Hohmann reloaded
Ein emeritierter Politologe legt die Bundeszentrale für politische Bildung aufs Kreuz
Die Bundeszentrale für politische Bildung ist umtriebig. Man gibt Schriftenreihen, Bücher, Reader, Periodika heraus, dass es nur so brummt. Viele Themen, viele Autoren, viel bedrucktes Papier. Da kann es doch mal passieren, dass in einer hauseigenen Zeitschrift namens Deutschland-Archiv ein Artikel gedruckt wird, der sich am Anfang um die Fundamente des Grundgesetzes sorgt, und am Ende den Juden eine Mitschuld am Holocaust zuschustert. Oder?
Nun ja, eigentlich nicht. Denn der Autor, um den es hier geht, Konrad Löw, ist kein Unbekannter.
Man kann seine politischen Vorlieben mit ein paar Mausklicks in Erfahrung bringen, wenn man nur will. Und beim "Deutschland-Archiv", so nimmt man an, werden die Texte, die veröffentlicht werden sollen, vor Abdruck gründlich geprüft. Der verantwortliche Redakteur Marc Dietrich Ohse entschuldigt sich mit der Behauptung, ihm sei die Brisanz des Artikels nicht klar gewesen (Frankfurter Rundschau, 15.4.04). Das mutet einigermaßen seltsam an, denn es läuft auf das Bekenntnis eines Deutschlandspezialisten hinaus, weder die Hohmann-Affäre im letzten Jahr (vgl. Neues und Altes), noch die betreffende Rede (vgl. Der Wortlaut der Rede von MdB Martin Hohmann zum Nationalfeiertag) auch nur oberflächlich wahrgenommen zu haben.
Der Text Löws ist nämlich nichts anderes als der schlecht verkappte Versuch, Hohmann durch die Hintertür zu rehabilitieren, eine Lanze zu brechen für die Hohmannschen Weisheiten in einem Organ, das als regierungsnah und offiziell gelten muss, das im Impressum gewissermaßen den Bundesadler trägt. Dank Ohses Blindheit hatte diese Strategie Erfolg.
130.000 "überwiegend rechtswidrige" Abtreibungen
"Blindheit" deswegen, weil man eigentlich schon bei dem Titel des Textes "Deutsche Identität in Geschichte und Verfassung" Verdacht schöpfen müsste. Aber vielleicht hält man sich beim Deutschland-Archiv ja für verpflichtet, über die deutsche Identität nachzugrübeln. Und der Text selbst fängt ja auch relativ harmlos an. Löw steigt ein, indem er ein milde beschrubbtes, "wertkonservatives" Gemähre über die verlorenen Fundamente des Grundgesetzes vom Stapel lässt, die seiner Meinung nach vom Zeitgeist und der Fun-Gesellschaft kassiert wurden. Bis dahin hat man es mit dem üblichen Deszendenz-Gejammer zu tun, wie es von jeher zum rhetorischen Figurenschatz der Konservativen gehört hat. Dummes Zeug, aber an sich nicht weiter tragisch.
So richtig auf die Sahne haut Löw, als er mit dem kurrenten Sittenverfall in Verbindung bringt, dass angeblich in Deutschland pro Jahr 130.000 "überwiegend rechtswidrige" Abtreibungen auch noch mit Unsummen vom Staat finanziert würden (Löw nennt für das letzte Jahr die Summe von "40 Millionen Steuer-Euro"). Spätestens jetzt hätte man beim Deutschland-Archiv aufhorchen müssen.
Wer weiß, wie typisch diese Art Zahlenjonglage für rechtsradikale Abtreibungsgegner ist, vor allem wenn sie unter Berufung auf ein angeblich übergesellschaftliches Sittengesetz vorgeführt wird, dem hätte hier ein Licht aufgehen können. Aber vielleicht war Löw doch zu gewitzt für den verantwortlichen Redakteur des Deutschland-Archivs.
Zwar benutzt er Formulierungen, die so sehr nach braunem Lebensschutz klingen, dass man befürchtet, demnächst falle auch noch der Begriff "Baby-Holocaust" und von dort gehe es schnurstracks zur Relativierung des wirklichen Holocausts. Aber zunächst einmal gibt er den Deutschen (und vor allem seiner Generation) gute Noten.
Hohmann reformuliert
Sie hätten nämlich in einer beispiellosen Art Wiedergutmachung für die Sünden der Vergangenheit geleistet, im Gegensatz zu den Franzosen, die sich ja nicht einmal für die Opfer der Französischen Revolution entschuldigt hätten (geschweige denn für ihr Mittun beim Faschismus während des Vichy-Regimes) und den Amerikanern, die vom Völkermord an den Indianern ja immer noch nichts wissen wollten. Hohmann hatte in seiner Rede eine ganz ähnliche Assoziationskette zur Einebnung der deutschen Geschichte gebraucht, aber Herrn Ohse fällt nichts auf.
Damit nicht genug. Löw behauptet nicht nur, dass die "jüdisch angeführte Räterepublik" in Bayern den Antisemitismus in der Weimarer Republik angeheizt hätte (ebenfalls eine reformulierte Behauptung Hohmanns), stellt nicht nur die Weimarer Republik als ein von Juden beherrschtes Staatswesen dar, sondern behauptet danach dreist und krass selbstwidersprüchlich, die nichtjüdische deutsche Bevölkerung sei gegen diesen von den Juden selbst erzeugten Antisemitismus nahezu immun gewesen.
Seinen Persilschein begründet er mit Anekdoten ausschließlich jüdischer Autoren (darunter Victor Klemperer), die offenbar den Anschein erwecken sollen, den Juden sei schon immer klar gewesen, dass ihnen die überwiegende Mehrheit der Deutschen selbst zur Nazizeit mit Sympathie begegnet sei. Den hie und da tatsächlich auftetenden Antisemitismus habe immerhin der Katholizismus durch eine Unzahl von Gebeten bekämpft - so zum Beispiel der Dompropst Bernhard Lichtenberg, der in seiner Kirche bis zu seiner Verhaftung immer ein gutes Wort für die Juden eingelegt habe. Tief sitzender, flächendeckend verbreiteter Antisemitismus, eliminatorischer gar? Nicht wirklich, nicht einmal bei den ungenannt bleibenden "Vollstreckern", denn:
Wäre Antisemitismus das Hauptmotiv gewesen, hätten die Vollstrecker nicht den anderen Minderwertigen" gegenüber, den geistig Behinderten, den Polen, den Russen, den Sinti und Roma, die gleiche Brutalität gezeigt wie gegenüber den Juden.
Sollen sie sich also nicht so anstellen, die Juden, weil es den anderen auch dreckig ging? Selbstverständlich darf in Löws Potpourri auch der Hinweis darauf nicht fehlen, dass Juden "als Judenräte, als Häscher, als Polizisten, in den Gaskammern" selber am Holocaust beteiligt waren. Nimmt man die Gedankenspiele Löws ernst, dann könnte man auf die Idee kommen, dass es sich bei Auschwitz um ein von den Juden mitzuverantwortendes, ansonsten aber nahezu unerklärliches Verbrechen gegen die deutsche Ehre gehandelt hat, das von ausnahmsweise antisemitischen, aber in jedem Fall gottlosen Deutschen völlig geheim und ohne Unterstützung durch die Normalbevölkerung begangen worden ist. Die Mehrheit der Deutschen mit ihrer famosen, auf Sittengesetz und Verantwortung vor Gott gegründeten Identität seien in der Nazizeit viel eher Opfer als Täter gewesen - eine Behauptung, auf die schon Hohmann hinauswollte, wie so viele Revisionisten vor ihm.
Es ist also alles da, was bei Hohmann auch da war: das "wertkonservative", christlich geföhnte Gejammer über den Sittenverfall, die Relativierung des Holocausts, all die bizarren Pirouetten der Unschuld, getanzt auf dem dünnen Eis einer ressentimentdurchsetzten, nun ja, Argumentation. Bis in Feinheiten sagt Löw das Gleiche und meint dasselbe wie Hohmann, auch wenn er etwas mehr Kreide gefressen hat als der "Rechtskonservative" aus Fulda. Auf einer Hohmann-Skala von 1 bis 10 würde Löw 9,5 H erreichen, mit einem Zusatzmalus für Formulierungen wie: "Die Sympathisanten der Juden" oder "Viele deutsche Juden als Teil der deutschen Gesellschaft sonnten sich nun im Licht der Golden Twenties.
Symbolische Akte der Selbstkorrektur
Von daher reagierte die Bundeszentrale folgerichtig, als das Kind nun einmal in den Brunnen gefallen war: Man stoppte die Auslieferung der betreffenden Ausgabe des Deutschland-Archivs und entschuldigte sich bei den Lesern für den Abdruck von Löws Elaborat. Alles in allem eher ein symbolischer Akt der Selbstkorrektur, denn der Großteil der Auflage von insgesamt 7000 Stück war schon an die Abonnenten ausgeliefert. Dass die Restauflage (ca. 1000 Stück) zur Verhinderung von Nachbestellungen nun eingestampft wird, beschreien die üblichen Verdächtigen als Zensur und Beschneidung ihrer Bürgerrechte, womit sie wahrscheinlich die Beschneidung ihres gottgewollten Bürgerrechts auf Giftspritzerei meinen. Sie pflanzen wieder einmal das Banner der Meinungsfreiheit im Internet auf, indem sie der brutalen Zensur trotzen und tapfer Löws Text auf zahlreichen Websites dokumentieren.
Und der sich erschröcklich zensiert fühlende Emeritus selbst schreibt derweil Dienstaufsichtsbeschwerden.
Vielleicht liegt das Problem eigentlich ja bei der Existenz einer Zeitschrift namens "Deutschland-Archiv". Möglicherweise zieht ein solches Organ ja unvermeidlich diejenigen an, die über Chimären wie der "deutschen Identität" so lange brüten, bis nichts anderes mehr in ihre Schädel hinein passt. Aber ganz sicher kann dem verantwortlichen Redakteur des "Deutschland-Archivs" ein Gang zum Augenarzt empfohlen werden. Die Praxisgebühr würde ich ihm sogar spenden.