vor sich?
Wenn man Bill Gates zuhört, ist alles ganz einfach. "Microsoft geht nicht ins klassische Mediengeschäft", erzählte Gates kürzlich Charlie Rose während einer öffentlichen Veranstaltung. Sie stellen, in anderen Worten, keine Inhalte her. "Wir sind ein Unternehmen", wie Gates erklärte, "das Programme produziert."
Die Web-Entwicklungen, für die er zahlte, und sogar seine eigenen MSN-Kanäle sind lediglich Platzhalter für strategische Bündnisse, die er in der Zukunft zu schmieden wünscht. Man braucht ihm nur zuzuhören: "Wir sagen 'Laßt uns Partner suchen', gleich ob es sich um Dreamworks für das Erzählen von Geschichten oder um NBC für Nachrichten handelt."
Ganz genau. Der Hauptkanal im MSN ist für Fernsehnachrichten von MSNBC. Die Programme für Kinder sind bereits aus dem MSN verschwunden, weil mit Disney für diese Inhalte ein Vertrag als alleinigem Lieferanten abgeschlossen wurde. Ein paar Wochen später ging Lucas Arts eine Partnerschaft mit MSN für einen Spielekanal ein. Die anderen, in handliche und fertig verpackte demographische Kategorien aufgetrennten Kanäle werden dann kommen, wenn mit weiteren Partnern Verträge geschlossen werden.
Ich bin der Überzeugung, daß diejenigen, die gegenwärtig für MSN Inhalte herstellen, nur als Produzenten von Vorführprogrammen dienen, um die Software von Microsoft zu verkaufen und dabei zu helfen, Bündnisse mit größeren Anbietern von Inhalten einzugehen. Wenn Gates diesen Partnern Online-Platz und Programme zur Verfügung stellt, um ihre Waren zu verkaufen, kann er das große Geschäft machen.
Das ist keine Verschwörung. Es ist genau das, was Gates sagt, daß er macht. Man muß ihm nur zuhören.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer